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Ein ganies Dorf im Schatten deo Codes Erinnerungen an das Trichinoscjahr 1888 Von KnrtSchöne, Obercunewalde Ein halbes Jahrhundert ist seit jenen schrecklichen Ereig nissen vergangen, da mit einem Schlage unsere Heimat, vor allem das Dors Obercunewalde, im ^Mittelpunkt des Interesses der gesamten Lausitz stand und weit darüber hinaus monatelang Gesprächsstoff für mitfühlende, wißbegierige und teilweise auch klatschsüchtige Unterhaltungen bot. — Wieviele bedeutungs volle Begebenheiten nm die Jahrhundertwende und in den ver gangenen 25 Jahren jüngster Geschichte haben das Leben der bestehenden Generation stark beeindruckt! Gewaltige kulturelle, wirtschaftliche und politische Umwertungen sind eingetreten, und wir kurzlebigen /Menschen erinnern uns oft kaum noch der nur um einige wenige Jahre zurückliegenden Vorgänge, weil uns das geschäftige und arbeitsreiche, politisch überaus ereignisreiche Zeitgeschehen dauernd vor Neue Tatsachen stellt. 2Die tief müssen sich also die unheilvollen Begebenheiten des Jahres 1888 in die Seelen der damals Lebenden eingeprägt haben, daß sie noch beute nur mit Schaudern daran gedenken. Verknüpfen sich doch für jeden von ihnen entweder wehmütige Erinnerungen an ein dein unerbittlichen Geschick damals geopfertes liebes Angehö riges oder an schwere, qualvolle Leidenswochen. Die Iahl der im Jahre 1888 an Trichinose Erkrankten, die dennoch nach langem Krankenlager die Oberhand über den schleichenden Tod behielten und uns Augenzeugenberichte aus dieser ernsten Ieit geben können, ist immerhin noch beträchtlich. Aus diesem Grunde war mir eine ziemlich umfassende Schilde rung möglich. Die Ursachen der Trichinose Die Freiwillige Feuerwehr Obercunewalde hielt wie üblich am 3. Daeihnachtsfeiertag 1887 in der „Aeberschenke" (heute HeymannS Gasthof Obercunewalde) ihr „Kränzchen" ab, eine der geselligen Veranstaltungen, zu der sich die lWehr mit der geladenen Einwohnerschaft und Abordnungen der Nachbar wehren jährlich znsamenenfand, um bei einem guten Trünke, flottem Tanz uno emqestreuten, meist humorvollen Darbietungen die Kameradschaft zu pflegen. Auch dem Abend am 27. De zember 1887 wirb nachgerühmt, daß er harmonisch verlief und allen Beteiligten vergnügte Stunden brachte, ja, daß nach ^Mitternacht Hochstimmung herrschte, wie es in jenen Jahren bei den festen der Feuerwehr eigentlich stets der Aall war. In den Tanzpansen pflegte man ab und zu auch einen kleinen Imbiß einrunebmen, schon um damit Gegenmaßnahmen gegen reichlichen Genuß von Bier und billigem Branntwein zu ergreifen (für wenige Pfennige wurde schon ein halbes Seidel „Gemengter" und das Liker einfacher Kornschnaps wurde mit !7 Pf. gehandelt!). Auch für den Gaumen seiner Gäste hatte der Schenkwirt bestens voracsorgt. Auf dem Tische des ..Schenkhäusels" lud ein tüchtiger Berg verlockend schöner Räucherwürstel. die man damals „Broatwürschte" nannte, zum Schmause ein. Die dufteten allerliebst und fanden auch reißend Absatz. Einer machte den andern aufmerksam und „gelüstch". Paarweise umstand man die Tücke und lobte die wirklich schmackhaften, stark gewürzten Bratwürste. Einige besonders gutgelaunte iWehrmänner sollen sogar ein lWettessen veran staltet haben und verdrückten ein antcs Dutzend von der Sorte. Vier hätte in all der Fröhlichkeit geahnt, daß diese leckeren Würstchen den Todeökeim für so viele sMenschen in sich trugen? So war der Vorrat an Brastwürsten noch viel zu zeitig aus verkauft, und mancher Aeuerwehrkamerad war ärgerlich, daß sich der „Schenker", Herr August Bär, der Vater unseres jetzigen .Ortspfarrers, nicht besser ««gedeckt hatte. Keiner ahnte, daß er selbst und seine Angehörigen, für die man gewöhnlich gern solche Wurste mit heim nahm, dadurch dem Tode ent rannen. Der Viirt der oberen Schenke, der in jener Jen gerade keinen Fleischer eingestellt hatte, erhielt die Räucherwürste vom Fleischer Angermann, dem Besitzer der Gastwirtschaft und /Fleischerei „Ittr Wartburg" (Hobel). Angermann selbst hatte bei Beginn der