Volltext Seite (XML)
114 schrankenlos war. Gegen dies wichtige Geschäft war ihm die Ordnung des Hauses gering. Zu einer Stunde, wo nicht gerade dies oder jenes von einem Fremden erwähnte Fach getrieben wurde, verlangte er, daß es sogleich geschehe, und ertrug es nur höchst mühsam, wenn ein Lehrer, was wiederholt der Fall war, es als ordnungswidrig verweigerte.') Alles Auffallende und womit man glänzen konnte, ward den Fremden vorgeritten. Ganze Klassen mußten den eben erteilten Unterricht auf der Stelle verlassen, weil atemlos Botschaft über Botschaft kam und sie auf Pestalozzis Zimmer beschick, wo die Methode ge zeigt werden, sollte. Hörte dann der unruhige Greis die Fremden aus Höf lichkeit oder Überzeugung schmeichelhafte und bewundernde Worte sagen, so fühlte er sich höchst beglückt. . . Der Grund lag eigentlich darin: Pestalozzi fühlte, daß die Anstalt nicht das völlige Abbild seines eigenen Wollens sei.^) In manchem, was unter seinen Augen geworden, fand er sich nicht wieder; und doch, wie sie auch dastand, sein Werk war ja darin. Was er in seinem Leben gedacht und ersehnt, davon war hier wirklich ein wesentlicher Teil in That übergegangen. Er hatte wirklich etwas durchgesetzt, dem die Anerken nung vieler zu teil geworden. Er wollte, daß ihm die Anerkennung aller zu teil werde, denn das Heil der Menschheit lag ihm daran. So nun voll Ge fühl der Notwendigkeit seines Thuns, jedoch besorgt und ungewiß, ob das, was er um sich sah, auch wirklich sein Thun sei, voll Angst, daß es verloren gehen und vernichtet werden könne durch Neider und Feinde, die ihm seine Phantasie schuf, verwundete ihn der leiseste Tadel stark und der starke ge waltig, so daß er der höchsten Anstrengung fähig gewesen wäre, um ihn zu entkräften. Jedes Lob dagegen that ihm unendlich wohl. Aus dieser besorg- lichen Liebe zu seiner Sache, aus dem peinlichen Gedanken, vielleicht vergeb-, lieh gelebt zu haben, aus der Mut gebenden Vorstellung, daß die Welt durch ihn Erziehungsmittel erhalten, die sie vorher nicht gehabt habe, entsprang das seltsame, oft unterthänige Benehmen des Mannes gegen Fremde, die mitunter nicht wert waren, ihm die Schuhriemen aufzulösem Wer den Grund nicht kannte, schüttelte zweifelhaft den Kopf über den alten Republikaner oder bildete sich ein, ihn bemitleiden zu dürfen. . . In der Betrachtung der sichtbaren Unfähigkeit Pestalozzis zum Regieren entsteht die Frage: wer den Geist der Methode, da selbst der Meister abgeirrt, festgehalten habe; ferner wie es mit der äußeren Besorgung so vieler Knaben, wie mit der Beachtung von Küche und Keller und der Wirtschaft überhaupt beschaffen gewesen. Pestalozzi ließ seine Methode sehen; konnte er auch sein Haus präsentieren? Er beabsichtigte ein wahres Familienleben; hat er dies wirklich erreicht . . . und warum ist der Hausmutter noch nicht Erwähnung geschehen? . . . Eine Hausmutter war in der That ein wesentliches Bedürfnis. Frau Pestalozzi, die damals noch lebte, mochte nicht die Eigenschaften einer Haus mutter besitzen. Zudem war sie alt, älter als ihr Gemahl, und kam selten von ihren Zimmern, wo sie, mit weiblicher Arbeit beschäftigt, im Lehnstuhl saß und etwaige Besuche freundlich empfing. Bei ihr war der einzige Ort, 1) Das durfte überhaupt wohl nur ein Lehrer wagen, der eine so unabhängige Stellung wie Schacht hatte. Blochmann z. B., der zu den von Pestalozzi angestellten Lehrern gehörte, berichtet au vielen Stellen, daß er seine Geographie zu beliebiger Stunde den Fremden „zeigen" mußte, so sehr widrig ihm das auch war. Vergl. u. a. S. 72. 2) Man dars nicht außer acht lassen, daß Schacht dies und das folgende im Jahre 1823, bevor Pestalozzis Lebensschicksale bekannt wurden, ausgesprochen hat.