Volltext Seite (XML)
derben Redewendung machen sie sich an die Arbeit, die ihrer wartet. Sie kriechen aufs Gerüst und schlagen eö ein. Das tun sie mit möglichstem Ungeschick. Sie schlagen daneben, stolpern, schimpfen sich aus. Die Äugend und eine große Kinderschar sehen mit viel Vergnügen diesem Spiele zu. Jetzt sind die beiden Zimmerleute wie aus Versehen unter den Wassereimer gekommen. Schnell schleicht sich einer aus der Jugend zu dem verhängnisvollen Strick und zieht. Ein herz hafter Platsch ergießt sich über die beiden. llebermütiges Lachen der Zuschauer dankt für diesen Spaß. Nun haben die Zimmerleute den wachthabenden Stroh- maun entdeckt. Sie stürzen sich über ihn, reißen ihn von seinem Gerüst, schlagen ihn mit wuchtigen Schlägen ihrer Aexte mausetot. Dabei geraten sie wohl noch einige Male unter den Eimer, und das lustige Spiel von vorhin wiederholt sich. Nach langer Arbeit, bei der sie sich scheinbar furchtbar schinden müßen, gelingt es den Zimmerleuten endlich, das Ge rüst herabzuschlagen. Dabei müßen die Zuschauer wohl acht haben, daß ihnen nicht ein Stück Latte um die Ohren fliegt. Einige OrdmmgSmänner der Jugend sorgen aber dafür, daß die Kinder nicht zu nahe drängen und weisen sie von gefährdeten splätzen. Nach dem Abschlagen des Gerüstes rollen die Zimmerleute oen schweren Bauernwagen fort. iWie fein, wenn nach dem Hofe zu ein kleiner Berg führt! Dann steht einer Faxen machens auf dem Mmgen, während der andere an der Deichsel zieht. Nachdem durch diese Arbeit die Haustür frei geworden ist, kommt ein feierlicher Augenblick. Die Tür geht aus. Der König tritt schärpengeschmückt heraus. Er dankt für die Ehre und ladet zu einer kleinen Bewirtung ein. Bei näherem Zusehen entpuppt sich auch dieser „Spaß" in seinen Kernstücken als altes Fastnachtsbrauchtum. Jetzt sehen wir deutlich den Gründ, warum die Oberlaufitzcr Kirmst ein so lustiges Fest ist: Sie hat in unserer Landschaft zahlreiches altes Fastnachtsbrauchtum aufgefangen. Es sind uralte Bräuche mit tiefer Sinngebung, die hie hier geübt werden, und es ist unfern Landsleuten nur anzuraten, an diesem Väterbrauchtum fest- zubalken. Meine Urahne Ntargarete Ohnesorge, Bautzen Ich habe sie sehr lieb gehabt, die Großmutter meines guten Vaters, mit ihrem weißen Haar und dem immer freundlichen Gesicht. Nicht ein einzig Mal habe ich sie traurig oder miß mutig gesehen. Sicher hatte sie aber im Leben auch ihr Hück- lein zu tragen; denn ohne Tränen kommt wohl niemand durchs Leben, und erst Leid und Sorgen schmieden den Menschen so zurecht, wie der Herrgott ihn haben will. So wird eö wohl auch bei meiner llrahne gewesen sein. Sie wurde 4837 geboren und ist 4920 gestorben, also bald ein Jahrhundert alt geworden. lWieviele Kriege hat sie schon miterlebt, um wieviele ihr lieb gewordene Menschen hat sie wohl immer gebangt. Was noch ihr Schmerz und Kummer gebracht haben mag auf der langen Lebenswanderung, das läßt den Menschen stille werden. Außer dem ist wohl der Mansch besonders von Gott begnadet, der sich still in Unabänderliches fügen kann. Da fällt mir eben ein, daß meine Urahne das Lied „Am Elterngrab" mit ganz besonderer Vorliebe gern gesungen hat. Meine Urahne war eine echte Obcrlausitzerin, die ihre Heimat dicht bei Zittau hatte. Als ich geboren wurde, wohnte sie schon als Witwe bei meinen Eltern. An Winternachmittagen, wenn es zeitig dunkel wurde und sie zu ihrer Treibarbeit nichts mehr sah, kam sie aus ihrem Stübchen zu uns herüber und brachte in der Schürze einige schöne Aepfel mit, setzte sich auf die Ofenbank und sing an, ihre Aepfel zu schaben und zu eßen. Natürlich war ich dann ganz dicht bei ihr und bekam auch mein Teil davon. Wie gut das schmeckte, weiß ich heute noch. Noch stiller saß ich neben ihr, wenn sie mir aus einem Märchenbuche vorlas. Selbst nahm sie auch gern die Zeitung zur Hand, und da