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reiht, nicht dauernd gleichmäßig beleuchten kann und daher mit der Ieit vieles infolge verringerter Belichtung verblaßt und verdunkelt. Wie einzelne begabte Gärtner neue Blumensorten züch ten, und wie die Morgensonne mit ihrem Lichte und ihrer Wärme die nachts geschlossenen, färb- und duftlosen Blüten zu erneuter Formenfülle und Farbenpracht sowie frischem Duften und aufleuchtendem Glanze erweckt, so muß auch der Heimat dichter, um die nötige Anteilnahme, Gefühlsaufwühlnng und Steigerung des ganzen Lebensbewußtseins herbeizuzaubern, die große Kunst verstehen, gleich einem Erfinder von Rätseln mit begnadeter Blickschärfe bisher übersehene Gesichtspunkte zu er spähen sowie Verblaßtes aufznfärben und Verdunkeltes wieder zu erhellen. Die Aufgabe, neue Sehweisen zu entdecken und alte, ver gessene Blickrichtungen wieder ins Leben zu rufen, erfüllt Oskar Schwär meisterhaft. Beim Genießen seiner dichterischen Dar stellungen erlebt man darum beglückende Entdeckerfreuden. Man gewinnt den Eindruck, als erblicke man alles mit anderen Augen, wie das ähnlich der Fall ist, wenn ein altbekanntes Bauwerk nachts plötzlich angestrahlt wird. Eine weitere seelische Bedingtheit, zu deren Berücksichtigung sich jeder Dichter gezwungen sieht, ist die Tatsache, daß das Fassungsvermögen des menschlichen Geistes bei aller Vielseitig keit doch zugleich auch einseitig ist. Bekanntlich können wir die Gegenstände der sichtbaren' Außenwelt und deren Betätigungen nur dann wabrhaft begreifen, wirklich erfaßen und mit unserem Gefühle erwärmen, wenn wir sie nach dem Bilde der mensch lichen Gestalt ansehen und ste damit menschenähnlich formen. Übertrügen wir nicht menschliches Wesen aus das Nichtmensch- liche, beseelten wir nicht das Leblose, formten wir nicht das formlose zur Menschengestalt, wie z. B. bei der Vermensch lichung des Wnndes, so drückte die geistlose Außenwelt wie eine dumpfe, sinnlose Stossmaste auf uns und verwirrte uns durch ihre unübersehbare Mannigfaltigkeit derart, daß wir uns von ibr beherrscht und völlig unfrei fühlen müßten. Indem wir aber das lebendige Wesen des Menschlichen in die Dinge der Welt hineinsehen, legen wir in ste einen bestimmten Sinn und vergeistigen ste damit. Außerdem vereinheitlichen wir ste auch zugleich. Durch beide schöpferischen Maßnahmen verwandeln wir ste in ein freies Wrrk unseres Geistes. Wär gewinnen da mit die Herrschaft über ste und werden durch diese Verbild lichung frei von ihrem Druck. Darin aber besteht nach Schiller die höchste Aufgabe der Kunst jbwie das Grundwesen aller beim Erzeugen von Seifenblasen die unsichtbare, formlose Luft in den sichtbaren Waffertropfen eindringt und ihn zur bunt schillernden, srest-hwebenden, qualitativ andersartigen und höher geformten Blase verwandelt. Zugleich mit der stofflichen „Mannigfaltigkeit" von Luft und Wasser entsteht also' die „wirkende Einheit" in Gestalt der Blase, und mit dem kuge ligen „Inhalt" bildet sich unter gegenseitiger Beeinflussung gleichzeitig die blasige „Form". Das sind für jedes Kunstwerk grundlegende Verhältnisse. Dabei ist äußerst wichtig, daß das Geistige um so sichtbarer in die Erscheinung tritt, je weniger es an unbestimmtes All gemeines und je mehr es dagegen an ganz genau bestimmtes Besonderes, also an sichtbare und greifbare Gestalten, ange schlossen wird. Es muß z. B. statt allgemein und bloß unge fähr, „hoch", „höher", am höchsten" sinnenfälliq, gegenständ lich, mit zeichnerischer Genauigkeit gesank werden ..haushoch", ..beraehoch", ..himmelhoch". Naturgemäß heftet sich das Ge dankliche mit Vorliebe an die menschliche Gestalt. So wird z. B. die unsichtbare gütige Gesinnung zur „reinen Güte" ver menschlicht. lWird so das „Denken" in ein ..Sehen" verwan delt und auch sprachlich entsprechend daraestellt. dann entsteht die klare, wahre und schöne Bildlichkeit Da diele vor allem die unsichtbaren Beziehungen, verwickelten Verhältnisse, schwer faß baren Bedingungen, geheimen Abhängigkeiten und versteckten Zusammenhänge wie mit