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115 wo eigentlich auf äußern Anstand gesehen wurde; aber sonst konnte sie dem Hause nichts sein. Es fehlte daher die Sorglichkeit der Familienmutter und jener Antrieb zur Ordnung, Reinlichkeit und zum gesitteten Benehmen, welchen die Anwesenheit der gebildeten Frau gebietet und zu wecken weiß. Ebenso vermißte man die in so großer Wirtschaft nötige Genauigkeit und zweckmäßige Sparsamkeit. Die verschiedenen Teile der Verwaltung bestanden jeder für sich, ohne gehörige Verbindung. Nach einer gebietenden Oberaufsicht über alle fragte man vergebens. Zwar ließ sich für die kleineren Knaben in meh rerer Hinsicht auf die Pflege der gutherzigen Frau Krüsi rechnen, die außer dem als Schaffnerin gewiß nur den Vorteil des Hauses gesucht hat. Sie besaß aber nicht das umsichtige Auge, die nötige Einsicht und die Kraft, um das übrige weibliche Personal, wovon sie ohnehin an Stand und Lebensart wenig entfernt war, beherrschen zu können.*) . . - Pestalozzi selbst hat nie verstanden, Besitz zu wahren, geschweige zu vergrößern; aber die Berichte seines Bureauvorstandes mußten ihm zu Herzen gehen und drückten ihn zu weilen so, daß er in Gang und Mienen das Bild der Schwermut war. Er glaubte, er müsse selbst eingreifen und der vorhandenen Unordnung steuern; da ihm aber der Blick fehlte, das Wesentliche vom Zufälligen zu unterscheiden, so ärgerte ihn meistens nur dieses; er schalt über Kleinigkeiten, im Wesen bliebs nach wie vor. Daß jemand fehlte, der die Lenkung des ganzen Hauses in Händen habe, fühlte er wohl, stieß aber redlich gemeinte Anerbietungen wackerer Männer zurück, fast aus Mißtrauen, indem er fürchtete, man wolle ihm die Herrschaft seines Hauses entreißend) In der That hätte er auch einen Teil seines Willens opfern und seine Neigung zum Wohlthun beschränken müssen. Jedoch mochten ihn wohl gar keine Rücksichten in diesem Verfahren bestimmen; vielleicht war es nur, ihm unbewußt, eine innere Geringschätzung der Kunst, äußere, zur Erhaltung eines unternommenen geistigen Werkes nötige Bedingungen zu berechnen, insofern nämlich diese Kunst die vorzüg lichste eines Menschen, und nicht bloß ein vollkommenes Nebentalent sei. . . . Übrigens blieb das Bedürfnis ökonomischer Rettung in jenen Jahren, von denen hier die Rede ist (1810—1813), noch ziemlich im Hintergründe; En thusiasmus und lebhafte Thätigkeit verhüllten dem Blick jene betrübende Aus sicht. Noch lebte der Alte selber unter Lehrern und Zöglingen, noch hatte sich keiner zwischen ihn und sie hineingedrängt, um Erkältung zu veranlassen, und noch hielt die Liebe zu ihm und zur Sache das Ganze zusammen. 3) Die mangelnde Negierungskraft ersetzten in mancher Hinsicht die auch unter der tüchtigsten Leitung einer Anstalt stets nötigen Lehrerversammlungen, wo man über die Bedürfnisse und Behandlungsweise der Zöglinge, über Zu sammenhang der Klassen und Unterrichtsfächer, über Gesetze zur Erhaltung der Hauspolizei und über manches Nötige sonst sich besprach und geeignete Beschlüsse faßte. . . . Man wollte auch die Zusammenkünfte benutzen, um die 0 Sie war die Frau des Kellermeisters Krüsi, dessen Bruder als der älteste Gehilfe Pestalozzis bekannt ist. Vergl. S. 81. 2) „Er will die Alleinherrschast behaupten und darum keinem Menschen, selbst Mieg nicht, die nötige Vollmacht erteilen", schreibt Rosette Kasthofer 1813 an Muralt (Mors lV, S. 412); Mieg aber war der uneigennützigste und zugleich in ökonomischen Dingen kundigste Freund Pestalozzis. 3) Unmittelbar nach Schachts Weggange von Jferten brach die ökonomische Krisis aus. Am 9. Juli 1813 nötigten Niederer, Krüsi, Mieg und die Kasthofer Pestalozzi zum Hören. „Von 9 Uhr morgens bis nach 12 Uhr setzten wir ihm den Zustand des Ganzen, wie er ist und wie er ihn einsehen sollte, in seiner Nacktheit vor Augen. ... Es waren schreckliche Stunden für ihn und für uns. Man drang in ihn, einen Plan zu machen, . . . damit er