sehe ich sie noch im Geiste sitzen, über die Zeitung gebeugt, in der einen Hand einen Klemmer haltend, der zuweilen auch nur ein Glas hatte. Eine Brille trug sic niemals, sa sic konnte sogar nach ihrem 70. Lebensjahre wieder ohne Glas lesen. Was mir als Kind ganz besonders viel Freude machte, war folgendes: Sie wußte, daß ich gern für sie einkaufen ging, und so ließ sie mich oft einen Nlohnzopf und eine Bratwurst holen. Mein Vergnügen bestand nun darin, nicht sogleich wieder zu ihr zurückzukehren, sondern ich setzte mich mit Wanst und Semmel unter meines Vaters Schreibtisch und fing an, beides anzuknabbern. Es dauerte dann jedesmal nicht lange, daß mich die llrahne suchen kam, und schon von weitem hörte ich sie sagen: „Wu steckt se oack, die kleene Mahre", und sie wußte es ja, wo ich war, denn ich änderte mein Versteck nie. Hatte sie mich gefunden, dann überreichte ich ihr immer mit einer heimlichen Freude das angebißene Schulfest, wie man in der Oberlausitz zu einer geräucherten Bratwurst mit Semmel zu sagen pflegt, llebelgenommen hat sie mir diesen Spaß niemals, und so wiederholte ich ihn eben gerne. Als ich dann schon etwas größer war, das erste oder zweite Jahr zur Schule ging, mußte ich ihr oft die getriebenen Garnpfeifen in die lWeberei Heim schaffen, und dafür gab es immer 4 oder auch 2 Pfennig in die Sparbüchse. Kochte meine llrahne Flecke, dann lud ich mich bei ihr zum Nlittagessen ein. Flecke und Kartoffelmus!! Nie wieder in meinem Leben haben mir Flecke, süß und sauer ge kocht, so gut geschmeckt wie eben bei ihr. Zum Dank für das leckere Esten half ich ihr manchmal treiben. Das Treibrad be diente ich, und die llrahne brauchte bloß den Faden zu führen und konnte sich so dabei mehr ausruhen. Etwas ganz besonders Schönes waren die Ferienreisen, die ich mit ihr machen durfte, abgesehen von den aufsteigenden Tränen, die sich nicht ganz unterdrücken ließen, wenn Vater und Mutter, uns noch weithin nachwinkend, an der Haustür standen. Doch den Abschiedsschmerz verscheuchten gar bald ein paar herrlich rot- und weißleuchtendc Lebenswecker, die meine llrahne stets bei sich hatte, falls ihr die Bahnfahrt nicht be kommen könnte. Der Zug, in dem die llrahne nie rückwärts fahren konnte, brachte uns meist zuerst nach Bischofswerda zu einem Enkel von ihr. Bei ihm verweilten wir einige Tage, dann ging unsere Reise weiter zu ihrer Tochter nach Dürrhenners dorf. lleberall verlebten wir wunderschöne Tage und hatten immer ein ganzes Jahr davon zu erzählen, wie schön es war, wenn wir zwei Wanderburschen, wie die Llrahne immer sagte, auf Wanderschaft waren. Noch fühle ich heute jene Feierlichkeit, die mich umfing, als ich an einem Heiligen Abend das erstemal mit ihr zur Christnacht gehen durfte. Eingebettet zwischen Gräberreihen lag die Kirche im Niederdorfe, die ich wohl von außen kannte; doch der wunderbare, gewaltige Eindruck, den das von Kronleuchtern und Christbänmen festlich strahlende Gotteshaus auf mich machte, als ich eintrat, wird mir unvergeßlich bleiben. Nach Weihnachten führte sie mich einige Male ins Theater, um die von ihrem Schwiegersohn verfaßten und im Kretscham aufgeführten Weihnachtsmärchen anzuschauen. So war ich denn immer unter ihrem Schutz. Waren Zigeuner im Dorfe, was öfter mal vorkam, so hakte meine Mutter nichts Eiligeres zu tun, als mich ins Stübchen zur llrahne zu bringen, dort wußte sic mich geborgen. Ein wenig neugierig war die llrahne allerdings, wenn sie am Sonntag jemand an ihrem Fenster vorbeikommen sah. Nleist fragte sie dann: „2Var moag oack doas sein?" Eine Verwandte gab ihr darauf mal zur Antwort: „Gicht oack froin!" Da mußte sie herzlich lachen und noch heute heißt es bei uns auf neugieriges Fragen: „Gicht oack froin!" Als Bauersfrau stellte sie ganz und gar ihren Mann und ließ sich da nicht ein A für ein ll machen. Zur Erntezeit half