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Die feierliche Urkunde, welche anläßlich dieser Erhebung ausgefertigt wurde, befindet sich noch in dem Besitz der Stadt. Nur das eigene Stadtwappen, welches hierbei der Stadt ver liehen wurde, ist leider verloren gegangen bzw. durch irgendeine Hand aus der Urkunde herausgeschnitten worden. Ans Ansuchen der Ortsgerichte aber wurde von dem römisch-deutschen Kaiser Karl VI. am 22. Februar 1732 die Ernennung Mr Stadt nochmals bestätigt und erneuert. In dieser Urkunde ist auch das Stadtwappen nochmals festgehalten. Merkwürdiger Weise erfolgte ebenso eine weitere Bestätigung des Privilegs am 22. November 1792 durch Kaiser Franz II. Den Bewohnern wurden Bürgerfreiheiten verliehen, das Recht zur Abhaltung von Vieh-, Kram- und Jahrmärkten er teilt und den Handwerkern das Zunftrecht verliehen. Wie schon erwähnt, gehörte Schirgiswalde trotz der säch sischen Zugehörigkeit der gesamten Lausitz noch immer M Böh men. Das blieb beinahe 200 Jahre hindurch so, weshalb Schir giswalde auch an dem gesamten österreichischen Staatsleben Anteil hatte und Anteil nahm. Anders wurde das erst zur Zeit Napoleons I., der mit den Oesterreichern Krieg führte. Napo leon hatte die Oesterreicher in der Schlacht bei Wagram be siegt. Zn dem folgenden Wiener Friedensschlüsse am 14. Okto ber 1809 mußte nun der Kaiser Franz -I. einige Gebietsteile Böhmens, darunter auch Schirgiswalde, an König Friedrich August I. von Sachsen abkrctcn. Nun aber kommt das Spaßige! Zu einer formellen und definitiven Uebergabe von Schirgiswalde an Sachsen kam es nicht. Schuld daran war in der Hauptsache die durch Napoleon ständig heraufbeschworene Kröegsunsicherheit aller Länder Euro pas. Napoleon zog ja bekanntlich 1812 nach Rußland, wo er eine so bittere Niederlage erlitt, und dann kam 1813 die Völker schlacht bei Leipzig. Dadurch wurden alle früheren napoleonischen Friedensschlüße hinfällig, und von der Abtretung von Schirgis walde war nichts mehr zu hören. Es kümmerte sich kein Nkensch mehr darum. Schirgiswalde war ein selbstherrliches Staats gebilde, eine vergessene Znsel geworden, im wahrsten Sinne des Wortes eine freie Republik, und es blieb eine Republik durch 36 Zahre hindurch. Zn dieser Zeit brauchte Schirgiswalde keine Steuern noch irgendwelche Landesabgaben zu entrichten, auch keine Rekruten zu stellen. Es empfing keine landesherrlichen Gesetze, Befehle und Verordnungen. Zur Bestreitung städtischer Bedürfnisse hatte jedes Haus ohne Unterschied der Größe und des Besitz tums 4 gut Groschen, die Kaufleute und Großgrundbesitzer jähr lich einen Taler zu entrichten. Das republikanische und zugleich auch das Reichsoberhaupt war der Skadtrichter. Zhm zur Seite standen zwei Gerichts beisitzer und 20 Kommunrepräsentanten. Strafen für geringe Vergehen diktierte der Stadtrichter mit seinen Gerichtsbeisitzern. Diese Strafen wurden nicht selten nach gefälltem Urteilsspruch gleich auf offenem Nsarktplatzc vollzogen, und zwar dergestalt, daß man dem Bestraften die nötigen Stockhiebe auf die Kehr seite seines Daseins verabreichte. Bei vorgekommenen Dieb stählen mußte der Ueberführke auch oft die gestohlenen Gegen stände des Sonntags vor der ganzen Kirchfahrt auf dem Markt platze zur Schau auslegen. Die Ausübung der Rechtsangelegenheiten unterlag dem Domstift zu Bautzen als Gutsherrn. Die Rechtsprechung er folgte noch nach österreichischem Rechte von einem Zustiziar, der jeweils aus Böhmen stammte. Zm Zahre 1839 erbaute das Domstift ein eigenes Amtshaus, das heute noch bestehende erste Amtsgerichtsgebäude. Mit dem Mutterlande Böhmen bestand also hinsichtlich der Justizverwaltung noch eine gewisse Verbindung. Das^ gleiche galt in kirchlicher Hinsicht; hier war Schirgiswalde noch an die Diözöse Leitmeritz angeschlossen. Zn commerzieller Hinsicht jedoch wurde Schirgiswalde von Böhmen als Ausland betrachtet. Vom Zahre 1809 bis zur Gründung des preußischen Zollvereins 1834 stand jedoch trotzdem der Handel in schönster Blüte. Alle Waren kamen von Hamburg, Bremen und Lübeck als durchgehends Güter hier an und wurden auf dem Dvege des Schmuggel handels nicht nur nach den benachbarten Ortschaften, sondern sogar nach Böhmen, Bautzen, Leipzig und