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denn die preußischen Sendliuge wußten ihre Person so geschick im Dunkeln zu halten und die Weber selbst waren für sich selber so auf der Hut und hielten so dicht, daß nicht nur keiner erwischt oder der weitere» Abwanderung Abbruch getan wurde, vielmehr es den Werbern, selbst von den Zittauern Beobachtern nnentdeckt, gelang, von langer Hand einen Handstreich vorzu bereiten, der ebenso genial in seiner Planung wie glücklich in seiner Ausführung, dem Preußenkönig mit einen, Schlage meh rere hundert neuer Untertanen znführte. Dee Massenauszug anno 4743 — ein preußischer Husarenstreich Hu Winkekbeginn 4745 hielten die Preußen die Oberlausitz besetzt. Ihre Truppen lagen zusammengeballt in und nm Görlitz, Umbau uüd HitküM Von letzterem kam am 6. Dezember der Oberbefehlshaber der Okkupationsarmee, Generalleutnant von Bonin, mit seinem Stabe nach Großschönau geritten und nahm im Kretscham Onartier. In seiner Begleitung befand sich der Bruder des Preußenkönigs, Prinz Heinrich. Der Richter bekam eine Liste mit mehr als hundert Webern in die Hand gedrückt, die er in den Kretscham einberufen mußte und mit wel chen der Prinz und sein Adjutant stundenlang hinter verschlosse nen Türen verhandelten. Am nächsten Morgen ritten die Preu ßen wieder nach Hittan zurück. Acht Tage später, also am Vor tage der Schlacht bei Kessclsdorf welche den 2. schlesischen Krieg zugunsten Friedrichs des Großen entschied, rückten in früher Morgenstunde von Hittan Her eine Schwadron preußi scher Husaren und eine Kompanie Infanterie in Großschönau ein. Dem Aichker wurde die sofortige Stellung von 450 vier spännigen Vagheit befohlen; es konnten aber nur 446 zu- sammeNgebracht werden, da die Meisten Bauern mit Pulver- und Pröviankfuhren nach dem vor den Toren Dresdens gelegenen Kriegsschauplatz unterwegs waren. Die Wagen wurden vor die Vorhetbezeichneken Weberhäuser gefahren und mit dem Mobi liar uttd den lWebstühlen beladen, welche die Soldaten bis auf das letzte Stück aus den WHttuNgeN herausschleppten. Aus den wenigen leer gebliebenen Gespannen wurden die Alten, grauen und Kinder wie die Heringe zusammengepfercht, und schon setzte sich die riesige Wagenschlange unter der Eskorte der Soldaten und vor den Augen der verdutzten, den Vorgang noch gar nicht recht begreifenden Großschönauer nach Richtung Gör litz in Bewegung. Irgendwo unterwegs wurden die Auswan derer samt ihrer Habe von preußischen Fuhrleuten übernommen und die Großschönauer Bauern mit Roß und Wagen nach Hause geschickt. Der Auöwanderzug, welcher 270 Personen mit ihrer ge samten Habe, darunter nicht weniger als 41 Damaststühle, mit sich führte, wandte sich nun nach Schlesien mit den Städten Schmiedcbcrg-Hohewiese, Greiffcnbcrg und Landshut als End ziel, wo sich bereits vorher einzeln ausgewanderte Großschönauer Weber befanden. Von dem Schlesierzua löste sich eine kleine lWagmgruppe los und nahm ihren 2Deg stracks auf Berlin zu, welches aber nur Dnrchgangsstation nach Potsdam war. Hu dieser Gruppe gehörte u. a. der Bruder des Großschönauer Richters Göhle nebst zwei seiner freunde, wenn nicht gar diese drei die ganze Gruppe ausmachten. Göhle schrieb nun mehrere Tage nach seiner Ankunft einen noch erhaltenen Brief nach Großschönau, in welchem er — ganz ofsenbar nicht ohne Beeinflussung durch den preußischen ,,Auswanderkommissar" -—- einen Bericht über die Reise und die erste Heit seines Potsdamer Aufenthalts gibt und mehrere freunde zum Nachkommen aufforderte. Dieser Brief gelangte durch einen preußischen Schlepper, der den Auftrag hatte, die aufgeforderten freunde nach Potsdam zu bringen, nach Groß- scl'önau und enthält so interessante Einzelheiten über die tech nische Durchführung der Auöwanderaktion, daß wir ihn nach stehend im Originalwortlaut zum Abdruck bringen: „Gott zum Gruß! Wir können nicht unterlaßen, euch zu schreiben, indem wir glücklich sind nach Potsdam angekommen, und das unsrige, was uns ist vom Könige versprochen worden, daß wird »ns gehalten, und wenn ihr sehet, daß ihr könnet abkommen, so könnt ihr södern*), wir