14 die bildende Kunst ebenso in dem Menschen und ist ihm ebenso angeboren wie Musik und Poesie, aber es scheint, als wenn zu jener eine männlichere Kraft gehöre, und das Praktische zu lernen erfordere Zeit bis zu den gesetzteren Jahren. Es haben Jahrhunderte hindurch Männer die Malerei geübt und sie blieb doch in der Kindheit und konnte sich nicht erheben, obgleich das Praktische schon erworben war. Der malerische Geist lag gefangen und konnte nicht aufstreben, bis der große kräftige, lichtvolle Leonardo die Hülle brach — und es ward Licht! Ueberall erschienen jetzt freie Werke der Malerei. In der sirlinischen Capelle schuf Michel Angelv aus sich selbst jenen Gott-Vater im purpurnen Gewände, der den mächtigen Arm ausstreckt, und wo er nur hindeutet, einen Menschen werden sieht. Michel Angelo malte mit dem Verstände. Er wußte, woraus die Sache bestand, und so machte er sie. Tizian arbeitete mit höchster Phantasie; wenn Leben und Bewegung ein Vorzug in einem Bilde ist, so muß er der größte Maler genannt werden. Er wußte das Momentane zu ergreifen, die Bewe gung und das Gefühl, wie es sich im Munde und Auge zeigt. In dieser Weise sah ich ein Bild von ihm, worin ein Kind mit inniger Liebe nach der Mutter blickt; so ist auch das Gesicht der Danae. Endlich stand der Heliodor von Raphael da, groß mit ungebundenem Geiste, und in Parma schwebten die Götter und Engel im offenen Himmel durch die Kuppel in die Kirche hernieder! So lösete Cor reggio vom Grunde die Figur und man sah sie sich drehen und wenden. Da kamen die Caracci, deren Schule noch biS jetzt fortgeht; Guido, der das Kleine als unnöthig verschmähte, u. A. Ich will hiermit nicht sagen, daß vor Leonardo nichts Gutes gemalt sei. Nein, es wurde viel mehr hervorgebracht, als seither geschehen, denn jener Zeit