Volltext Seite (XML)
Hm Meimnder-Vrenzltein Von 2llbert Mün Es war in den letzten Maitagen des Jahres 4843. Die d^eere der Verbündeten und des Korsen hatten sich die blutige (schlacht bei Bautzen geliefert. Unsere schöne Oberlausitzer Hei mat, das Land zwischen den blauen Bergketten und der stillen, verträumten Heide — längs der jungen Spree — war das Schlachtfeld gewesen. Nun ruhten die Waffen von ihrem schrecklichen Handwerk und man beeilte sich die 30 000 Toten, Kinder fast aller europäischen Nationen, der Erde zu übergeben. Gleichzeitig bewegten sich envlose Karawanen von Verwundeten transporten nach allen Seiten, nach Schlesien, nach Dresden, durch das blühende Land. In holperigen Bauernwagen, aus quietschenden Schubkarren wurde eine erbarmungswürdige, stöh nende und sterbende Last über die mütterliche Erde gekarrt. Das gab einen traurigen Frühling ab. Wohl war der Winter, der außergewöhnlich streng und lang gewesen, endlich gegangen. Aber die Freude, die sonst das Erwachen der Natur in jedem Landbewohner auölöst, wollte sich nicht einstellen. Schweres Leid drückte das sächsische Land. Denn mit Napo leons Armee, die den furchtbaren moskowitischen Winter wie einem Gottesgericht zum Opfer fiel, waren tausende braver säch sischer Soldaten in der „weiten weißen Leichenwüstenei" Ruß lands geblieben. Und auch bei uns in der Oberlausitz wartete so manche Mutter vergebens aus die Heimkehr ihres Sohnes. Nun war — nicht genug dieses Jammers — der Krieg mit seinen größeren Schrecknisten noch unmittelbar, einer Walze gleich, über die Landschaft gegangen, hatte Dörfer und Städte in Brand gesteckt, die Wiesen zerstampft und die jungen Saaten verwüstet. Auch die Dörfer, die nicht direkt von den Kämpfen berührt worden waren, stöhnten unter schwerer Last. Endlose Truppen durchmärsche, Einquartierungen, Kontributionen, Requisitionen und Vorspanndienste hatten manche Gemeinde fast an den Bettelstab gebracht. 'Wochenlang vor der Schlacht hatten die Rusten die Landschaft kahl gefressen. Als sie nach der Schlacht bei Bautzen die Ouartiere räumten, nm sich nach Schlesien zurückzuziehen, weinte ihnen niemand eine Träne nach. Aber ihnen folgten auf dem Fuße die Franzosen und die neuen un gebetenen Gäste zeigten sich in ihren Forderungen durchaus nicht bescheidener. Das Dörfchen Kirschau, malerisch an der Spree gelegen, hatte zusammen mit dem benachbarten Kirchdorf Wilthen auch wieder einmal Einquartierung erhalten. Viel Soldaten konnte das arme Nest allerdings nicht aufnehmen, denn außer dem Erbgericht und zwei Ntühlen bestand der Ort damals nur aus einem halben Dutzend Bauerngehöften und einem Dutzend ärm licher Mleberhäuschen, deren Mahrzahl sich, eng aneinander ge drückt, rund um den Schloßberg niedergelassen hatte. lWo sich heute Fabrik an Fabrik reiht und Straßen auf, Straßen ab die Häuser sich drängen, da rauschte in jenen Tagen noch der lWald. Vom Lärchenberge herunter kam er bis an die Spree und die Fuhrleute, die, von Bautzen kommend, Kirschau berührten, waren froh, wenn sie unangefochten wieder aus dem Dunkel des Waldes heraus waren. Die alte Bautzener Straße, die zwischen Kirschau und Sohland dein Lauf der Spree folgte, fübrke dicht am Schloßberg vorbei. Waren auch schon 500 Jahre vergangen, ' seit die Strauchritter von der Burg Körsc den Berg herunter raffelten, um die Kaufmannszüge zu berauben, so hatte das Dorf doch, dank mancherlei Räuber- und Diebsgesindels, dem der dichte Wald und die Trümmer der Burg zeitweiligen Unterschlupf boten, einen unguten Ruf behalten. So sah das Dörfchen aus, als es der Schauplatz jener mysteriösen Begebenheit wurde, deren Ablauf, soweit er aus dem Dunkel der Vergangenheit überhaupt noch zu erhellen ist, nun geschildert werden soll. Die französische Einquartierung machte es sich im Dorfe be quem. Vorbei war die blutige Schlacht, die trotz der erschreckend hohen Verluste auf beiden Seiten unentschieden verlaufen war. W>er noch lebte, freute sich dieses Lebens und der prächtigen Sonne und hatte dazu um so mehr Gelegenheit, als seit wenigen