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Äie Berufung Von Erich W orbs Es war ein trüber iWinkertag, als Jakob Böhme, der Schuster, aus dem Böhmischen heimkehrte, Ihn fröstelte. Er hatte den ganzen Tag, mn zu sparen, fast nichts gegessen. Die Bauern hatten von den wollenen Handschuhen, mit denen er Hausterte, kaum etwas kaufen wollen, obwohl der TL in ter doch streng genug rvar. Es war eine schlimme Ieit, und irgendwie schien die Ahnung noch schlimmerer Seiten in der Luft zu liegen. Wur es da ein Wunder, >daß man ihn von Haus zu Haus ge wiesen hatte und er nun mit fast leeren Taschen heimzog? Die Katharina, seine Frau, würde ihn wohl nicht gut emp fangen. ^Wieder einmal würde sie ihm vorhalten, daß er damals — fünf Jahre war es nun wohl schon her — seine Schuhbank verkaufte und damit dem ehrbaren und einträglichen Schuh macherhandwerk entsagte. Aber konnte er damals anders handeln? Mußte er den Schusterschemel nicht preiögeben, als Gott ihm befohlen, das alles niederzuschreiben, was er geschaut? Hatte er damals noch ein Recht gehabt, daran zu denken, was dereinst aus ihm werden könne? Während der Schuster so vor sich hinsann und Sorge auf Sorge häufte, begann es dichter und dichter zu schneien, alles, was auf dem Hinweg noch in der Sonne geleuchtet, mit einem undurchdringlichen Schleier zudeckend. Der einsame geplagte Mann lächelte trüb in das Mocken hinein. Lia, so war auch ihm geschehen, seit der Görlitzer Pfarrer wiver ihn von der Kanzel gewettert und er dem Rat aeloben gemußt, nie mehr solch ketzerische Dinge aufzuschreiben. Von Stund an war es ihm gewesen, als sei das Licht der iMorgenröts, das sich um ihn entzündet, vergangen, als habe sich ein undurchdringlicher Schleier daraufaelegt, durch den keiner der himmlischen Strahlen von Gottes Herz mehr zu ihm dringen gekonnt. Heiß hatte zwar die Sehnsucht in ihm gebrannt. MA den Büchern hatte er's in mancher nächtlichen Stunde versucht. Aber Gott hatte stch ihm versagt. Der Schleier war geblieben. Bei solcher trüben Grübelei war er allmählich in ein Dorf nahe bei Seidenberg gekommen. Gegen ein paar Rollen Garn ans seinem Haustererranzen durfte er hier in der Hütte eines Bauern zur Nacht bleiben. Anfangs unwillig, hatte der Bauer doch nicht aewaat, den müden Mann von der Schwelle zu weisen, dessen bleiches abgehärmtes Antlitz tiefschwarzes wirres Haar einrahmte wie düsterer Nachthimmel einen verlorenen Stern. Lin der Nähe des Herdes hatte er dem Durchfrorenen auf Stroh ein Lager bereitet. Am nächsten Morgen freilich hatte ihn sein Weib nicht wenig um sein Mätleid ausgezankt. Denn was für eine Nacht war das gewesen! Erst hatte der seltsame Fremde, nachdem er ein paar Stunden in schwerem Schlafe gelegen, plötzlich be gonnen, stch auf dem Stroh herumzuwälzen, zu stöhnen und mit den Armen zu schlagen, als kämpfe er mit dem Teufel. Dann aber war er jäh ganz still geworden. Leise hatte er stch auf dem Stroh aufgerichtet und in die Stube aelauscht, als spräche da irgendwer mit ihm. Ganz verrückte Worte waren aus seinem Munde aekommen. bis er wieder aufs Lager gesunken und aber- inals in schweren Schlaf gefallen war. Schon nach einer Stunde aber — es war draußen noch tiefe Nacht — hatte er auf geschrien, und er hatte am ganzen Leib dabei gezittert. „Lia, Herr, wenn du es willst, so muß ich's ja tun." Lange hatte er auf den Knien aeleaen, immer wieder stammelnd: „Dein lWille, Herr, geschehe!" Dann war er wie ein Schatten der Nacht binausaehuscht in das nur vom Schnee geisterhaft erhellte Dunkel, ohne auf die Rufe der jetzt ganz wach gewordenen Bauersleute zu achten. Lindes diese stch nm die verlorene Nachtruhe zankten, war Lakob Böhme im Sckmcestöbern aus der Straße nach Görlitz. Die Stunde war da. Gott, der ihn lange verworfen, hatte stch ihm wieder gezeigt, hatte m dieser Nacht mit ihm geredet, was keine Bücher wußten. Aber dann hatte Gott auch gefordert. Wie ein Wirbelsturm war sein Wille in ihn gefahren, der Walle, nun