reden ist das gewiß nicht! — So lange in den Kirchen eine andere Sprache geführt wird, als im Leben, so lange zweierlei ganz verschiedene Anschauungen neben einander künstlich erhalten werden, kann es keine wahre Religiosität geben. Niemand, der nicht ein vollständig zerfahrener, charakterloser Mensch ist, kann in der Kirche nach dem 16., und im Leben nach dem 19. Jahrhundert denken und fühlen. Ter Riß, der hier unser wissenschaftliches und praktisches Leben von dem kirchlichen trennt, ist unser Unglück, ist die große Lüge der Gegenwart! Gerade die besten Elemente, die ehrlichen und kraftvollen Naturen müssen auf diese Weise der Kirche sich entfremden. Den Agitatoren aber sind willkommene Anknüpfungspunkte geboten, um die Religion überhaupt als Ge gensatz zu Bildung und Vernunft darzustellcn. Dazu noch das noch immer nicht vollkommen entschwundene „Pastorenthum", welches seine Würde dadurch aufrecht zu er halten meint, daß es nicht nur durch den Schnitt der Kleidung, sondern auch sonst durch strenges, steifes Wesen von den Andern sich unterscheidet. Wie absichtlich sind so den Leuten spöttische Bemerkungen auf die Lippen gelegt, die dann leicht von der Person übertragen werden auf das, was die Person zu vertreten hat. Ein Prediger braucht deshalb nicht ein Modehcrr zu sein, oder nach dem Ruhm eines guten Gesellschafters zu streben, sondern er soll nur Jedem andern gebildeten und geachteten Beamten gleichen. Dem Ansehen seines Amtes wird dadurch nichts ver geben, wohl aber seine Wirksamkeit durch ungezwungnen Umgang mit seinen Gemeindegliedern erheblich gefördert. Er lernt den Einzelnen mehr kennen, thut tiefere Blicke in die Zustände der Gesellschaft, in die Bedürfnisse des menschlichen Gcmüths, als wenn er in stolzer Abgeschlossenheit verharrt, als wollte er mit den „Kindern dieser Welt" keine Gemeinschaft haben. Manches kann er im Gespräch mit Andern berühren, was er in derselben deutlichen Art im Amte nicht sagen kann, manchen Jrrthum,