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87 Freundschaft und Liebe — wir sind ost bei einander und sehr vertraut. Ls hat mir lange weh gethan, daß ihn Lmilie nicht aus voller, ganzer Lee le lieben konnte. — Doch that sie recht, da sie einmal nicht konnte, sich nicht zu täuschen. Unfern Niederer bringt sein litterarischer Streit mit B remi in eine leidenschaftlich exaltirte Stimmung. Seine Natur hat große Tugenden, aber auch große Fehler. Lr ist ein wundersamer Mann. Sobald seine innere große Gluth auf etwas Unedles sich wirft (wie in der That sein leidenschaftliches Zanken mit Bremi ist), so verzehrt sie sich selbst, ohne wohlthätig zu sein; sobald er aber mit eben der Gluth das hohe Ldle erfaßt, so fesselt er und reißt hin. Die Natur gab ihm ein gewaltig heißes Blut, dabei aber auch einen tiesdenkenden, scharfsinnigen Geist. Innerlich befriedigt, ruhig und glücklich lebt er nicht, und in dem leidenschaftlichen Zustand, worin er jetzt ist, vermag er auch andere nicht zu beglücken. U)ir sind jetzt alle mit ihm nicht zufrieden und von Fremden und Einhei mischen wird ihm unendlich oft das Nachtheilige und Unwürdige seines leidenschaftlichen Streites vorgestellt — doch immer umsonst. Dem In stitut hat er sich jetzt fast ganz entzogen und kommt wochenlang kaum ein mal unter uns. Immer sitzt er auf seiner Stube und brütet über seinem Kampf. Das Traurigste dabei ist, daß Bremi eine so unbedeutende Natur ist, daß er dieß Aufheben gar nicht verdient, und ein Freund schrieb Nie derer kürzlich: Wenn Dich ein Fischweib auf dem Markte stieße, würdest Du hintreten und mehrere Stunden lang vor aller Augen Dich mit ihr herumzanken? oder wie ein Weiser still vorübergehn? st Unser Institut befindet sich in einer sehr kritischen und bedenklichen Lage. Die Anzahl sämtlicher Kinder ist auf 50 herabgeschmolzen, was viel ökonomische Ver legenheiten verursacht. Mehrere Lehrer wollen fort, z. B. Weilenmann, Göldi pp. Herr Lgger geht aufs Frühjahr nach Ungarn. Pestalozzi selbst hat großentheils den Muth verloren und sagte mir und Schacht kürzlich, er wünschte zu Ostern auf den Neuhof zu gehen und dort eine Armenschule anzulegen, welches sein erster, frühster Wunsch war. Krüsi wirkt nicht kräftig und lebt mehr in seiner Häuslichkeit. Mich selbst befriedigt das hiesige Leben, wie es jetzt ist, nur wenig mehr, und glaubte ich nicht, gerade in der jetzigen Lage mit aller Kraft und Fleiß am nöthigsten zu sein, würde ich es gegen eine andre Lxistenz gar nicht ungern vertauschen. Doch da von theile, liebe Renate, niemand anders etwas mit. Ich hoffe, so Gott will, mit aller Geduld, Aufopferung und Anstrengung auszuharren, auf alle Fälle ein Jahr noch. — Das nächste Jahr entscheidet gewiß über das Schicksal dieser Anstalt. . . . Montag, 7. Dezember. . . . Die Töchter hatten gestern ihre erste Sontags Societät wieder. Lmilie, Igf. Burkhard und Schultheß waren die ctaruss äs irmisou. Wir stellten allerlei lustige Spiele an, pantomimische Künste, Handwerk — auch Sprichwörter; dann aber setzten wir uns in einen großen Lirkel und spielten ein äußerst lustiges Pfänderspiel (es stellt sich einer mit einer Violine in die Mitte und spielt irgend einen bekannten Gesang, st Bergl. über diesen Streit die ausführliche Darstellung bei Morf IV, S. 326 ff.,