96 Menschenkunde. und des Wohlbehagens in dem wieder erwachten Geiste und neu gekräftigten Körper zurück. Der Schlaf ist für unfern Körper eine große Wohlthat. Da die willkürlichen Muskeln und Nerven während seiner Dauer ruhen und alle anderen Werkzeuge langsamer arbeiten, so ist die Menge der entstehenden Zersetzungsstoffe viel geringer als im wachen Zustande. Da aber Blutumlauf und -reinigung auch während des Schlafes ihren Fortgang haben, so kann der in der Rinde des großen Ge hirns angehäufte Zersetzungsstoff in dieser Zeit entfernt, die ver brauchten Hirnstoffe ersetzt und auf diese Weise die Leistungsfähigkeit des Gehirns wiederhergestellt werden. Durch den Schlaf befreit sich darum das Blut von den Zersetzungsstoffen, mit denen es sich während des Wachen Zustandes mehr und mehr beladen hat. Dafür sammelt es Sauerstoff an, der nach dem Erwachen sofort in allen Werkzeugen des Körpers eine lebhaftere Lebensthätigkeit hervorruft. Wir gebrauchen also im Schlafe nicht nur weniger Sauerstoff als beim Wachen, sondern nehmen auch wegen der tieferen Einatmung mehr auf. Dieser während des Schlafes in den Geweben auf gespeicherte Sauerstoff wird alsdann im wachen Zustande wieder ver braucht. Darnach ist der Eintritt des Schlafes ein Zeichen oder eine Wirkung des beginnenden Sauerstoffmangels der Gewebe und mithin auch des Gehirns. Daher gähnt man auch, wenn man müde wird, zum Zeichen des eintretenden Sauerstoffbedürfnisses, und deshalb kann man sich auch durch Tiefatmen besser als durch andere Leibes bewegungen noch eine Zeitlang wach erhalten. Das Erwachen erfolgt dann, sobald die Gewebe genügend mit Sauerstoff gesättigt sind. Daraus wird auch der große Einfluß des Schlafes auf die ganze Ernährung und Lebenshaltung ersichtlich. Leute, die an dauernder Schlaflosigkeit leiden, magern ab, weil sie den Fehlbetrag ihres Körperhaushaltes an Sauerstoff nicht aus den sonst während des Schlafes sich füllenden Niederlagen, sondern aus den Geweben selbst durch deren Zerfall beziehen müssen. Bei Kindern ist der Sauerstoff verbrauch und darum auch das Schlafbedürfnis um so größer, je jünger sie sind und je lebhafter die Ernährung und das Wachstum in ihrem Körper vor sich geht, während umgekehrt alte Leute wenig Schlaf bedürfen; denn ihre Ernährung erfordert wenig Sauerstoff. Der Schlaf stellt sich als eine Forderung der erschöpften Natur ganz von selbst ein, und wenn die Ermüdung besonders groß ist, so können wir uns seiner auf die Dauer nicht erwehren, sondern sind seinem Einflüsse machtlos unterworfen. Hingegen sind wir auch nicht imstande, jederzeit, wenn wir wollen, einzuschlafen. Trotzdem können wir einen gewissen Einfluß auf unser Schlafbedürfnis gewinnen; denn wir können uns gewöhnen, zu einer bestimmten Zeit einzu schlafen und auch wieder zur gewissen Zeit aufzuwachen, ähnlich wie wir uns gewöhnen, zu bestimmten Zeiten die Mahlzeiten einzunehmen.