Phrasen über religiöse Gegenstände getrieben, weil sie meinen, dadurch ihre geistige Reife, ihr hohes Zeitverständniß an den Tag zu legen. Wer in der Kammer oder in dem Abgeordnetenhause sitzt, versteht nach der Meinung solcher Redner Alles. Was braucht man erst Theologie zu studiren, oder doch gründlich um das Kirchenwesen sich zu kümmern und durch eigene Erfahrung zu prüfen: ob in den Kirchen wirklich weiter nichts gethan, als an der Verfinste rung des Volks gearbeitet wird? Dazu giebt es weder Zeit noch Lust. Noch lebendiger und radicaler aber, als auf den Reichs- und Landtagen, geht es oft in den Wahlversammlungen zu. So er klärte, wie die evangelisch-lutherische Kirchenzeitung berichtet, der für die Thomasparochie zur Kölner Kreissynode gewählte Stadt- syndicus Zelle in einer Wahlrede die Kirchen einfach für „geistige Gifthüttcn". Der Boden zur Empfänglichkeit für solche Reden ist schon vorbe reitet unter dem Volke durch die Vorträge der Freireligiösen und So- cialdemocraten. Stimmen die übrigen Liberalen auch sonst nicht mit ihnen überein, da sie immer noch etwas auf ihr Capital halten und auf ihren anständigen Anzug, so ist doch hier auf dem religiösen Gebiet der neutrale Boden, wo alle Parteien gemeinschaftliche Sache machen. Nur auf die politischen und nationalöconomischen Ma rotten der Socialen ist die liberale Bourgeoisie erbittert; sonst können die freigesinnten Wanderprediger sagen, was sie wollen. Vielleicht ist hierin auch ein Grund dafür zu suchen, daß man von gewisser Seite weit entrüsteter sich zeigt über vorübergehende Beeinträchtigungen der öffentlichen Ordnung oder über Majestäts beleidigungen, als über die Verletzung des religiösen Fühlens und Glaubens, wie es von diesen Volkspredigern ausgeht. Niemand könnte systematischer verfahren in gemeinverständ licher Verspottung der bestehenden Religion und ihrer Gebräuche, i) Evangelisch - luther. Kirchenzeitung 1874 Nr. 25.