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117 aber nach irgend einer Beseelung der Züge suchte man vergebens; es ließ Zu versicht und Keckheit erwarten, aber keineswegs einen denkenden Geist oder irgend eine künftige Größe des Mannes. Er schien gemalt, ehe sich die in- wohnende Selbstsucht des Jünglings konnte geltend gemacht und die Keckheit zur eigentlichen Arroganz umgewandelt haben. . . . Nachdem Referent einige Zeit in Jferten gewesen, hörte er von einem Besuche, womit Herr Schmid eben das Institut beehre, i) Er freute sich der Gelegenheit, ihn zu sehen, und bemerke, wie Vater Pestalozzi in einiger, zu gleich mit Freude über die Ankunft des verlorenen Sohnes vermischter Ver legenheit sich befand. Bald darauf wurden alle Lehrer und Erwachsene zu einem Vortrage des Angekommenen in das erwähnte Besuchszimmer Pesta lozzis eingeladen. Man war versammelt. Herr Schmid trat herein, kein Jüngling mehr, wie der dort abgebildete, sondern ein Mann, und wiewohl erst etwa 26 Jahre, doch bei weitem älter aussehend. Kalt in seinem Äußern, schien er weder bewegt von seiner Wiedererscheinung in diesem Kreise, noch von den Aussprüchen, die er hier vorzutragen gedachte. Er eröffnete uns, daß er zu einer neuen Schrift eine Vorrede gefertigt habe, die er hier vorlesen wolle, um seine Ansichten noch vor dem Druck dem Institut mitzuteilen. Darauf begann er die Lesung. Die Grundlosigkeit der Urteile, das Zusammengewürfelte der Sätze, das Ungebildete der Sprache sprang in die Augen, wurde aber überboten von der Dreistigkeit, womit er hier in Pestalozzis Gegenwart aller Pädagogik, samt der Pestalozzischen, den Stab brach. Ohne Schonung, keineswegs motiviert durch den Drang eines Pflichtgefühls, welches eine tief empfundene Wahrheit, und wäre es selbst zur Kränkung eines verehrten Menschen, auszusprechen be fiehlt, trug er sein Geschreibe vor. Niemand hatte ihn dazu aufgesordert. Nichts hatte ihn genötigt, seinen Pflegevater aufzusuchen, um ihm Leides zu thun. Es ist aber schwer zu sagen, was die Anwesenden mehr in Staunen setzte, die Keckheit des Vorlesers oder die Langmut des alten Vaters und seiner älteren Freunde, die ihrem gerechten Unwillen nicht auf der Stelle Luft machten. Auf Pestalozzi, das sah man klar, machte das Gehörte einen schmerz lichen Eindruck; tiefer Kummer überzog sein Gesicht; er begann auf und ab zu gehen, sobald der Gegner geendet hatte, und sagte, wehmütig und halb laut: Laß drucken! — Dann trat er, sich fassend, stärker mit dem Fuße auf und setzte laut hinzu: Laß drucken, wir wollen auch drucken lassen! — Der Andre, ungerührt, setzte sich auch in Bewegung und erwiderte: Ja, ich weiß jetzt mehr, als sonst. Ich hatte damals noch nicht den Euklid und So krates (!!) gelesen. Pestalozzi murmelte noch einiges und ging fort. Die Versammlung löste sich auf. Herr Schmid reiste ab. Dem ungeachtet blieben seine Lehrbücher im Institut im Gebrauch, und ihn selbst betrachtete man als einen tüchtigen, unternehmenden Charakter, der schon ausgären, von seinen Irrtümern zurückkommen und sich veredeln werde. . . . Daß das Herz des leicht zu täuschenden Pflegevaters den Sohn nicht aufgab, ist begreiflich und verzeihlich. Weniger begreiflich aber ist es, daß ... Herr Niederer selbst Schritte zur Aussöhnung mit Schmid gethan und ihn wieder an Pestalozzis ft Morf erwähnt diesen Besuch auch, ohne nähere Zeitangabe (IV, S. 396), mit der Bemerkung, Schmid habe sich in der Lehrerversammlung vermessen, den Euklid herabzusetzen, wofür ihn Pestalozzi derb zurechtgewiesen habe. Er dürfte in das Jahr 1811 fallen. Der Besuch im Herbst 1813, dessen Morf auf derselben Seite gedenkt, fällt schon nach Schachts Weggange von Jferten. Vcrgl. auch S. 77.