uich, Sohland/Spree Tagen ein Waffenstillstand zwischen den kämpfenden Parteien bestand. Mitten im Orte, am linken Ufer der Spree, lag die Domstiftliche Mühle, ein altes, großes Gerüste mit weiten Räumen und hallenden Gängen. Unter den Fenstern rauschte der Mühlgraben, und das monotone Rumpeln des Wasser rades machte das ganze Gebäude erzittern. In dieser Mühle hatte der Stab und' mit ihm die Kriegökasse der Truppe Unter kunft gefunden. Wie gut tat es, nach dem Dröhnen der Schlacht, nach den ewigen Gewaltmärschen und Plänkeleien, sich ganz zu ent spannen. Nach der Unruhe der letzten Heit nun dieser tiefe Frieden eines romantischen Stückchens Erde. Drüben, jenseits der Spree, hob der Schloßberg seine Ruinen in den tiefblauen Nachthimmel und diesseits, unweit der Mühle, stürzten Felsen jäh in den Fluß, der, im sanften Bogen den Schloßberg um spannend, hier durch ein Wehr gestaut wird. Das Rauschen des Wehres, das Plätschern und Gluckern der Spree, die unterhalb des Wehres schneller in steinigem Bett an der Mühle vorbei fließt, um gleichsam den unerwünschten Aufenthalt, den sie durch die Stauung erfahren, aufzuholen, waren die einzigen Nacht geräusche. In dieser von Innigkeit und Lieblichkeit beseelten Landschaft, in einer jener Mainächte, die nach Winterstürmen und Früh lingsschauern unvermittelt auch in unseren Breiten linde Lüfte wehen lassen, geschah es, daß die Kriegökasse in der Mahle ge stohlen wurde. Die näheren Umstände der Tat, die den Frieden des Ortes jäh zerriß, meldet uns die Ueberlieferung nicht. Wir wissen nur, daß alles Suchen nach den Uebeltätern ergebnislos blieb, daß sich auch von der gestohlenen Kasse keine Spur mehr fand und daß der junge Offizier, dessen Obhut sie anvertraut gewesen, schwerste Sühne dafür tragen mußte. Er rourde nach dem zwei Wegstunden entfernten Bautzen gebracht und vor ein Standgericht gestellt. Sei es, daß man ihn gröblichster Pflicht verletzung beschuldigte, sei es, daß gar der schlimme Verdacht der Mittäter- oder Mätwifferschaft ihn traf — das Urteil war bald gefällt und bald vollstreckt. An einer der grauen Mauern der alten Ortenburg, die schon auf so viel menschliches Leid herab geblickt hat, brach er unter einer Salve tot zusammen. Das ist alles, was uns aus den Maitagen des Jahres 4843 überliefert wurde —- eine geheimnisvolle Tat, eine harte Sühne. Und doch ist die Geschichte damit noch nicht zu Ende. Sie findet, indem sie Jahre und Jahrzehnte überspringt, ihre seltsame Fort setzung. Jahre später — der Friede war längst wieder ins Land ge zogen — ereignete es sich, daß eines schönen Tages zwei fremde Manner im !Wanderkittel in dem damals unbedeutenden Bauerndörfchen Wilthen erschienen, jeder na--^ Art der Fuß reisenden ein Ränzel auf dem Rücken. Sie kehrten im Erb gericht ein, tranken ihr Glas Bier, verzehrten wohl auch einen Imbiß und ließen sich, wie das in den Dorfgasthäusern so üblich ist, in ein Gespräch mit dem Wirte ein. Das Wetter, das Woher und Wohin waren bald durchgenommen. Bereitwillig erzählten die beiden Wanderer, die sich offensichtlich auf dec Durchreise befanden, irgendeine Geschichte über ihr Reiseziel, die uns leider nicht überliefert wurde. Nur daß ihre Sprache einen eigentümlichen, nach Ansicht des Wirtes ausländischen Akzent hatte, wissen wir. Wae von ungefähr brachten die Fremdlinge das Gespräch schließlich auf die nähere Umgebung, nm auf ein mal — eigentlich etwas unvermittelt — sehr interessiert nach dem Standort des historischen Dreiländer-Grenzsteins, der irn Walde zwischen Wilthen und Kirschau liegt, zu fragen. In guter Letzt machten sie ihre Rechnung und brachen auf, um — zwei harmlose Wanderer — ihrer Straße nach Kirschau zN weiter zu ziehen. Der biedere Erbrichter ging auch wieder seiner Tagesarbeit nach und somit schien alles wieder im alten Geleise. Doch dem Manne wollte das Gespräch mit den Fremden nicht aus dem Kopfe gehen. Irgendetwas gefiel ihm an der Geschichte nicht. Aber bedächtiger Gemütsart, wie die Oberlaufitzer nun einmal sind, dauerte es Stunden und eine Nacht bis er sich dazu