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I^r. 4 6ren2l3näOderl3usi tz 57 die Himmelschlüssel, die bis jetzt kurzstilig im filzigen Grase ge sessen hatten, streckten sich und schoben ihre Dolden hoch. Aber noch lebendiger war es in den Bäumen. Dort sang die Amsel und blusterte ihr nasses Gefieder; dort ritzte unermüdlich der Fink und flatterte eilig und unruhig von Baum zu Baum. Im Astwerk der Bäume selbst ging etwas Seltsames vor: laicht, daß die Knospen aufgesprungen wären, nein, da waren erst schüchterne Ansätze zu sehen, aber es war, als atmeten die feinsten Zweige, und bläulich wölkte in den Kronen ihr Odem. Und durch das Silbergewebe des Regens, den Schimmer grü nender Wuesen, durch Vogelschlag und ahnende Bäume, wundersam zu einem bewegten Bilder- und Klangspiel ver bunden, sangen ganz Helle, hohe Kinderstimmen ihren Grünen- donnerstagverö. Aber über dieses Geschenk eines belebten Vorfrühlingsmor- genS hinaus, das der Städter wohl beglückender empfindet als der Dorfbewohner, brachten die Kinder im alten Volksbrauch noch eine andere Gabe mit, und davon wollen wir erzählen. In einigen Mittcllausttzer Ortschaften gehörte zur Grünen donnerstagausrüstung der Kinder eine frischgeschnittene !Wei- denrute. Iu Cunewalde, TDehrsdorf, Steinigtwolmsdorf und wohl noch in einigen Dörfern dieses Gebietes war das der Fall. Zu einer besonderen Iungenkunst hakte sich in Cune walde das Binden der GrünendonnerStagpcitsche herausgebildek. Die Jungen wählten die Gprößlinge einer besonderen WÄ- denart dazu aus und flochten sie so zusammen, wie man einen Zopf flicht: zweireihig, dreireihig. Wer besonders geschickt war, brachte es sogar zu einer vierreihigen Peitsche. Mut diesen Peitschen schlugen sie am Grünendonnerstage an die Haus türen und heischten Gaben. Nun hat sich dieser Brauch bis in die Gegenwart in den Ortschaften um Lobendem im Schluckenauer Ländchen erhalten, wie überhaupt das nordböhmische Land manche Züge deutschen Brauchtums treuer bewahrte als das Volk diesseits der Grenze. Dort um Lobendau halten am Grünendonnerstage nur die Mädchen ihren Heischegang. Die Jungen gehen am Oster montag. Sic ziehen in Scharen durch das Dorf, tragen Ruten mit Bändern, mit frischem Grün und Blumen geschmückt. Sie klopfen damit an Tür und Fenster und sagen: „Ich kumme zu Scknnackustcrn!" Aus der Tatsache, daß die Mädchen am Grünendonners tage, die Knaben am Ostermontage ihren Heischeumzug halten, hat sich in der Lobendauer Gegend eine köstliche Redensart ge bildet. Die sagt man zu einem Nichtsnutz und heißt so: Wenn'ch diech zum Griendurschtge kriege, gah'ch diech zu Schmackustern wied'r furt! Wüs sollen die Weidenruten in den Händen der Kinder? Die Weide gehört neben der Hasel zu den Frühblühern in unserer Landschaft. In diesen beiden Pflanzen ist die TOachs- tumskraft des jungen Frühlings zuerst rege. Die Zweige dieser Pflanzen sind gleichsam damit angefüllt. Bringe ich ste nun durch Schlag mit einem Menschen in Berührung, so glaubten unsere Ahnen, daß dadurch die junge Lebenskraft auf den Ge schlagenen überströme. Er wird durch den Schlag mit der Lebenskraft der Rute erfüllt. Die volkskundliche Forschung be zeichnet mit einem treffenden Ausdruck unseren Brauch als Schlag mit der Lebensrute. Wir können annchmen, daß im älteren Brauchtum die Kinder mit der Lebensrute nicht nur an Fenster und Türen schlugen, sondern nach den Hausbewohnern selbst. Mit die sem Schlag brachten ste ihnen neue Lebenskraft und neue Lebens hoffnung. Ist dieses Geschenk nicht einer Gegengabe wert? Im heutigen Brauchtum unserer Dörfer ist die Rute der Hand der Kinder entglitten, und manche Entartungöerscheinun- gen haben sich breit gemacht. Diese Entartungserscheinungen müssen bekämpft werden, und dafür seien einige Vorschläge unterbreitet. 