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Lias Mralienkollier Eine kleine Weihnachtsgeschichte von Albert M ü n n i ch Das war ein Heiliger Abend wie aus einem Bilde von Ludwig Richter. Seit Tagen hatte es geschneit, alles Land war sick in Sie weiche, flaumige Watte gepackt, jeder Laut im Dorfe klang gedämpfter. Der Tag war frostklar und windstill aufgestiegen. Hetzt, da er fich anschickte, zu vergehen, ganz sachte und ivie zögerno, als ob er die Dorfreude der Manschen noch verlängern wolle, fing es wieder an zu schneien. Durch die Flocken, die still und feierlich vom Himmel fielen, ging ein etwa ZOjähriger Mann und man sah es seinem, von einer inneren Fröhlichkeit erfüllten Gesicht, ja, schon seinem leichten, beschwingten Gange an, daß er auf dem Wege zu einer großen Freude war. Ab und zu griff er mit jungenhafter Gebärde in seine Manteltasche mW fühlte nach einem kleinen Kästchen, das da drin steckte, wobei er zufrieden vor sich hin lächelte. Er hatte schon einen tüchtigen Fußmarsch hinter sich, und nun ging es aus dem letzten sächsischen Dorf der böhmischen Grenze zu, denn in unserem Oberlansitzer Grenzwinkel und zur Jett, als es noch eine tschecho-slowakische Grenze gab, spielt unsere kleine Geschichte. Wie er so durch die vertraute und doch gleichsam von der Stimmung des Tages verzauberte Landschaft schritt, durchlebte er noch einmal im Geiste die letzte Ieit, die sür ihn freudvoll und leidvoll zugleich gewesen war. Da hatte er vor iMonaten drüben in dem gemütlichen, sudetendeutschen Städtchen in einer befreundeten Familie ein Mädchen kennengelernt, ein eigen williges, gescheites Geschöpf, zu dem er bald eine tiefe Zuneigung gefaßt hatte. Erst war es nur ein leichtes Liebesgeplänkel, ein graziöses Spiel gewesen, scherzhaftes Werben, scherzhaftes Ver wehren. Aber wie das beim Spiel mit dem Feuer immer wieder mal geht: schließlich war der Spieler, den bis dahin kein Mäd chen ernstlich zu fesseln vermocht hatte, so rettungslos, so bis über beide Ohren der Liebe zu dem selbstbewußten, schönen Wesen verfallen, daß er vermeinte, nicht mehr ohne sie sein zu können. Doch all seine Liebeöbeteuerungen schienen keinen Glau ben, geschweige denn eine Erwiderung zu finden, so daß der Un geduldige, Enttäuschte endlich jede Begegnung mit oem Mäd chen mied. Grollend, sich selbst und aller Welt nicht gut, blieb er in seiner ungemütlichen Iunggesellenbude, wog immer wieder jedes Wort, jede Geste von ihr, ob er nicht doch eine Spur von Zu neigung, von Gegenliebe darin fände. Er grübelte, hoffte, zwei felte, kurz, benahm sich wie einer, der ernstlich von der Liebe be fallen ist und blickte in seiner Vereinsamung einem recht trüb seligen WAHnachtöfest entgegen. An einem Abend im Advent, während die Mnnterstürme das Haus umtobten, fand seine Sehnsucht, seine ganze hoffnungslose Stimmung ihren Nieder schlag in einem kleinen Gedicht, das seine Lippen wie von selbst zu formen begannen. Beglückt und irgendwie ausgeglichen schrieb er die Verse, dichterischer Niederschlag seiner Gefühle und Empfirwungen, nieder: In tiefer Nacht, es tickt die Uhr, bin ich erwacht, was sinn ich nur: Hast du mich lieb? „ Die Stille rauscht, was geht da nm? .Mein Ohr es lauscht, ich frage stumm: Hast du Mies' lieb? Heut tobt der Sturm, Schnee stiebt ums Haus, Iwölf schlägts vom Turm, ich ruf hinaus: Hast du mich lieb? Die ^Weihnacht naht, o schick du das T8ort, auf Herzenspfad kommt's doch zum Ort: Ich hab dich lieb! In der ersten Schöpferfreude wollte er das Gedicht in einen Brief stecken und dem geliebten Mmdchen schicken, aber dann tat er es aus Trotz und Scham und Scheu doch nicht. Am nächsten Tage — und hier beginnt das ^Weihnachtsmärchen — brachte ihm vie Post ein Kärtchen, das ihn mit einem Schlage aus der tiefsten Verzweiflung in den siebenten Himmel der Glückseligkeit hob. Das Mädchen jenseits der Grenze lud ihn mit einigen freundlichen Werten im Namen der Eltern ein, den Weihnachtsabend