anderen größeren Städten Deutschlands wieder ausgeführt. Man hat deshalb dem Städtchen Schirgiswalde auch den Namen Klein-Leihzig bcigelegt. Als im Zahre 1834 der preußische Zolloerband ins Leben trat, dem auch das Königreich Sachsen sich anschloß, mußte man mit der sächsischen Regierung in Verhandlungen treten, weil Schirgiswaldo, sonst als Ausland betrachtet, ringsum ab gesperrt worden wäre. Nach mehrfachen Verhandlungen wurde ein Zollficum von jährlich 540 Talern festgesetzt, die an die sächsische Regierung gezahlt werden mußten. Zm Zahre 1840 wurde ein neuer Zustiziar Zgnaz Knüpser, aus Lobositz kommend, eingewiesen. Dieser Beamte hatte denn doch gar bald den Gewaltherrn in etwas zu starker lWeise ge spielt. Die Bevölkerung wurde unzufrieden, ja es gab Tumulte und 18-14 buchstäblich einen Aufruhr unter dem Volke. Das Domstift zu Bautzen als Träger der Gerichtsbarkeit hatte des halb von der Garnison Bautzen militärische Hilfe erbeten. Eine Kopmanie Soldaten rückte sofort bis an die Grenze von Schir giswalde an. Inzwischen war jedoch der Aufstand beigelegt, das Ncilitär brauchte nicht einzuschreiten. Dieser Vorfall war je doch der unmittelbare Anlaß dazu, daß ans Anregung der Guts herrschaft die sächsische Regierung mit der österreichischen in neue Verhandlungen wegen Ilebernahme der Stadt in ven sächsischen Ilntertanenverband eintrat. TLährend der Zeit der Republik spielte auch das bekannte österreichische Lotto eine große Rolle. Eö bildeten sich nach 1809 auch mehrere sogen. Winkelbanken der blauen Lotterie. Tief aus Sachsen und Preußen kamen die Einschreiber an den Ziehungs tagen hier an und warteten meist den zweiten und den dritten Tag ab, bis die gezogenen fünf Nummern eingetrofsen waren. ^Weiter ist zu bemerken, daß damals auch landesverwieseue Personen und Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern ein sicheres Asyl suchten und fanden. Zufolge mangelhaften Polizeischutzes führten auch Räuberbanden ihr Unwesen, so u. a. auch der böh mische Wenzel, der in Nenschirgiswalde zeitweilig Aufenthalt genommen hatte. Andererseits stand aber wieder das Znnungswesen auf hoher Blüte. Wahrend die Zünfte in den Städten der sächsischen und preußischen Oberlausitz meist sehr hohe Taxen beanspruchten, konnte man bei den Innungen in Schirgiswaloe eine Lehrlings aufnahme, einen Gesellenfreispruch oder das MAsterwerden wesentlich billiger haben. Aus diesem Grunde kamen die Hano- werker aus Sachsen, Preußen und Böhmen, ja selbst aus weite rer Ferne, um hier zünftig zu werden. T8ie schon bemerkt, kam es endlich im Zahre 1845 zur Uebergabe von Schirgiswalde an die Krone von Sachsen. Dies geschah in feierlicher Form am 4. Zuli 1845 im Schlosse des domstiftlichen Rittergutes. Vertreter des Kaisers Franz I. von Oesterreich und des Königs Friedrich August I. von Sachsen tauschten entsprechende Urkunden aus, im Beisein von Ver tretern der Stadt, der sonstigen Behörden und der Gutsherr schaft. Damit traten sodann wieder geordnete Verhältnisse in Schirgiswalde ein, und die Zeit der Republik hatte ihr Ende gefunden. Noch Jahrzehnte hinaus mußte seitens der jeweilig amtierenden Bürgermeister bei Feststellung der deutschen Staats angehörigkeit auf die Uebernahme im Zahr 1845 hingewiesen und diese Tatsache beglaubigt werden. Diese ortsgeschichtlichen Erinnerungen mögen die noch heute bestehende Eigenart der Struktur Schirgiswaldes dargetan haben, denn wie aus diesen Darstellunaen zu ersehen, waren die geschichtlichen Beziehungen des Städtchens von allem Anfang an stets innige zum Nkutterlande Böhmen, sowohl in politischer als in kirchlicher Hinsicht. Der Besucher des Städtchens darf sich deshalb nicht wundern, wenn er allenthalben auf Erinne rungen an Böhmen stößt. Zn vier Zähren also kann Schirgiswalde auf seine 100- jährige Zugehörigkeit zu Sachsen zurückblickcn. Es wäre aber verkehrt, daraus den Schluß ziehen zu wollen, als seien die Schirgiswaldcr erst seit dieser Zeit Deutsche. Gerade die Tat sache, daß Schirgiswalde bis zum Anfang des vorigen Zahr- hunderts zu Böhmen gehörte und durch blutmäßig verwandt schaftliche Bezielmngen sieb mit ihm verbunden füblte, brachten es mit sich, daß sich Schirgiswalde als Brücke zum Sudeten-