wissen nicht, es möchte bald anstalt werden zum Stühlen, aber machet anstalt und nehmet euch in acht, daß ihr nicht unglücklich seit, und wenn euch etwas an Gelbe felet, so soll euch der Fuhrmann etwas Geld geben und er wird euch schon nach Potzdam glücklich bringen und er wird euch etwas Sachen mit schaffen, und wir wollten wohl mehr schreiben an andere gute freunde, aber ein andermal, jetzund leidet es die Heit, dreiy tagelang hat uns der Fuhrmann bey steh gehabt und. hat uns verwahret, an Hochgeehrten Herrn Hellmann einen schönen Gruß und wenn er sich die Muhe geben will, zu uns zu kommen, soll es uns lieb sein, einen schönen Gruß von Herrn Waltern und Meister Iurischin an Tobias Wentzeln, wenn er kommen kann. Potzdam, den 3. Januar 4746. Wenzel Gölo. Dieses briefgen gelange an meinen lieben Bruder Johann Christoph Göle in Großschönau. An Christoph Ullbrich einen schönen Gruß und ich hätte das Geld auch gerne wollen mitschicken, weil ich es aber selber noch nicht bekommen habe, kann ich nicht sondern erwarte es auch selber, wenn es sich wird schikken." Der in ziemlich verworrenen Gedankengängen gehaltene Brief bedarf einiger Erläuterungen. Wenn der Briefschreibcr seine freunde warnt, sie sollten steh in acht nehmen, daß sie nicht unglücklich sind, so meint er damit, daß sie sich nicht sollten von den Häschern des Hittaucr Rats erwischen lasten, llnd wenn er seinem freunde lkllbrich „das Geld" nicht mitschicken kann, da er es selber noch nicht bekommen hat, so ist mit diesem die 40-Thaler-Prämie für die Ingangsetzung des Webstuhls oder das „Stühlen" gemeint, weshalb er es damit sehr eilig hat und „jetztund es an der Heit leidet", d. h. er hat keine Heit zum weiteren Schreiben. — Es steht nicht fest, ob die drei in dem Briefe genannten Auswanderer bereits Großschönauer Landsleute Vorständen oder ob solche nachsolgten, jedoch ist letzteres mit aller Bestimmtheit anzunehmen, da die drei vom Briefschreiber aufgeforüerten freunde Hellmann, Wenzel und Ulbrich nach einer dem Groß schönauer Chronisten Theodor Richter (1837) noch vorgelegenen AnSwanderliste tatsächlich ansgcwandert sind; jedoch ist dort leider, wie das bei vielen anderen der Fall ist, das Auswander- ziel nicht angegeben. Ob die in der Potsdamer Chronik erwähnte „Webcrkolonie böhmischer Exulanten" in Nowaweö als Ab leger der hier in Rede stehenden Potsdamer Kolonie anzusehen ist, ist zwar nicht erwiesen, steht aber sehr wohl im Be reiche der Möglichkeit, da ja bekanntermaßen viele Großschö nauer WÄcr Nachfahren der aus der böhmischen Gegenrefor mation stammenden Exulanten waren. — Möglicherweise sind anläßlich dieses Potsdamzngcs auch die sicheren Nachrichten zu folge ebenfalls in Berlin ansässig gemacht wordenen Damast weber dorthin gelangt, doch kann es sich hierbei auch um Einzel wanderer handeln. Auswandererschicksale Das sridericianische Damastweberexperiment kann im Gro ßen und Ganzen als aclnngen bezeichnet werden, wenngleich sieb die darauf gesetzten Hoffnungen Friedrichs des Großen wohl nicht ganz erfüllt haben. Eine ganze Anzahl der von ihm an gelegten Weberkolonien konnte sich zwar zu blühenden Damast manufakturen entwickeln, die aber in keinem Falle die Hoch blüte und Weltgeltung ihres gemeinsamen Nkutterortes Groß schönau erreichten, jedoch innerhalb ganzer Landstriche Tausen den von preußischen Untertanen, welchen die sächsischen Hu- wanderer treffliche Lehrmeister waren, lohnenden Verdienst und vielfach sogar einen soliden ^Wohlstand, wenn nicht gar Reich tum brachten. Dieser Erfolg ist dem König nicht so von ungefähr in den Schoß gefallen. Denn wie er schon aus den Berichten seiner Kundschafter ersehen hatte, waren die Großschönauer lWeber nicht eben gerade Engelsgeschöpfe, die so ganz schuldlos an dem von ihnen unerträglich empfundenen Verhalten des Hittauer Nates waren, der zwar zweifellos den Bogen überspannt und allzustark ans seine« Vorteil bedacht war, aber andrerseits doch wieder sehr kluge Maßnahmen zum eigenen Besten der Weber H „Födern" ist dec bekannte landläufige Obcrlausitzcr Aus druck für „sich beeilen".