1. ) Der Umgang muß auf bestimmte Stunden des Vor mittags beschränkt sein. Das war auch früher so. Wir durf ten nicht in tiefer Nacht losstürmen, wir mußten zum ersten Morgenlänteu herum sein. Diese zeitliche Einschränkung kann nach den örtlichen Verhältnissen von der Gemeindebehörde fest gesetzt werden. 2. ) Laßt nicht nur die Kinder der „armen" Leute betteln gehen. Alle müssen mit! Vom Pfarrjungen bis zum kleinsten Häuslerjungen! "Wenn die alle mitlaufen, die „es eigentlich nicht nötig hätten", wird der Brauch sofort aus dem Verdacht der Bettelei herausgehoben und wieder zum „Volks"-brauch. 3. ) Große Madel und Jungen gehören nicht auf den Heischegang. Ihnen macht die Sache an sich keinen Spaß mehr, ste gehen wirklich nur auf Gewinn aus. Vom 6. Schuljahr an sollten die Kinder nicht mehr heischen, sondern zu Hanse mit austeilen. Das war auch früher so. 4. ) Verwöhnt die Kinder nicht mit zu reichen Gaben! "A Eerplatzl, a Mahlweißl, anc Bratzl" — bleibt bei diesen alten, schönen Grünendonnerstagsgaben! Wer damit nicht zu frieden ist, der ist ein Fechter und mag zu Hause bleiben! 5. ) Die Forderungen unter 4 schließen natürlich nicht aus, daß das Patenkind nach altem Brauch seine Semmel bekommt, daß ein Nachbarskind, bei dem ich mich für eine Gefälligkeit abfinden will, ein besonderes Geschenk erhält. Aber diese Gaben werden ja gewöhnlich nicht in den Sack gesteckt, sondern per sönlich überreicht. Die obigen Vorschläge greifen in das Brauchtum nicht selbst ein; sie sind geeignet, den ursprünglichen gesunden Zu stand wicderherznstellen. Jedes Brauchtum hat strenge Vor schriften, auf deren Befolgung geachtet werden muß. Verschwin den die Auswüchse des Grünendonnerstagheischeganges. dann stellt er einen Volköbrauch dar, der allen Schutz und alle För derung verdient. TDenn auch den Kindern in der heutigen Ausübung des Brauches die Lebensrute aus ihrer Hand entglitten ist, so sind ste doch das junge Leben unseres Volkes, das ste uns mit sich ins Haus bringen, und darum sollen ste bei uns nicht vor ver schlossenen Türen stehen! Des 5pucl< im ^otcnliäulel Von Hermann Klippel. Gottlieb Hölzel, der Zickelschlächter, schritt tapfer vorwärts aus dem zerfahrenen Wege, trotzdem er eigentlich kein Lieb haber von Fußmärschen war, bei denen man schwitzen mußte. „Immer sachte und ock ne jechen!" war sein TDahlspruch. Aber heute war er zwangsläufig von diesem Grundsatz abge kommen, denn der Sturm spielte in den Leitungsdrähten ein Lied in den höchsten Tonarten und ließ die schlanken Birken am Wrgrande tiefe Verbeugungen machen. Rabenschwarz und drohend kam von TDesten her das Unwetter, vereint mit der Nacht, herangezogen. Und in einen so fetten Prasselregen hin einzugeraten, wie da hinten einer zu kommen schien, war nicht nach Hölzels Geschmack. Darum bewegte er die Beine wie