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244 — Ais der ungeduldig werdende Eontre-Admiral seine Uhr zog und sah, daß der Zeiger schon auf Drei wies, siand Ernst gerade in der Nähe einer Quadrille, in welcher Madame Merupas alle An- mulh Terpsychorcns entfaltete. Mit schlagendem Herzen sah er ihr zu. „Wenn's möglich wäre," dachte er, „daß diese Frau meine Gefährtin werden könnte, nicht blos für die kurze Frist eines Evntre-Tanzes, sondern für immer, für mein ganzes Leben! — Und warum nicht? Warum noch Bedenklichkeiten? Ich bin ent schlossen, sie zu heirathen!" Madame Merupas hatte ihrerseits ungefähr folgende Gedanken: „Der arme Contre-Admiral wird nicht den Muth haben, mir zu sagen, daß er sich tödtlich langweilt; Anais scheint mir zu traurig, um der Ausführung meines Plans zu dienen; es geht nicht anders, ich muß mich entfernen!" Was Anais betrifft, so faßte sie den Entschluß, sobald als möglich in ein Kloster zu gehen. Madame Merupas empfand ein kleines Un wohlsein, Ernst stürzte herbei, ihm folgte sogleich der Seemann, und das Ende vom Liede war, daß durch die Gunst der Verwirrung, die dadurch ver anlaßt ward, auch Ernst mit den übrigen drei Per sonen in den Wagen der Madame Merupas kam, der nach der Wohnung der letzter» rollte. Sie hatten ungefähr drei Viertel des Wegs zurückgelegt, als Madame Merupas den Wunsch aussprach, frische Lust zu schöpfen, und zu diesem Zwecke vor ihrer Rückkehr nach Hause ein wenig zu gehen. Die Nacht war herrlich, der Weg trocken. Der Eontre- Admiral bot der Dame seinen Arm, ohne eben mit ihr das Verlangen zu theilen, in Ballkleidern um vier Uhr des Morgens eine Parthie zu Fuße zu machen. „Herr Ernst, wollen Sie meiner Tochter Ihren Arm reichen?" Jetzt erst bemerkte Ernst die Gegenwart des jungen Mädchens. „Nun? Die Entwicklung? Die Auflösung?" fragte der Eontre- Admiral ganz leise Madame Me rupas, als sie beinahe am Hause angekommen waren. „Es ist noch nicht Tag," entgegnete sie. — Der Tag nach einem Balle fängt sehr spät an; erst um vier Uhr des Nachmittags fanden sich Ma dame Merupas, ihre Tochter und der Eontre- Admiral vor dem Kamin im Gemacke der erstcren zusammen. Es dauerte nicht lange, so wurde Herr Ernst Mechel gemeldet. Der Seemann, welcher Madame Merupas lächeln sah, sing an, eine Ahnung zu bekommen, obgleich dieselbe noch sehr dunkel war. „Sollte mein Herr Neffe mich aus dem Sattel heben wollen und meineHeirath rückgängig machen?" sagte er zu sich, während Ernst eintrat. Madame Merupas war im Neglige-, im ei gentlichen Negligö; ihre schönen Haare, welche noch ihr glänzendes Schwarz völlig bewahrt hatten, waren sorgfältig unter einem Mützchen von etwas altmo discher Fa^on zurückgebunden, und ihre weiße Hand zog unmerklich ein kleines Büschel graue Haare unter der Haube hervor, das ihrem Haupte anzu gehören schien. Die vom Ball gebliebene Ermattung übernahm auch eine Rolle in der berechneten Entstel lung der übrigens schönen und einnehmenden Dame. „Ach," seufzte Madame Merupas, „ich besuche gewiß keinen Ball mehr, ich bin nicht mehr in dem Alter, diese Tollheiten mitzumachen!" Ein Vierlelstündchcn nachher zog sie an der Schelle. „Bist Du zu dem Zahnarzt gegangen?" fragte sie ihr Kammermädchen. „Ich kann's nicht mehr aushalten; meine Zahnschmerzen bringen mich um!" Ernst schielte nach ihren Zähnen; sie kamen ihm zu weiß und schön vor, als daß er sie hätte für ächl halten sollen. (Indessen waren sie es wirklich.) „Sie sind cnrhümirt?" fragte jetzt der Contre- Admiral Madame Merupas, die, seitdem sich Ernst gegenwärtig befand, nicht aufgehört hatte zu husten. „Enrhümirt?" antwortete sie mit einem weh- müthigen Blick und neigte den Kops auf ihre Hand. „Sic hat wohl gar die Schwindsucht?" dachte Ernst für sich. Madame Merupas erhob sich, um ein Papier vom Kamin zu nehmen; dann warf sie einen schnel len Blick in den Spiegel und fuhr erschrocken zurück, indem sie sich, jedoch vergeblich, bemühte, das graue kleine Haarbüschel unter die Mütze zuruckzuschicben. Ernst war wie versteinert. Zugleich ließ sie das Blatt fallen, und da jener gerade die Blicke ver legen gesenkt hatte, so konnte er lesen, was auf dem > Blatte stand. Es waren die fürchterlichen Worte: