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62 Oderlsusitzer e im 3 r 6 Häuslersfrau Heinze, ihre Kinder zu holen. Es würde großes Wasser, sagten sie, und sie könnten dann nicht mehr nach Hause. Ich,,schickte auch die anderen Kinder mit fort. Die Ober-KieS- dorfer waren glücklich nach Hause gekommen, aber die beiden Richterschen Knaben aus Nieder-Kiesdorf hatten bei Gaß-Herr- mann nicht mehr auf dem Dorfwege fortgekonnt; das (Wasser hatte sie schon ausgehoben. Bon der Schule aus sah ich mit Entsetzen, wie das Wasser der Goldbach immer höher stieg und endlich beinahe die Kronen der am Ufer stehenden Birken erreichte. Es mochte ungefähr sein. Da kam der ältere Sohn meines Nachbars Krause, Adolf, und sagte: „Herr Lehrer, kommen Sie sich nur einmal das Wasser ansehen!" Es ging hoch über die Brücke oberhalb der Stöckermühle. (Wir mußten seitwärts über die (Wiese, aber auch durch einen Strom schrei ten, der mir bis an die Hüften reichte und von dem Gründel hereinkam. Es kamen mir gleich (Männer entgegen, darunter der Bauer Hempel aus Nieder-Kiesdorf. Er war sehr unzu frieden und fragte mich vorwurfsvoll nach seiner Tochter, die nicht nach Hanse gekommen wäre. Ich entgegnete ihm, daß Stöcker sie mitgenommen hätte. Dieser kam gerade auf der anderen Seite herauf. Er wurde durch Rufen, (Winken und Zeigen verständigt und bedeutete uns, daß sie in seiner (Mäkle sei.,Da berulngte sich Hempel. Niemand war froher als ich. Denn wenn ste ertrunken wäre, hätte man mir zeitlebens Bor würfe gemacht. Daß ich sie auf Veranlassung Stöckers und der Hcinzen hatte gehen lasten, ließ doch niemand als Entschuldigung gelten. Bielleicht zu derselben Ieit oder doch nicht viel später er fuhr ich, daß Emil Heinze, den seine Mutter, wie schon er wähnt, aus der Schule heimgeholt hatte, ertrunken sei. Seine Mutter hatte ihn zu Hause auf den Tisch gestellt, weil das Wasser schon in das Häuschen und in die Stube eingedrungen war, und gesagt: ,,Bleibe nur hier stehen, ich will mit dem Bater die Kuh zu Leubner schaffen!" Leubner war der nächste Bauer; er wohnte auf dem Berge. Als sie wiedergekommen waren, hatte das Wasser schon Tisch und Jungen hinaus gespült. Am nächsten Tage wurde er unterhalb des Dorfes auf einer Briefe gefunden. Er ging das zweite Jahr in die Schule. Gegen 7 Uhr hatte sich das Wasser wieder verlaufen. Ich hatte mich sehr erkältet. Um mich etwas zu erwärmen, ließ ich mir von Fran Krause eine Taste i'-Kwarzen Kaffee krachen. Am nächsten Margen ging ich nach Ober-Kiesdors. Zwischen beiden Ortsteilen begegnete mir die (Weißbachen. Sie wollte zu mir und ihre Jungen entschuldigen, daß ste nicht in die Schule kommen könnten, weil ihnen das (Wasser die Schulbücher mit genommen hätte. Es war aber diesen Tag und die ganze (Woche keine Schule. Ich hatte dem Ortsschulinspektor erklärt, daß die meisten Kinder um ihre Schulsachen gekommen waren. In Ober-Kiesdorf hatte das Wasser großen Schaden an den Häusern angerichtet. Bon Kellers Häuschen hatte es die Hälfte des Stockwerkes wegqeristen. Das Dach war auf dieser Seite, weil es keine Unterstützung mehr gehabt hatte, bis auf den Erdboden heruntergekommen. Es alich einem Tier, dessen Hinterbeine zerschmettert sind und das sich auf die Vorderbeine stützt und nicht mehr von der Stelle kann. Von Ober-Kiesdorf ging ich nach Schönau. Aber wie sah es hier aus und welche Schrecknisse hatten die Leute hier er lebt! Einige waren in ihren Häusern ertrunken, andere mit ihren Häusern fortgeschwemmt worden und so ertrunken. Auf der Schule lebten alle noch. Hier war der Strom sowohl vor als hinter dem Hause vorbeigegangen und durch die Hausflur gekommen. Im ganzen war das Gebäude von der hohen Kirch hofsmauer und von einem großen Haufen mitgebrachten Brenn holzes, der sich im Garten gebildet hatte, geschützt worden, und meinem Schwiegervater war es noch beizeiten gelungen, die Haustüren aufzusperren. Sonst wäre die Gefahr noch viel größer gewesen. Am merkwürdigsten war mir eine sogenannte Schwenkmangel. Als ste der Eigentümer reklamierte, stellte