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112 weshalb es nicht zu verwundern ist, daß man hie und da ein ähnliches Tasten gewagt und der Pestalozzischen Sache nur geschadet hat. Andre verlachten mit den mißlungenen Versuchen auch die Kenntnisse, worin man sich versucht hatte. . . . Wer habe, hieß es, Pestalozzis Sache gleich in ihrem Entstehen gefördert, Gelehrte oder Ungelehrte? Seien es nicht die letzteren gewesen? Und was habe so großes Aufsehen in der Welt erregt? Doch unstreitig die Resultate der mathematischen Übungen. Um Latein zu lernen, komme der Fremde nicht nach Jferten; man bewundere nur Formen- und Zahlenlehre. Das sei der Kern der Methode, daran müsse man sich halten. ... Es war nicht selten, verachtende Reden zu hören über alle außer den vier Thürmen des Jfertener Schlosses befindlichen Schulen der Erde. Hatte doch der Meister selbst so oft gegen alles pädagogische Treiben der Zeit deklamiert, ohne eins unsrer pädagogischen Werke gelesen, noch über irgend eine jetzt vorhandene Schulanstalt sich unterrichtet zu haben. Dieser Unbekanntschaft mit der pädagogischen Litteratur und mehr noch dem eigenen Mangel an wissenschaftlichen Kenntnissen, sowie der Unfähigkeit, Leistungen der Kinder überhaupt beurteilen zu können, muß es zugeschrieben werden, wenn Pestalozzi die Lehrmittel und Leistungen in seiner Anstalt weit überschätzte. Fand sich ein fähiger Kopf unter den Kindern, der in geome trischen Auflösungen eine gewisse Raschheit zeigte, so staunte er über die un geheure Kraftentwickelung. Er sprach in Entzücken davon, als von einem großen Resultat der Methode; und das bekannte Gebot, Kinder nicht durch übertriebenes Lob zu verderben, wurde von dem Reformator der Erziehung hundertfach übertreten. So wahr ist es, daß nicht gerade derjenige, welcher tiefe Blicke in die menschliche Natur gethan hat, auch im stände ist, den ein zelnen Menschen zu beurteilen, und ein trefflicher pädagogischer Schriftsteller noch kein Kind erziehen kann. Pestalozzi wenigstens taugte gar nicht zum Erzieher; schon deshalb nicht, weil er eine Vorliebe für einseitige Kraftförderung gegen vielseitige Bildung hat. Aber abgesehen von dieser Eigenheit . . . fehlt ihm zum Erzieher, wie überhaupt zu einem praktischen Manne, die nötige Ruhe und Besonnenheit. Er hat weniger Charakter, als herrliches Naturell. Man möchte ihn eher ein Natur kind als einen Mann von Grundsätzen nennen. Der erste Eindruck von Sachen und Personen ist bei ihm entscheidend; und war er der rechte, so wird auch sein Urteil treffend sein; da, wo andre erst lange zu reflektieren genötigt sind. Im Gegenfalle wird man bei ihm die seltsamsten Irrungen im Denken und Handeln wahrnehmen. Er ist nicht im stände, den Streit handel zweier Parteien, und wären es nur Knaben, zu untersuchen; er wird geneigt sein, dem, welchen er vorzieht, oder der seine Sache zuerst mit einem Anschein von Recht vorgetragen hat, beizupflichten und womöglich rasch ab brechen, ohne nur die Sache vollständig oder gar noch den andern anzuhören; sei es, daß er aufs herzlichste mit einnehmendem Tone zur Besänftigung rät, oder aufbraust in Heftigkeit und davon geht. So steht er unter der Herr schaft seines Gefühls und seiner Einbildungskraft; indem die letztere, leicht reizbar und geschäftig, ihn bald mit angenehmen Bildern täuscht, bald durch peinliche Vorstellungen beunruhigt; und jenes zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen Demut und Trotz, zwischen tiefem Kummer und seliger Heiterkeit schnell hin und her zu springen vermag, mitunter auch die dazwischenliegenden Grade, wie die Töne der Äolsharfe, und oft gleich diesen nur von Luft be wegt, in Disharmonien wühlend und wiederum köstlich sich auflösend, durch läuft. — Er hat viel Erfahrungen im Leben gemacht und weiß höchst an-