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264 Herzen. Diese Ereignisse hatten seine innere Kraft so sehr gebrochen, daß er nicht einmal Stärke genug besaß, dem schändlichen Geldmanne seine Verachtung und seinen Zorn fühlen zu lassen. Tief erschüttert von seinem Schmerze und trostlos kam er nach Hause; bei dem Anblicke seiner Tochter bekam er einen hef tigen Ncrvenzufall, dem eine Gehirnentzündung folgte. An demselben Abende, wo er seine Tochter vermählt sehen sollte, starb Herder, ohne das Unglück ge habt zu haben, einen Augenblick seine Besinnung wieder zu erhalten, um seines armen Kindes zu ge denken, das er allein auf der Erde zurückließ. — Drei Jahre waren seit dem Tode Hcrder's vergangen; in einer der stillsten und entlegensten Straßen der Kaiscrstadt bewohnten zwei weibliche Personen, die sich mit ihrer Hände Arbeit ernährten, ein kleines bescheidenes Gemach. Die ältere war die ehemalige Gouvernante in Herder's Hause, die andere war Margarethe. Beide hatten sich nach so viel Kummer und Leiden von dem Ge räusche der Welt zurückgezogen, und keiner der frühem Bekannten, welche bei Herrn Herder aus- und eingcgangen waren, wußte, was aus Margarethe geworden sei. Das Wenige, was ihr von dem väter lichen Vermögen geblieben, hatte sie sicher angelegt, und ihre ausgezeichnete Kunstfertigkeit im Sticken verschaffte ihr das noch außerdem zu ihrem und ihrer Freundin Unterhalt Nöthige. Margarethe hatte alle Verbindungen mit der Welt abgebrochen, und wenn sie nicht von Zeit zu Zeit an ihren Cousin Leo, der in Paris wohnte und eine große Anhäng lichkeit für sie hegte, geschrieben hätte, und hätte sie nicht ihre ehemalige Gouvernante, die treue Genossin ihrer Armuth, herzlich geliebt, so hätte man sagen können, daß sie lebendig in ein Grab gestiegen sei. Eines Abends öffnete sich die Thür des Gemachs und ein Mann trat herein. „Leo!" rief die Gouvernante, die den uner warteten Gast sogleich wieder erkannte, der in dem selben Augenblick seine Cousine in die Arme schloß. „Wie? Sic haben mich erkannt?" fragte Leo jetzt. „Und ob ich Sie erkannt habe, heilige Jungfrau!" sprach die gute Therese, die Hände zusammen schlagend. „Ihre Haare haben sich nicht verändert, sind noch eben so blond, wie sonst, ihre Stirn ist noch eben so gewölbt, Ihre Augen glänzen noch, wie früher. Ach, Sie hatten einen so schönen Kin derkopf, der jungen Leuten so wohl anstcht!" „Und dann haben wir auch so oft von Dir ge sprochen," sagte Margarethe; „wir haben Nie mand erwartet, als Dich, obgleich wir nicht wußten, daß Du kommen würdest." „Dank! Dank!" rief Leo. „Ich würde schon längst gekommen sein, wenn ich hätte nur mein Herz hören dürfen." Und nun setzten sich die beiden jungen Leute zu sammen und plauderten von ihrer Kindheit und von der Vergangenheit, wobei ihnen manchmal die Thrä- ncn in die Augen drangen. Einige Tage nach der Ankunft Leo's war seine Verheiratung mit Margarethen eine ausgemachte Sache. Man beschloß, Wien zu verlassen und sich in Paris festzusetzen; Leo sollte jedoch sogleich ab- rciscn und Margarethe ihm folgen, sobald sie noch einige Angelegenheiten in Ordnung gebracht. Am Morgen nach dem Tage des Abschieds war Leo früh aufgestandcn. Mit unverkennbaren Zeichen von Ungeduld ging er in einem reichmöblirten Zim mer eines der ersten Hotels von Wien auf und ab. Offenbar erwartete er einen Besuch, der sich ver spätet haben mochte, oder vielmehr schien er, nach der lebhaften Bewegung, die sich auf seinem Gesicht kund that, zu urtheilcn, einem entscheidenden Mo ment seines Lebens nahe zu sein. Der Banquicr Hoffmann trat ein. „Mein Herr," redete er Leo an, „Sie haben mich mit einem Schreiben beehrt, in welchem Sie den Wunsch ausdrücken, mit mir eine Unterredung zu haben. Ich stehe mir Vergnügen zu Diensten. Die Wichtigkeit der Interessen, über die sie mit mir sprechen wollen, macht mich gespannt. Sie glauben also, daß man ein bedeutendes Geschäft —" „Sehr leicht möglich, wenn Sie auf die Be dingungen cingehcn, die ich Ihnen machen werde," unterbrach ihn Leo kalt. „Die Pariser Häuser, als deren Stellvertreter ich gekommen — doch erlauben Sie mir, daß ich meine Erörterung bis zur Ankunft der Personen aufspare, die an dem Geschäft Antheil nehmen sollen." „Ah, das ist ja Schirmer und Cornelius," rief jetzt Hoffman n aus. „Wohl, wohl!" sagte Cornelius, Leo als seinen Freund und Collcgcn begrüßend. „Auch Sie hier, Herr Hoffmann?" „Meine Herren," begann Leo, „jetzt, da wir zusammen sind, können wir uns mit der Affaire