es sich heraus, daß ste bis aus Rennersdorf war. Aus der Schule hatte es ein Paar neue Wasterkannen mitgenommen. Sie ge hörten zu Justines Ausstattung, waren blau angestrichen und gezeichnet W. W. 4880. (I. ist die Braut des Tagebuch schreibers.) Wir kriegten ste aber wieder. Sie lagen auf der Neustadt. Mein Schwiegervater, Lorenz und ich wollten sehen, wie es in der Kirche aussähe. Aber kein Schlüssel ging in das Schloß. Es war gänzlich mit Sand gefüllt. Wir legten eine Leiter an und stiegen durch ein Fenster über der Halle, die sich damals an die Südseite des Kirchgebäudes lehnte, hinein. Bom Chore aus sahen wir, wie das Element hier gehaust hatte. Die Frauenstände waren von ihren Plätzen geschwemmt und durch einandergeschoben. Der alte Beichtstuhl, der sich seitwärts von dem Altäre an der nördlichen (Wand befunden hatte, war um gerissen und lag auf der Ansichtsseite auf dem Altarplatze. Vom Ältartische war die hölzerne Decke heruntergerissen. Alles war mit Schlamm bedeckt. Noch eine Merkwürdigkeit. Vor einer (Mühle hatte es eine neue Mahlwelle mit weggenommen und unterhalb Mauer manns, ungefähr wo jetzt die (Molkerei steht, auf die (Wiese gelegt. Es war wohl noch an demselben Tage, wo ich mit Justine nach Alt-Bernsdorf, Bernstadt und Kunnersdorf ging. Ueberall hatte das Wasser ganz entsetzlich gehaust. Am nächsten Tage wurden die Ertrunkenen ,ansgelauten". Da die Läntjungen nicht zu kriegen waren, so haben mein Schwiegervater, Justine, ich und Kirch-Eiflers Gustav geläutet. Nach einigen Tagen wurden die Opfer begraben. Die Grab rede hielt cand. Stange, jetzt.(wohl November 494.4) Pfarrer in Seifhennersdorf. Einige Tage nach der Katastrophe kamen Iittauer Soldaten und räumten die Trümmer auf. Justine aber bekam infolge der Erkältung, die sie sich zugezogen hatte, den Flecktyphus und war lange krank. (Aus Heft III des Tagebuches.) /Vlulikbiographie und.... Kühehüten 2Do die Ausläufer des nördlichen Erzgebirges zu den ersten stärkeren Höhen anlaufen uns Vas Bauerntum auf karger Scholle schafft, finde ich an einem nebeligen Herbstmorgen etwas ganz Eigenartiges und doch Herzerfrischendes. Mein (Weg durch ein Dörfchen mit steildachiger Kirche führt an einem Arbeitsdienstlager für (Maiden vorüber und dann hinaus auf die noch grüne Lehne, über die sich frisch umgebrochene Aecker und herbstnasse Wiesen dehnen. Vier gescheckte Kühe weiden, und zwischen ihnen geht eine (Maid, in einem Büchlein le'end, nmher. Ihrem herzhaften Gruß folgt ein Ausbruch mei ner Neugier: „Was wird denn da beim Kühehüten gelesen?" (Mitten auf dem Rain weist sie mir das Büchlein. Es ist eine Musikbiographie von Franz Schubert. Ich bin natürlich vorerst erstaunt über diesen Gegensatz. Um 44 Uhr soll die (Maid die Kühe wieder eintreiben. Sie tuts das erstemal in ihrem Leben und freut sich als Ober lausitzerin aus der Löbauer Gegend von ganzem Herzen, daß ste auf diesem (Wege tief in die Eigenarten des Erz gebirges eindringen kann. Es ist ein sehr munteres (Mädel, hat Grübchen in den bronzebraunen Wangen, freudig glänzende Augen und lacht die Freude des Unbekümmertseins. Das Lager sei ganz groß, die Kameradschaft erstklassig, die Arbeit teilweise schwer, aber ungemein nötig und nützlich. Und allen bliebe ge nug Ieit, privaten Passionen zu huldigen. Sie liebe Musik, spiele daheim Klavier, habe die Violine mit in den Arbeitsdienst gebracht und dabei den Schubert Franz sooo gern. Hier in der Stille des herbstlichen Vormittags ists jedenfalls ein Vergnügen, ihn im Büchlein zu studieren. Die Kühe grasen still und bleibeu fast am Flecke. Wir plaudern einige Minuten- Es ist grad, als gingen (Melodien irgendeiner Schubertschen Klavierphautasie, eines Streichquartetts oder einer Kammer musik zwischen uns auf. Das frohe Lachen des (Mädels wirkt wie der süße Klang einer Stimmgabel dazu. Es ist uns schließlich beiden, die wir vor kurzem noch völlig Unbekannte waren, als sei auf der erzgebirgischen Weide die melodische und harmonische (Magie Schubertscher Klänge über uns gekommen .... Iohs. Blochberger.