einem 'Hauberschlage sichtbar und leicht begreiflich macht sowie zugleich auch das Gefühl wohlig erwärmt, liebt ste das deutsche Volk über alles. Der Oberlau sitzer schätzt ste ganz besonders hoch, was Redensarten und Sprichwörter beweisen, wie r. B.: Die erste Frau scheuerts Bänkel und die zweite setzt sich drauss Der Heimatdichter muß selbstverständlich die Gabe, volks tümlich gegenständlich zu denken und in scharf umrissenen Bil dern rn reden, in vollgerütteltcm Maße besitzen. Es darf hier bei aber wiederum die außerordentliche Schwierigkeit nicht un beachtet bleiben, die darin besteht, daß gerade das Wesentliche, was das heimatlich Nahe und Vertrante in steh birat, infolge der Macht der Gewohnheit aar zu leicht übersehen wird. Wer Oskar Schwärs Dichtungen kennt, weiß aber, wie er die Gefahr der Nähe zn bannen versteht. In nicht weit hcrgeholten oder verstiegenen Bildern vermag er das spezifisch Geistige und See lische der Oberlausitz unaufdringlich und keusch sichtbar zu machen, etwa so wie ein Hereinsallender Sonnenstrahl die un sichtbar in der Himmerlnft schwimmenden Staubteilchen als Sonnenstäubchen auflenchten läßt. Geistesbildung. Will der Heimatdichter den Drang der Seele nach Be lebung, Beseelung, Vermenschlichung, also nach Vergeistigung, Vereinheitlichung und Befreiung befriedigen, so erfordert dieses Bestreben bei ihm eine ganz besondere Erfindnngö- und Gestal tungskraft, weil es gerade beim Alltäglichen, Altbekannten und Nahen, an das er gebunden ist, unsagbar schwierig ist, neu artige Verlebendigungen zu finden. Daß es aber Oskar Schwär trotzdem möglich ist, diese Notwendigkeit zu erfüllen, beweisen viele Beispiele in seinen Dichtungen, wie etwa die Vermensch lichung des Löbauer Berges oder die Beseelung des Schnee mannes in dem Büchlein „O du Heimakflur". Jur ungeistigen jedoch sichtbaren Außenwelt steht im Gegen satz die geistige aber unsichtbare Innenwelt, Muß die stoffliche Außenwelt vergeistigt werden, so ist es dagegen nötig, die un stoffliche Innenwelt sichtbar zu machen, um aufgefaßt werden zn können. Man kann dabei vergleichsweise an das unsichtbare Leuchtgas denken, das durch Anzünden in eine sichtbare und fühlbare Flamme verwandelt werden muß, damit es leuchten und wärmen kann. Aber beim Sichtbarmachen des Geistigen geht es derart zu, daß sich das Gedankliche an die sichtbaren Gegenstände anheftet wie sich im iWinter der unsichtbare ^Wassergehalt der Luft als Rauhreif an Bäumen, Häunen usw. nicderschlägk. Oder es ist so, daß sich der Sinngehalt mit der Stofflichkeit zu einem neuen „Dritten" verbindet, etwa wie Die bewußtseinsvertiefende und lebenserhöhende ^Wirkung echter zutreffender' Bildhaftigkeit aber kommt nicht nur den Heimatbewohnern zu -mke. Verfügt doch jedes glückliche Bild über die wunderbare Ilkoalichkeit. mit dem Besonderen auch zu gleich das dazugehörige Allgemeine auszudrücken. Deshalb kann Oskar Schwär trotz seiner Beschränkung auf das heimatliche Besondere auch weit ill'er die Grenren seiner Heimat wirken, weil jeder Nichtoberlanützer unwillkürl'ch in dem nur der Ober lausitz eigentümlichen Volkstum das allgemein Menschliche und allgemein Deutsche fühlt und schaut, wie jedem Fremden beim Betrachten der besonderen Bauweise des Oberlansitzer llm- gcbindehauseS zugleich mit der heimatlichen Besonderheit die all gemeine Grundform des deutschen ^Wohnhauses in die Augen springt. Ein Heimatdichter darf seine Heimat niemals wie durch künstliches Buntseuer phantastisch verklären oder schöner und reicher malen, als sie ist, wenn seine Darstellung nicht unwahr anmuten soll, llm aber, wie das Oskar Schwär gelingt die Heimat dennoch in einem nicht alltäglichen Lichte aufglönzen zu lassen, kann er das bloße, zufällige Beisammensein der Dinae und den "lanlosen Ablauf der Ereignisse nicht einfach abspiegelnd und bloß nachahmend wiederholen. lWie eine Frau beim umfor menden Häkeln den willkürlich sich ringelnden Faden nach be stimmtem Manc in einen sinnvollen Zusammenhang von ver schiedenen Maschen verwandelt und allein durch die Form zu