endlich Schluß zu machen mit diesem dem Pfarrer und dem Görlitzer Rat gelobten Schweigen und wieder nieder zuschreiben, rvas er erfahre», als Gott ihn an sein Herz ge rissen. Der kränkliche Schuster, oft von den Innungögenossen als ein Schwächling verspottet, rannte durch die Nacht. Er sah nichts, hörte nichts um sich. Die Gedanken summten in ihm schwer von der Erkenntnis dieser Nacht wie Bienen, die trunken sind von der Süße des Honigs. Die Hände begannen zu zittern, als wäre der Federkiel schon in ihnen. Der Mond drang für Augenblicke durch die Schneewolken. Da zuckte ihr Schatten geheimnisvolle Runen auf das beschneite Feld. Riesengroß wuch sen ste von dein Schuster weg in die unendliche Nacht. Der Mond ging. Dunkel ward es wieder. Der einsame Mann rannte nnd rannte. Gott war wie ein Sturm hinter ihm. Erst als es zu dämmern aufina, begann der Schuster lang samer zu schreiten. Die andere Welt bekam wieder Gewalt über ihn. Mit Schrecken beaann er stch in ihr zurechtzufinden. Wieder ward er der ängstliche Schuster, sorgsam darauf be dacht, niemandem zu Leide zu sein. Aber da war ja Gregor Richter, der Görlitzer Pfarrer. Riesenhaft wuchs im schwarzen Talar seine drohende Gestalt vor ihm auf. Wntschaum lief ihm vom Munde, als er von dem Teufel in der Gestalt des Schusters wetterte, der darauf aus sei, Son neuem durch seine Irrlehren Unheil in der Christenheit zu verbreiten. Er stellte sich ihm entgegen, wollte ihn nicht in die Stadt lasten, deren Türme jetzt über dem Schneefeld auf tauchten. Immer langsamer kam der wieder in alle Not feines Daseins Erwachte voran. Schon war es ihm, als beginne stch wieder der undurchdringliche Schleier vor das göttliche Licht zu breiten. Da begann er in einer wahnsinnigen Angst zu laufen. Riesenhaft war die Gestalt über ihm. Sie stemmte stch gegen ihn, suchte ihn zu erdrücken. Er aber zwängte stch unter ihr da hin — ein winziger Punkt -—, rannte keuchend seinem Hause an der Neißbrücke zu. — Und in der engen Stube war es dann wie immer in den letzten Jahren. Das Weib jammerte über all den Haß, der wieder gegen sie umgegangen, indes er auf den Dörfern gewesen. „Nun hat es auch die Kinder getroffen," klagte ste, „den Elias haben sie beim Spiel auf der Viehweide an einen Baum stumpf gebunden, und dann haben ste ihn über und über mit Viehkot beschmiert. Dann haben ste geschrien — Unrat gehört zu Unrat." Sie schluchzte bitterlich, als sie daran dachte, wie das Kind beschmutzt und zitternd heimgekommen. „Du mußt nämlich wissen, Jakob," fuhr ste nach einer Weile fort, „daß der Pfarrer diesmal schlimmer gehetzt als je. Und ani letzten Sonntag hat er dich auf der Kanzel einen Tenfelödreck geheißen, von dem inan die saubere Stadt Görlitz endlich reinigen müsse." Wieder schluchzte ste auf, und ste war nicht zu beruhigen, bis der geplagte Mann in all seiner Müdigkeit stch von seinem Schemel erhob und. von einem Gedanken getrieben, wieder hinauslief in den Wintertag. Ja, er würde es tun! Noch heute würde er zum Pfarrer gehen und ihn bitten, daß er ihm ver zeihen möge, wenn in seiner Schrift ein Buchstabe wider den Geist der Küche sei. Geloben würde er ihm von neuem, stille zu schweigen, solange er es wolle. Ja, er, niußte es tun. Immer sah er das Kind vor stch, wie cs beschmutzt und wcinend vom Spielplatz heimgekommen. Immer tiefer fraß sich dieses Bild in ihn hinein. Ach, wenn er nur schon den Pfarrer versöhnt hätte! Wenn er es wünschte, würde er ihm auch all die Bücher auslieseru, die ihm seine vor nehmen Freunde geliehen, den Paracelsus vor allem, der mit seinen Lehren dem Pfarrer sicher ein Stein des Anstoßes war. Nur die—Bibel wollte-er behalten. Aber vielleicht — vielleicht war der Pfarrer gar nicht zu versöhnen. Vielleicht gab es nur einen neuen heftigeren Streit, wenn er vor ihm stand. Iögernd nur noch schritt der Schuster die Neißgasse zur Stadt empor. Er war keiner, der lachend in einen Kampf zog. Hätte er denn überhaupt den Pfarrer heraus-