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Die „Revolution" in Schirgiswalde 1844 nach neuer Darstellung Nach Berichte» und Auszeichnungen von Adolf Knie, Rumburg Nur noch wenige Jahre trennen uns von dem hundert- jäbrigen Jubiläum der Uebergabc der Stadt Schirgiswalde an , en jucigifeben t^kaat. Die (Schilderungen der Umstände, unter neuen die Auflösung 0er ehemaligen Republik vor sich gegangen Ist, snßen ausnahmslos auf der Darstellung in Stoys Chronik ver Gcavt. Auch im Heimatblatt ist sie nach diesem Buche ab gesagt worden. Ans Grund dieses Berichtes meldete sich damals ein Nachkomme des Karl .1 ritsche, jenes Einwohners von dem einstigen Schirgiswalde, der die Ursache zu der Revolution von 1844 gegeben haben soll. Dieser Nitsche wird als ein übel be leumundeter Ncann geschildert, und gegen diese Darstellung wendet sich die Nachkommenschaft, die zum Teil noch heute lebt. Da die in wenigen Jahren fällige feier' der Uebergabe der t/radl an Sachsen die unrichtigen Angaben wieder aufleben lassen könnte, so wird es von Wert sein, den richtigen Sach verhalt zu erfahren, wie er von den Nachkommen des Karl .)ritsche, der Hauptperson der Revolution, auf Grund münd- licber und schriftlicher Ueberlieferungen vermittelt wird. Ver- scbiedene .Nachforschungen haben ergeben, daß die Angaben des Herrn Adolf Knie auf Wahrheit beruhen, und es ist ohne weiteres zu erkennen, daß jener Revolutionär Karl Nitsche ein sehr ehrenwerter Mann gewesen ist. Der Vater des Karl Nitsche war Gasthofbesitzer in Petersbach. Seine Familie zählte fünf Knaben und drei Ncädcheu. Um das Jahr 4842 starb der Vater. Die Ncnrter zog mit den acht Kindern nach Schirgis walde in die Kirchgasse, in das sogen. NitschehauS. Die Mutter Nirscbe erzog ihre acht Kinder streng und ließ sie nicht herum bummeln. Eie mußten frühzeitig arbeiten und mit helfen, das rägliche Brot zu verdienen. Der älteste Sohn hieß Karl. Er spielte später die Hauptrolle bei dem Aufruhr 4844. Mit 27 ^abren kaufte er das Haus in der Niedcrgassc Nr. 25. Heute wohnt der Strumpfwirker Saring darin. Zn h>„er Zeit war c- ein Gasthaus und hieß „Zum gefallenen Reiter". Dem jungen Gastwirt ging es nicht schlecht. Er betrieb nebenbei eine blaue Lotterie, die viel Kundschaft aus Sachsen, Preußen, Schlesien und Thüringen hatte. Die Einschreiber be reisten für ihn weite Strecken. Karl Nitsche betrieb seine Lotte rie als Bankhalter gewissenhaft. Daß er auch in der Stadt angesehen war, beweist seine Zugehörigkeit zum Grmeinderat, die ec bis zu seinem Wegzug von Schirgiswaide 1854 inne hatte. Das Halten der Winkelbank, auch blaue Lotterie geheißen, wurde damals nicht als unehrenhaft angesehen. Er gast in der t-ravt als ein ordentlicher Ncann, der sich auch seiner Geschwister annahm. Bekanmlicb wurde» die Nummern des böhmischen Lottos in f rag gezogen. Solange Schirgiswalde zu Böhmen gehörte, be fand sich die Lottostclle im Hause Eduard Tammers. Die Tafeln, in die die Gewinnummern gesteckt wurden, befinden sich noch Henle in diesem Hanse, obwohl sie schon längst ins Heimat museum gebracht sein sollten. Ein Bote übergab die von Prag nach Warnsdorf gebrachten Gewinnummern dem dortigen Kol lekteur, und von hier holten sich die Inhaber der Lottostationen des ganzen Bezirkes die betreffenden Nummern. Dabei ver gingen mindestens zwei Tage. Da Schirgiswalde ab 1800 nicht mehr zu Böhmen gehörte, sondern als sogen. Republik weiter „vegetierte", wurde das Lotto in der Stadt stillgelegt. Als Er sah traten die Winkelbanken ins Dasein. Es gab in Schirgis walde sogar drei Banken. Jeder Bankier mußte sich die Num mern selber von Warnsdorf besorgen, und da hierzu ebenfalls zwei bis drei Tage gehörten, nahmen die Bankhalter die Ein- satznnmmern bis zwei Tage nach begonnener Ziehung an. Nean hatte aber nicht mit der Findigkeit der Schirgiswalder gerech net. Sn> richteten Lichrstgnale ein, durch die die Gewinn nummern noch am selben Tage von Prag bis Neuschirgiswalde gelangten. Die Wissenden setzten nun in aller Seelenruhe auf die gezogenen Nummern, und der Wänkelbankier mußte auS- zvblen Dadurch wurden mehrere zugrunde