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12 bequem und so lange als ich nur wünschte an der Wand sehen könnte. Alle meine wiederholten Entschuldigungen waren umsonst und die Damen gingen in ein anderes Zim mer, welches, wie sie sagten, ihr gewöhnliches Arbeitszimmer war; auch befahlen sie dem Bedienten, mir Alles zu leisten, was ich nöthig hätte, die Zeichnung recht zu sehen. -- Ich stieg nun auf den Tisch und betrachtete die Zeichnung Kopf für Kopf. Die Köpfe waren alle sehr meisterhaft gezeichnet und der Charakter von jedem, wie im Bilde, ohne Verän derung. Sie schienen mir daher auch nicht die Skizze zu dem Bilde zu sein, sondern nach dem Bilde gezeichnet, denn die Conloure waren zu rein und dem Bilde zu ähnlich, was gewiß nicht sein würde, wenn es ein Entwurf gewesen wäre. Wie unschätzbar würde es sein, wenn mau die Stu dien hätte, die Leonardo zu diesem Bilde gemacht hat! Als ich die Zeichnung lange besehen hatte und eben Weg gehen wollte, kam die Dame wieder mit einer anderen und sagte mir, diese sei ihre Schwester und die Frau vom Hause. Auch diese war sehr freundlich und bat mich, jeden Tag wiederzukommen und nach Gefallen zu bleiben, so lange ich wollte; sie bedaure nur, daß ihr Mann nicht zu Hause sei, der gern meine Bekanntschaft gemacht haben würde. Ich dankte für die Erlaubuiß und für den Genuß, den mir die vortreffliche und seliene Zeichnung gewährt hätte, und als ich mich schon empfohlen hatte, kam Herr Casanova zu Hauö und ich mußte auf der Treppe mit ihm umkehren. Er war äußerst freundlich, überhäufte mich mit Höflichkeiten, sagte, daß er die Deutschen sehr liebe, und lud mich für heute und für alle Tage, so lange ich in Mailand bliebe, zum Mittagöessen ein; er habe täglich einige Freunde bei sich, Männer von Verdienst und muntere Köpfe, deren Unter haltung mir vielleicht Vergnügen machen könnte. Ich nahm