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94 Mit dem Vater stehe ich jetzt in recht gutem kindlichem verhältniß wieder. Du weißt, daß theils unser Verhältnis zu einander, theils andre Zufälligkeiten, selbst Verkleinerungssucht Andrer mich etwas von ihm ent fernt hatten. Jetzt ist das gehoben, wir fühlen uns wieder wohler zu einander und er küßt mich recht väterlich. — Ls ist mir diese Verände rung unendlich lieb, wiewohl mich immer das Bewußtsein, mit Redlichkeit und Anstrengung meine Pflicht gethan zu haben, für den Mangel seiner Anerkennung schadlos hielt. Montags, den sh Jan. Gestern sind unsre 5 lieben Freunde, H. Hientsch, Rortum und Griepen- kerl aus Hofwyl angekommen; wir gingen ihnen (d. h. Ackermann, Schacht und ich) bis Toncise entgegen — brachten dort einige recht vergnügte Stunden zu. . . Als wir wieder in Zferten waren, fanden wir unter den Töchtern eine gar liebliche Maskerade. Das Ganze stellte eine türkische Scene vor. Die Sauvan war Groß-Sultan, die pfyffer Sultanin, die andern Töchter theils türkische Hofdamen, theils Tänzerinnen; Emilie mit 2 andern war Lautenspielerin und hatte mit ihrer Guitarre und übrigen Rostüm ein recht liebliches Ansehen, so auch die Nanette und Marie als 2 Tscherkasserinnen. Bei der ganzen Scene waren viel Tänze, Gesang und Musik verflochten — der Groß-Sultan mit der Sultanin saßen unter- deß auf großen Polstern, zu ihren Füßen 2 Sklavinnen, die kleine Heusi und die St. Galierin. Ls machte uns allen, auch dem Vater, vielen Spaß. Späterhin wurde noch mehr getanzt und ich spielte diesem türkischen Hof staate das Klavier. Heute ist nun alles mit Vorbereitungen zu dem morgenden Feste be schäftigt, es werden noch 2 große Lonzert-Proben sein. Die Rinder haben schon seit 8 Tagen immer bis in die Nacht um s—2 Uhr gearbeitet, da sie etwas sehr Großes und Schönes machen. Sie haben keinen von uns Lehrern bis jetzt etwas davon sehen laßen, um Alle zu überraschen. . . . Dienstags den s2. Jan., Abends nach HO Uhr. So eben habe ich mich aus dem Gewirrs des Rinderballs entfernt, um ein Stündchen in stiller Liebe bei Dir zu sein, meine liebe, liebe Re nate! — ach wie ist mir doch alles so leer, so wenig, so ungenügend ohne Dich, wie stehst Du in jedem Augenblicke vor meiner Seele, wie hat Dein Bild mich heute immer, immer umschwebt — o meine Renate, Du schriebst in Deinem letzten Briefe: „Denk an Vaters Geburtstag an Deine Renate" — Du Theure — fast der ganze Tag ist ein Gedanke, nur ein Gefühl gewesen — selbst in seinen feierlichsten, schönsten Augenblicken tratest Du nur desto lebendiger vor meinen Geist — ich dachte immer nur: „o wäre Sie da" oder „sonst war Sie da bei dieser schönen Feier!" — Ze höher und schöner der Lebensgenuß ist, desto mehr werde ich mir in meinem Innersten bewußt, ich habe keinen vollkommenen, ganz befrie digenden, mein volles Herz ausfüllenden mehr getrennt von Dir, unver einigt mit Dir. Nun eine kleine Beschreibung des heutigen Tages! Lr war herrlich, unvergeßlich, voll eindrucksreicher, rührender Auftritte. H — r) Über dieses Fest schreibt Rosette Kasthoser an Muralt in Petersburg (Mors IV, S. 409): „Von allen Festen, denen ich seit vier Jahren hier beigewohnt, war keines, das