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10 Wir sehen hochgebildete Nationen neben uns, welche alle Metaphysik ver achten und vernachlässigen. Was wird dem Deutschen leichter als Nachahmung des Fremden, vollends in Beispielen der Ruhe und Gemächlichkeit? III, 341. Übrigens kann alle Metaphysik, so lange ihr nicht Bewährung zuteil wird durch Einstimmung der Denker, jener ähnlich, der sich die Mathematik längst erfreut, nur für einen Versuch gelten; dem zwar Kühnheit wohl ansteht, so lange er nur Forschung ist und unter Forschern bleibt, der aber sich selbst verderben und entehren würde, sobald er sich drängte zum dreisten Eingriff in die Geschäftigkeit der Erfahrenen, und in die Gefühle derer, welche nur leben im Glauben. III, 48 Man versenke sich in das Nichts, wie man will; der Lauf der Welt geht dennoch fort. Nun kann man zwar recht gut von der Welt den Weg finden zum Nichts ; aber alsdann findet man den Rückweg verschlossen. Man gelangt nicht wieder vom Nichts zu der Welt! Man kann zu jeder Sache, zu jedem Ereignis sprechen: du bist nichts und du schaffst nichts! Aber die Sachen fahren fort zu erscheinen, und verwickeln uns in die Frage, woher denn wohl der Schein kommen möge. IV, 69. Die Erfahrung ist keine unmittelbare Erkenntnis; sie will durchdacht sein, um es zu werden. Dies Durchdenken kann in seinem Beginnen nur die Form eines vollkommenen Streites wider sie annehmen. III, 308. Die Ontologie liegt in einer Tiefe, wohin die Wurzeln solcher Bäume, die dem praktischen Leben unmittelbar Früchte tragen sollen, nicht reichen. IV, 144. Es gilt, eine Metaphysik zu haben, die uns erlaube, zu handeln. Uni sie zu erlangen, müssen wir einräumen, daß auch wir behandelt werden. Be handelt in den inwendigen Wurzeln unseres Wollens. Behandelt und ein Werk anderer an eben der Stelle, die von unserm eignen, persönlichen Wert das Gepräge tragen soll. Hier gilt es, eine Philosophie zu haben, welche erkläre, wie unser eigner Wert das Verdienst anderer sein könne, vermöge einer doppelten Zurechnung, die uns nicht nehme, was sie anderen giebt. So werden wir lernen, dankbar gegen die Vorzeit den Dank der Nachwelt anzu streben, über uns selbst aber zu wachen, und zu gleicher Sorgfalt unsere Freunde und Mitbürger anzuregen. IX, 33. Die Kirche ist eine unschätzbare Wohlthat für den Menschen — nur nicht in Hinsicht der Spekulation. Dieser frommt einzig die völlige Unbefangenheit des Mathematikers; aber keinerlei Bestreben, für oder wider eine Sache zu reden. XII, 207. Die Menschheit ist nicht etwa ein dem Urlichte entquollener Strom, der immer weiter in tieferer Dunkelheit erlischt, noch ein ans dem Urschlamm aufgärender Lichtquell, sondern sie steht durchaus in der Hand der ewigen Liebe, welcher der letzte Mensch so nahe ist als der erste. XII, 691. Man wird oftmals an Männern von strengen Grundsätzen und von geordneter Lebensführung, die keinesweges Religion auf den Lippen zu tragen gewohnt sind, bei näherer Bekanntschaft entdecken, daß sie sich stillschweigend in ihrem Innern sehr fest an die Stütze der Religion anlehncn; man wird hören, wenn sie sich eröffnen, daß sie dieselbe als ganz unentbehrlich betrachten, und man hat hier nicht im geringsten Grund, an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln; denn es ist ganz natürlich, daß sic eben darum, weil Güter und