gerichtet, darunter auch Nitsche. Er gab den angeblichen Gewinnern sogar noch Geld, als schon durchsickertc, daß die Gewinnummern auf un redliche Weise erworben waren. So büßte Nitsche sein Ver mögen ein. In den Berichten über die Schirgiswalder Revolution wird auch eine Iran angegeben, die sich durch ihre Frechheit und Zungenfertigkeit gegenüber dem Justitiär ausgezeichnet habe. Sie soll angeblich die Ehefrau des zweiten Sohnes der Vditwe Nitsche gewesen sein, der Josef hieß. Dieser war aber gar nicht verheiratet, er hat dies erst im Jahre 4857 getan. Seine Arau kann also das wüste Weib nicht, gewesen sein. Nachkommen des Josef Nitsche leben noch heute in Ehrenberg. Die Familie Nitsche ist also eine achtbare gewesen. Dafür spricht auch die Tatsache, daß man den Karl Nitsche zur 50-Jahr-^eier von der Gemeinde aus eingeladen hat. Er war hier Gegenstand mehrfacher Ehrungen. Auf Grund der mir zugegangenen Mit teilungen hat sich der Aufstand der Schirgiswalder wie folgt zugetragen: Die Witwe des Gasthofsbefitzers Nitsche in Petcrsbach war nach Schirgiswalde gezogen. Im Jahre 4844 blieb sie mit der Abführung der Steuer im Rückstände. Der damalige Justi tiar Knüpfer führte ein strenges Regiment. Er drohte mit so fortiger Pfändung, wenn die Steuer nicht noch am selben Tage gezahlt würde. Diesen Amtmann Knüpfer haßte das ganze Städtchen, venu er erlaubte sich viele Uebergriffe, ging tyran nisch vor und hatte die Steuerschraube hochgezogen. Das paßte den freiheitliebenden Schirgiswalder» nicht. Da der Amtmann rücksichtslos vorging, bekam es die Arau mit der Angst zu tun. Sie bat ihren zweiten Sohn Josef, auf das Amt zu gehen und um Aufschub zu bitten. Als er sein Anliegen beim Justitiar verbrachte, wurde er von diesem grob angefahren und bedeutet, sich augenblicklich hinauszuscheren und zu zahlen. Die grobe Be handlung brachte Josef Nitsche in T8ut. Er antwortete dem Amtmann furchtlos, es entstand ein Wortwechsel. Darauf be fahl der Justitiar zwei Büttel herbei. Sie mußten den Bitt steller fassen und auf die Bank schnallen. Dieses Ntittel wandte Knüpfer mit Vorliebe an, und es gab so manchen Schirgis walder, der damit bereits Bekanntschaft gemacht hatte. Josef Nitsche wehrte sich gegen die Büttel. Er wurde aber überwäl tigt und erhielt seine zugedachten Hiebe. Nicht genug damit, be fahl der Amtmann, ihn sofort ins Loch zu stecken. Das wollte sich Nitsche nicht gefallen lasten. Die Büttel mußten wieder Gewalt anwenden, und erst nach einer ordentlichen Rauferei ge lang es, den „Delinquenten" zu fesseln und in den Arrest zu zerren. Der Spektakel, den die rohe Behandlung des Bittstellers verursacht hakte, war von den Anwohnern gehört worden. Wie ein Lauffeuer ging die Kunde durch das Städtel, und es eilten viele Neugierige herbei, die Verwünschungen gegen den Justi tiar ansstießen. Knüpfer aber machte sich nichts daraus. Natürlich hatten die Leute auch der Witwe Nitsche die Nachricht von der groben Behandlung ihres Sohnes gebracht. In ihrer Angst lief ste zu ihrem ältesten Sohne, dem Gastwirt Karl Nitsche auf der Niedergaste. Dort war eben sein Dnkel eingetroffen, der Soldat Josef Nitsche. Dieser befand sich be reits 48 Jahre bei den Soldaten und kam nun heim. Er hörte die üble Sache mit Josef mit an. Der Soldat, Vetter Seff genannt, genoß großes Ansehen in dec Jamilie. Er erklärte sich augenblicklich bereit, mit Karl auf das Amt zum Justitiar zu gehen und den Bruder und Neffen zu befreien. Es ist gern zn glauben, daß vor der Schenke das Volk der ganzen Niedergasse stand und zuhörte, was die INutter Nitsche zu berichten hatte. Als nun der Gastwirt mit dem strammen Reitersmann nach dem Gerichtsgebäude marschierte, schloß sich die ganze Volks menge an. Aus allen Stadtteilen kamen die Leute gelaufen, und es mag wohl nicht übertrieben sein, wenn gesagt wird, ganz Schirgiswalde war auf den Beinen und ein Gutteil der Nach- bardörser mit. Der Gastwirt und der Soldat gingen ohne wei teres zum Justitiar und schrien: „Gebt den Josef Nitsche her aus!" Der Amtmann geriet sofort in !Wut und befahl seinen beiden Bütteln: „Auf die Bank mit den beiden!" Da sprang