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241 wollen; in diesem Falle frage es sich nun, ob er (Herr von Valencay) selbst nicht zu alt für das junge Mädchen sei. Seine Reflerivn mochte ein wenig lange dauern; sei es, um ein ermüdendes Stillschweigen zu brechen, sei es aus plötzlich aufstcigender Besorgniß, kurz, Fräulein von Fleurieu zog auf einmal schnell ihren Arm zurück. „Sic öffnen mir die Augen," sprach sie, „ich sehe mein Unrecht ein; ich will zu meiner Mutter eilen, ihr zu Füßen fallen, ihr gestehen, daß —" „Noch einen Augenblick, bitte!" „Jeder Augenblick vergrößert meinen Fehltritt; — jetzt ist Alles aus — leben Sie wohl, mein Herr —" „Aber keineswegs ist Alles aus, mein Fräulein. Ein Rendezvous mit meinem Sohn, um diese Stunde würde, ich gebe es zu, tausend Gefahren darbieten; aber mit mir! Sie sehen ein, das ist ein Unterschied!" „In der That?" „Auf meine Ehre!" Und Herr von Valencay bot alle Hilfsquellen seines Geistes auf, um das schwierige, nun einmal begonnene Thema fortzuführen. Er suchte zu be weisen, daß eine nächtliche Begegnung eines jungen Mädchens von sechszehn Jahren und eines Mannes von fünfundvicrzig Jahren, unter den Bäumen des Parkes, ganz der Ordnung gemäß sei; das junge Mädchen antwortete, disculirte über den ausgestellten Satz — aber sie hatte zugleich ihren Arm auf's Neue in den des Herrn von Valencay gelegt, ja, sie ließ ihm sogar die Hand, welche er ergriffen halte. Nach und nach hörte man auf, von Gustav zu reden, Herr von Valencay erzählte die Ge schichte seines Lebens, zwar offen und wahr, indessen glitt er doch geschickt über gewisse Episoden hinweg. Er hatte nur sehr kurze Zeit mit seiner ersten Frau gelebt, seit zwanzig Jahren bot die Erinnerung an seine Liebe ihm nicht hinlängliches Genügen mehr, und, leidenschaftlich und feurig, wie er war, fühlte er mehr als je das Bedürfniß nach einer neuen Liebe. Stolz auf den gegenwärtigen Erfolg, dessen er ge wiß zu sein meinte, glücklich, erhört worden zu sein, und überzeugt, daß es hier auf einen entscheidenden Angriff ankomme, wagte er endlich ein vollkommenes Geständniß. Ein jugendlicher Schwärmer würde sich in diesem Moment zu den Füßen der jungen Dame geworfen haben; Herr von Valencay aber be gnügte sich, ihre Hand an seine Lippen zu pressen und die .sanftesten und übcrredendsten Worte zu sagen. ' ' Unterdessen war die Nacht vorübergegangcn, und Herr von Valencay bemerkte in seinem Entzücken nicht, daß es am Horizont schon hell zu werden anfing. Plötzlich fuhr Cäcilie zusammen — „Man öffnet die Thür," sprach sie, „der Gärtner ist wach!" „Schon? — Wohlan, ich gehe; aber — nicht wahr, ich darf Sie wieder sehen? In künftiger Nacht!"' „Das ist sehr ungewiß!" platzte eine uner wartete Stimme in der Nähe heraus. Herr von Valencay kehrte sich um, Cäcilie stieß einen Schrei aus —'Gustav stand vor seinem Vater! — Nach einer Pause legte die Dame ihren Schleier zurück, trat vor den jungen Mann und sprach: — „Herr Gustav, hier Ihr Vater will durchaus nicht, daß Sie meine Tochter heirathen. Seit ich das Vergnügen habe, bei ihm zu sein, sprachen wir nur von Ihnen." Verwundert und in nicht geringer Verlegenheit sah Herr von Valencay die Dame an, mit wel cher er einige flüchtige glückliche Stunden verlebt hatte. Das war nicht mehr ein junges Mädchen, sondern eine Person von etwa zweiunddreißig Jahren, der man jedoch nicht mehr als vierundzwanzig Jahre gegeben hätte. Verwirrt von seinem Jrrthum zwar, fühlte Herr pon Valencay die Gefühle, die er kurz zuvor bekannt, dennoch nicht schwinden oder sich vermindern. „Frau von Fleurieu," sprach er, „hat die Wahrheit gesagt, Gustav; ich halte Dich für zu jung, um schon eine Frau zu nehmen — vielmehr stehe ich aus dem Punkte, mich zu verheirathen." „Sie, mein Vater?" „Wenn nämlich die gnädige Frau einwilligt. Uebrigens vermuthe ich, daß Dein Vorgesetzter, Gustav, Dich aus Mitleid für Deine Sehnsucht nach Cäcilien früher, als ich wünschte, aus dem Arrest entlassen hat." Er lachte und wendete sich wieder zu Frau von Fleurieu. Diese nahm jetzt das Wort. „Sie hatten sich heute wieder mit meiner Toch ter bestellt, Herr Gustav; ich erfuhr es durch sie selbst, die mir nicht länger ihr Verhältniß zu Ihnen verschweigen wollte; Ihre Bekanntschaft zu machen,