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N3 ziehend davon zu reden. Da aber bei jedem Vorfall, der Gefühl und Imagi nation aufreizt, diese beiden Kräfte schon mit dem Urteil hervortreten, ehe noch der Verstand das ihm zugehörige Amt verwalten kann, so helfen ihm alle Erfahrungen nichts. Man hat ihn mit Rousseau verglichen; es ist auch eine gewisse Ver wandtschaft beider Geister nicht zu leugnen. Wie aber wollte man an Rousseau rühmen, daß seine so lebhaften Gefühle aus eben so reinem Herzen entsprungen seien als in Pestalozzi? Die Verschiedenheit beider ließe sich vielleicht schon an ihren inneren Herzenswünschen erkennen. Wenn der Genfer in Rückerinnerungen an sein früheres Leben schmerzlich bedauert, daß er nicht bei diesem und jenem Handwerke oder anderm Geschäfte, wo sich ihm in der Jugend Veranlassung bot, geblieben sei, so hat Pestalozzi nie etwas andres als das Glück andrer, und nur darin sein eigenes gesucht; und spricht er, wie jener, vom verfehlten Leben, so geschieht's, weil ihm nie die Erfüllung seines liebsten Wunsches geworden, Vater einer Armen- und Waisenanstalt zu sein. Darum kann Rousseau von endlicher Seelenbefriedigung reden, wenn er, von der großen Welt und seinem Ruhme fern, auf dem Spiegel des Bieler Sees im Kahne sich hinstreckt und träumt; Pestalozzi dagegen unter den unglück lichen Kindern zu Stanz, denen er Vater, Lehrer und Diener wird. Und wie auch beide in Widersprüche mit sich selbst beraten, soviel ist klar, daß bei Rousseau mehr die Eitelkeit und Selbstliebe überall hervorsticht, bei jenem aber Selbstvergessen und Menschenliebe. Beiden hat Gefühl und Wahn, so innig als feurig, viel Mißverständnisse und Irrungen bereitet; beide aber sind gerade dadurch zu bedeutenden Schriftstellern geworden. Weniger Imagi nation, weniger tiefe Sprache des Herzens, und Pestalozzi hätte, vielleicht mit mehr Verstand, doch nicht so stark auf die Gemüter gewirkt und nicht so viele für die Idee besserer Erziehung begeistert. Wir wollen uns also gern seiner freuen und ihn rühmen, wie er war. Er wäre auch sonst nicht unser Pestalozzi, den wir lieben, und dessen Schwächen sogar mehr der Betrachtung, als des Tadels würdig sind. Was Referent über ihn gesagt hat und, da er eben Hauptmängel seines Instituts aufzählt, noch sagen muß, ist deshalb keiner von den elenden Versuchen, große Männer verkleinern zu wollen. Was Pesta lozzi wahrhaft Neues erfunden, woran noch geraume Zeit die besten Köpfe nur fortzubauen haben, das ist so unsterblich, wie sein schönes Leben und die Idee, welche ihn mehr als ein halbes Jahrhundert beseelt hat. Kehren wir zu unfern Rügen zurück. — Man hat es dem Institut längst und mit Recht vorgeworfcn, daß seine Haltung gegen Lob und Tadel von außen der Würde ermangelt habe. Der Stifter selbst schien in seiner Stimmung häufig nur von dem gleichgültigen, tadelnden oder beifälligen Blick der Fremden abzuhängen, die sein Institut besuchten. Jedem, auch dem bloß Neugierigen, der, bevor er weiterreiste, nur um einige Stunden Zeit vertreib verlegen war, stand Thor und Thür offen, und fast kein Tag zur Sommerzeit verging, wo nicht einzelne Reisende, gewöhnlich aber ganze Ge sellschaften, durch die Klassenzimmer und Säle herumgeführt wurden. Es ist natürlich, daß diese Sehenswürdigkeit in wenigen Tagen andern merkwürdigen Dingen in Natur und Kunst, wie Italien und die Schweiz sie darbieten, Weichen mußte. Im Schlosse schien es aber manchem, als hätten jene Schwärme von Besuchenden nur des Pestalozzianismus wegen sich in Kutschen gesetzt oder den Alpenstock ergriffen. Wenigstens konnte man von dem Alten glauben, er wäre solcher Ansicht, indem sein Eifer, die Fremden zu erfreuen, über die Methode zu belehren und mit ihren Resultaten zu überraschen, fast Israel, Pestalozzi. 8