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55 Samstag, den 29. August. . . . Heute will ich Dir nur diese wenigen Zeilen schreiben; wir haben noch Lehrerversammlung, und die dauert immer bis ss Uhr. . . . Sontags d. 30'°" Aug. Hier hast Du die Geschichte des heutigen Sontags, lieber Engel. Früher als gewöhnlich kam heute der Vater in unsre Schlafsäle und weckte uns, indem ein angekommener Prinz aus Neuß sich schon nm 5 Uhr hatte anmelden laßen, der sein Institut besehen wollte. Nasch standen wir und die Rinder auf, — allein — wie es bei solchen Herrn immer heißt, früh gesattelt und spät geritten — der Prinz kam erst gegen 9 Ahr. Unterdeß brachte ich eine heitre Morgenstunde voll seliger Erinnerung im Garten der Töchter zu. . . . plötzlich wurde ich gerufen; der Prinz war gekommen, und ich mußte ihm nun den Gang der Geographie nut einigen Rindern zeigen; es war ein ziemlich junger, lieber Mann, höchst einfach und human, mit dem ich recht viel über das ganze Fach sprach. Drauf ging unser Schloß-Gottes dienst an. Ls predigte heute mein neu angekommener Freund aus Sachsen, H. Bornemann; er gefiel allen sehr gut und sprach mit vielem Gemüth und innrer Wärme. Seinen Vortrag werde ich Dir abschreiben oder ab schreiben laßen und nächstens überschickcn, er wird Dir gewiß recht sehr gefallen. Du sollst, wie ich Dir schon einmal schrieb, alle hier im Schloß gehaltenen predigten bekommen. — Nach der predigt ging ich mit meinem I. Landsmann in der Allee Hinterm See herum und hatte ein sehr inter- eßantes Gespräch über die Fülle des Gemüths. Die Igfr. Rasthofer bat mich darauf, heute die Gesellschaft der Töchter mit zu begleiten, und da ich es schon 3 Sontage ungeachtet meines besten Willens nicht hatte thnn können, so schlug ich es dießmal keinen Augenblick aus. Wir gingen nach 3 Uhr fort; unter den Herren waren H. Dreist, Henning, Burkhard, Acker mann, Bornemann, patzig und Hr. Graff aus Berlin noch mit. Wir gingen nach Obies auf daßelbe Landgut, wo wir kurz vor Deinen: Ab gänge auch einmal einen so vergnügten Sontag zubrachten, weißt Du noch, lieber Engel, wo wir so vergnügt Rirschen pflückten und aßen, tanzten, spielten und nut verbundenen Augen nach einem Topf zu gingen, um ihn zu treffen? In der Gesellschaft der Töchter unterhalte ich mich immer am liebsten und meisten mit Deiner Emilie, mit der Elisa, mit der Liesette und der pfyffer. In Oüsr selbst, in dem lieben herrlichen Gbst- Garten ward mir die Erinnerung einigemal so schmerzlich und stark, daß ich die spielende Gesellschaft verlaßen und mich auf einen einsamen, stillen Weg wegstehlen mußte. . . Den Rückweg nahmen wir über das Signal von Grandson, wo wir den ruhigen, schönen Abend nut Gesängen feierten, gingen drauf durch Grandson selbst — wo ich längere Zeit die Lands männin, Burkhards Schwester, führte; sie scheint ein gutes Mädchen zu sein, hat aber nicht das geringste Anziehende für mich, ich möchte fast sagen, sie ist mir zu verständig, selbst auch in ihren: Gefühl, und überall vermisse ich so schmerzlich die Rrone, das höchste der weiblichen Natur, die sanfte, milde Nuhe, die Grazie der Bescheidenheit, den zarten, sittlichen Tact, der überall das Wahre sieht und das Gute thut und so unsichtbar mächtig alle Herzen an sich zieht.