im Kreise ihrer Familie zu verbringen. In einer Ecke der Karte aber stand ganz klein ein Wbrt, ein törichtes kleines Kosewort, das er einst geprägt und ihr wohl tausendmal gesagt hatte, immer auf ein Echo wartend, das doch nicht kam. And nun las er dieses iWort von ihrer Hand ge schrieben, für ihn bestimmt, und es sagte ihm mehr als ein ganzer langer Liebesbrief. Der ob dieses Zeichens Beglückte fuhr noch am gleichen Tage in die nahe Kreisstadt und kaufte nach langem Wählen eine reizeiwe Korallcnhalskctte. Sein Gedicht aber steckte er mit in daö niedliche Geschenkkästchen. Die Tage bis zum Heiligen Abend verbrachte er in einem Rausche der Vorfreude und der Ungeduld. Ja, und nun ivar er also auf dem Wege zu ihr. Um nur keinem tschechischen Grenzbeamten zu begegnen, wählte er nicht die Straße, sondern nahm einen einsamen Weg über Berg uns Tal, einen erheblichen Umweg zwar, aber einen richtigen roman tischen Christtagsweg. Schon lag die Grenze hinter ihm, in einem Seitental zu seiner Linken sah er das böhmische Grenz dorf, das er im großen Bogen umgangen hatte. Das Schneien war stärker geworden, die Flocken fielen wie weiße Schnüre und durch den lebenden Vorhang erblickte er den nahen TLald, schwarz und dunkelgrün, während die lichtblauen Berge rings um mit der Dämmerung zu verweben begannen. Wildspuren im Schnee, ein Krähenschwarm am Himmel, der schreiend nach dem Horste streicht, sonst tiefe Stille über der weißen weichen Fläche. Das ist die Stunde, in der der Weihnachtsabend be ginnt, da Knecht Ruprecht aus dem Walde tritt, den Sack auf dem Rücken. In diese Gedanken aus Kinderland eingesponnen durchschritt er eben eine Eisenbahnbrücke, als er sich plötzlich einer eingemummten, bärenähnlichen Gestalt gegenüber sah, in langem Mantel und hoher Fellmütze. Das Gewehr, das dem Popanz an der Seite hing nnv die Frage nach dem GrenzauS- weis belehrte unseren Grenzgänger, daß es sich durchaus nicht um den ^Weihnachtsmann handelte. Auf diese Begegnung nicht gefaßt, mochte er wohl ziemlich verdutzt und erschrocken drein geblickt haben, denn jetzt kam aus dem Munde des tschechischen Grenzwächters die Frage, die man gerade in einer solchen Situa tion nicht gern hörte: „Haben Sie etwas zu verzollen?" Eine Hundertstel Sekunde Ueberlegung und dann die treuherzige Ant wort „Nein", worauf der Zöllner nichts anderes erwiderte als „Kommen Sie mit!" Erbitterte, beschwörende Proteste des aus allen Wblken Gefallenen, Taschenvisitation durch den Beamten, der sehr schnell das kostbare Kästchen aus der Tasche fischt, es öffnet und triumphierend das rote Kollier in die weißen Flocken hält. Nachdem sich jedes weitere Parlamentieren als zwecklos erweist, wird der lange Weg zum Zollamt ins Grenzdorf schweigend zurückgelegt, mit was für Gefühlen des ernüchterten Träumers wird sich jeder selbst ausmalen. Als sie im Dorfe ankamen, begannen drüben in Deutsch land die Glocken zur Christnachtöfeier zu rufen, weich und schwingend wehten die Klänge durch den Abend, seligste Kind- heitSerinncrungen in der Brust weckend. Durch die erleuchteten Fenster konnte man in trauliche Holzstnben hineinblicken, in Venen die letzten Vorbereitungen zur Bescherung getroffen wM den — bittere Feststellung für den armen Sünder, der sich schon im Geiste in einer tschechischen Gefängniszelle den Weihnachts abend verbringen sah. Ueber eine erbärmlich gnietschende Holz stiege gelangren sie in die niedrige Iollwachtstube. Der Jollen' nehmer, ein grimmiger, alter Schnauzbart, schien ihn fressen z» wollen, der Goliath mit dem Gewehr entpuppte sich als Frie- deusvermiktler. Das Korallenhalsband, dessen rote Perlen wN von rotem Blnr durchpulst schienen, wurde eingehend untersucht, der Zettel mit dem Gedicht kritisch durchbuchstabiert und MÜ ver Bemerkung „zollfrei" dem nnglücklicben Dichter wieder attS- gehändigt. Dann schleppten sie ein dickes Buch, einen wahren ^Wälzer, herbei und ein umständliches- Suchen nach dem 'N