Vie'ihnachtsfeiertage in seinem Laden dieselben Würste auch reichlich verkauft und manchem seiner Stamm kunden als kleine si-estbeiaabe davon geschenkt. Immerhin seltsain ist das Erlebnis eines Handwerksmei sters, der zweimal dein sicheren Tode entging, weil er zweimal durch besondere Ilmstände nicht in den Besitz der trichinösen Bratwürste gelangte. Als er beim Einkauf der Meischwaren für das Aest in Angermanns Geschäft eine Gegenrechnung seines Vaters, der Hawdwerksarbeiten beim silbischer erledigt hatte, in Iahlnng- aab, glaubte sich der lMeister Angermann übervorteilt und rächte sich, indem er seinem Kunden keine Räncherwürste als Iuaabe verabreichte. Beim sierierwehr- kränzchen war es diesem Handwerksmeister wieder nicht vergönnt, die begehrten Wurste zu bekommen; denn als er beim Verlaßen des Saales sich ein Paar bestellte, war der Vorrat gerade aus gegangen. Etwas verärgert tröstete sich der Betreffende damit, daß er ja seinen Hunger daheim am guten Weihnachtsstollen stillen konnte. Diie'durch ein Wunder wurde er vor der Ver seuchung so bewahrt. Krankheit und Tod wüten im Dorfe Kurz nach dem Vieihnachtsfeste wurden nacheinander auf fällig viele Einwohner im Dorfe krank. Bald hörte man aus zahlreichen Häusern Berichte über eigenartige Krankheits- crscheinungen bei den siamilienangehörigen. Niemand erkannte zunächst die Ursachen der beginnenden Epidemie. Nach dem Jahreswechsel mehrten sich die Iällc. daß man ratlos der eigen artigen Krankheit gegenüber stand. Der Ortsarzt, Dr. Restcl (?), stand teilweise den Dingen gleichfalls hilflos gegenüber. /Man hielt es allgemein für das „schleichende Nervenfieber", wie es in 'den Jahrzehnten vorher auch ähnlich schon, aber viel vereinzelter aufgetreten war. Der damals im Niederdorfe (bei Bläsche) praktizierende Heilgehilfe Huste erkannte wohl zuerst den wahren 'Grund all der Erkrankungen. Aus Erfahrungen, die er im Erzgebirge beim gleichartigen Auftreten gesammelt, kennzeichnete er die Erkrankungen als Trichinose. Seinen An gaben schenkte man zunächst keinen Glauben- er mußte sich im Gegenteil heftige Angriffe gefallen lasten. Was wußte man denn damals von Trichinen und ihren furchtbaren Wirkungen. So gut wie nichts. Eine gesetzliche sileischbeschau gab es noch nicht. Vier sein Schlachtvieh untersuchen ließ, tat es freiwillig. Das Schwein, das sileischer Anaermann vom sogen. „Klepver- müller", dem verstorbenen Herrn Louis Hebold, trotz dessen Ab ratens, weil es am ganzen Leibe unzählige Grinder und schwä rende Stellen hatte, gekauft hatte, war ein völlig trichinös ver seuchtes Tier gewesen. Angermann hatte es nicht ..besehen" lassen, weil er der ^Meinung war, für die Wmrst sei es aut Fenna. Durch diese, zu iener Ivit nicht einmal strafbare si-ahr" lässfgkeit wurde so unfaßbares Leid über die ganze Gemeinde in Dutzende von siamilien gebracht. 38 sMen scheu, davon über 30 im Euncwaldcr Tale, größtenteils im besten Alter, fielen der nun ausbrechenden Trichinose zum Opfer. Die Krankheitsfälle häuften sich, zumeist wurden die Be fallenen plötzlich bettlägerig, konnten ihre Glieder nicht mehr rühren, empfanden oft nicht einmal besondere Schmerzen, son dern nur eine Körvcrscüwäche ohnegleichen. Dazu gesellte sich völlige Appetitlosigkeit. In einzelnen Julien wieder äußerte sich dis Trichinose oanr anders, indem die Gliedmaßen unförmig an schwollen und die Kranken über große Schmerzen klagten, so daß selbst das Ilmbetten unter größter Vorsicht erfolaen mußte. Der schlimmste Kranke, der dermaßen dicke, aufaequollene Beine und Arme hatte, daß er beinahe unkenntlich war, soll der da malige Inspektor des Rittergutes, Derr ^Willkomm, gewesen sein. Obwohl man gerade ihm den Tod vielemal voraussagte. ee überstand die Trichinose und starb erst im Jahre 1924. Auäü Gastwirt Kölsch aus der ..Imke" (Iricdensburg) in lMittel- cunewalde, dann der „aale Wächter" Maaner (Vater unseres Volksgenossen Erdmann Waaner) und Iran Pauline verw. Neitsch („Kohlen-Neitsch-Pauline"), die mit zu den am schlimm sten Erkrankten gehörten, überstanden nach langem, schmerz-