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19 Wir sehen hier (in der Art und Weise der Apperception) ein wichtiges Prinzip der Individualität. Sogar der einzelne ist in diesem Punkt von sich selbst verschieden, nach Alter und Geschlecht, nach Lagen und Launen; sein Merken und Nicht-Merken, samt allem, was davon abhängt, bleibt ihm zeitlebens ein Rätsel. Für den aufmerksamen Erzieher wird dies Rätsel noch bei weitem größer. Die offenen Augen und Ohren der einen, der Stumpf sinn der anderen, in allem was Beobachtung erfordert, bei gleicher Behandlung unter gleichen Umständen — dieser Unterschied ist eine unleugbare Thatsache, die den Erfolg der sorgfältigsten Behandlung im hohen Grade ungewiß macht.— Faßt man die Menschheit überhaupt ins Auge: so verschwinden diese Unter schiede als unbedeutend gegen den Abstand des Menschen und des Tieres. Die Menschheit ist ein Individuum nach vergrößertem Maßstabe. Die Stärke und Thätigkeit der Reflexion (einer näheren Bestimmung der Apperception) ist der Sitz, wiewohl nicht der erste Grund ihrer geistigen Überlegenheit VI, 205. Alles, was die Nerven beunruhigt, ist dem Gedächtnis schädlich; die ge dächtnisstarken Menschen aber sind solche, welche sich einer ungewöhnlichen Stetigkeit im Zustande des Organismus erfreuen. V, 184. Das organische Gemeingefühl der Physiologen, was den beschäftigten und gesunden Mann nur selten so stark anwandelt, daß es sich über der Schwelle des Bewußtseins halten könnte, während es freilich den Hypochondristen (und vielleicht nicht viel minder den sanguinischen Lüstling) unaushörlich necken mag. VI, 85. In der kunstvollen Einrichtung des Leibes muß es gegründet sein, daß diejenigen Teile, welche mit der Seele im nächsten Kausalverhältnisse stehen, derselben ihre Einflüsse nicht weit gewaltsamer aufdringen, als dies wirklich zu geschehen pflegt. Die höchste Gesundheit des Körpers ist zu gleich mit dein freiesten Gebrauche der Geisteskräfte in der Regel verbunden; eine merkwürdige Thatsache, worin der höchste Triumph derjenigen Kunst sich zeigt, die den Menschen bildete. VI, 416. Man sollte eher eine noch größere als eine geringere Abhängigkeit des Geistes vom Leibe erwarten, wie die, welche die Ersahrung zeigt. V, 149. Von dem Phantasieren und Denken eines Menschen hängt ab sein An schauen und Merken, überhaupt sein Interesse. Jeder Mensch hat seine eigene Welt, auch bei gleicher Umgebung. V, 147. Von äußeren Eindrücken der Umgebung hängen die verschiedenen Vor stellungsmassen ab. Jede neue Umgebung, vollends jede neue Lebenslage bringt ihre eigene, von den übrigen zwar nicht ganz, aber großenteils gesonderte Masse. Bei weitem nicht immer entsteht unter diesen Mässen das rechte zur Selbst beherrschung nötige Verhältnis. V, 151. Bei jedem Menschen erzeugt sich das Ich vielfach in verschiedenen Vor stellungsmassen; und wiewohl daraus bei dem geistig gesunden kein vielfaches Ich entsteht, so ist doch diese Vielheit nicht unbedeutend für Charakterbildung überhaupt und für Moralität insbesondere. Der Knabe, der ein anderer ist zuhause, ein anderer in der Schule, ein anderer unter seinen Spielgenossen: dieser schwebt in Gefahr. Der Mann, der einen verschiedenen Ton hat für Vornehme, Freunde und Geringe, steht moralisch nicht so sicher als der einfache, sich stets gleichbleibcnde. V, 141. Alle Gestalt ist Folge innerer Zustände. — In der That ist die wahre