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Wir treiben ihn über Berg und tiefe Tal, Daß er nicht wieder kommen soll, Wir treiben ihn über die Heyde, Das tun wir dem Schäfer zu Leyde." Der Zug bewegte sich durch sämtliche Straßen der Stadt und zuletzt zum Tore hinaus auf die Totenwiese. Hier wurde die den Winter darstellende Puppe von der jubeln den Schar in Stücke zerrissen. Die Reste warf man in den vorübcrfließenden Nööerfluß und kehrte dann unter fröh lichen Gesängen nach der Stadt zurück. Spät am Abend versammelte sich das lustige Völkchen nochmals auf dem Markte, zog sodann mit langen Strohfackeln auf den Schloßberg oder eine andere Anhöhe und zündete hier die Fackeln an. Verschiedene Lieder wurden gesungen und zu letzt die brennenden Fackelstümpfe auf einen Haufen ge worfen und verbrannt. Dann umtanzte man das lodernde Feuer, schwenkte die brennenden Reisigbündel über die Köpfe und sprang tobend und lachend umher., Zu vorge rückter Stunde ging cs mit Gesang nach der Stadt zurück. Der Reim, der bei der Rückkehr erklang, hatte folgenden Wortlaut: „Den Tod haben wir ausgetrieben! Den Sommer bringen wir wieder! Den Sommer und auch den Mayen! Der Blümelein sind mancherleyen!" Während anfänglich auch Erwachsene sich an diesem Brauche beteiligten, wurde er später nur von Kindern ausgeführt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde er durch eine landesherrliche Verordnung allgemein untersagt. Er hat sich aber als Unterhaltung der Straßenjugend noch bis 1748 erhalten, wo er das letztemal stattfand. Mit ihm schwand auch hier wieder ein Stück uralten Volkstums dahin. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts haben wir das „Sommersingen" der Kinder am Sonntag Lätare im äußersten Osten der Oberlausitz, in Halb au vorgesun den. An diesem Orte ging die Jugend von Türe zu Türe und trug ein mit Bändern, bunten Papierstreifen und anderem geputztes Sommerbäumchen mit sich umher und sang dabei ein Liedchen, von dem nur noch der Anfang be kannt ist: „Stand der Sommer wohl auf Erden, Daß wir alle fröhlicher werden, Stand der Sommer stille, Wer ist denn nur hier drinnc?" Man beschenkte die jugendliche Schar mit Brezeln, Geld und anderen Gaben. Von den oberlausitzer Wen den wurde eine von Stroh und Lumpen gefertigte Puppe von einer „starken Dirne" in vollem Laufe fortgetragen, wobei die sie begleitenden jungen Leute einen Reim san gen, der in deutscher Übersetzung lautet: „Fliege hoch, fliege Hoch, dreh dich um, fall nieder, fall nieder!" Alle Anwesenden warfen mit Steinen oder Holzstücken nach dem Strohmann, denn man glaubte, daß derjenige, der ihn träfe, in dem betreffenden Jahr nicht stürbe. Dann wurde er ins Wasser oder auch über die Dorfgrenze geworfen, was sehr ost zu Streitigkeiten mit der Jugend des Nach barortes führte, die den „Tod" auch nicht auf ihren Fluren dulden wollten. An manchen Orten ist das Hinaustragen und Vernich ten der Strohpuppe mit der Zett in Wegfall gekommen und nur der gabenheischende Umzug der Kinder geblieben. So sind in Nenkirch am Hohwald die Kinder noch bis vor wenigen Jahrzehnten mit Tannenbäumchen, die mit Bändern, Buntpapier und Bildern geschmückt waren, vor die Haustüren gezogen und haben um Gaben gebettelt, worauf ihnen meistens Eier verabreicht wurden. Dazu sangen sie: „Den Tod, den Tod haben wir ausgetrieben, er wär in unserm Dors geblieben. in unserm Dorf und Lande, das wär uns eine Schande. Wir haben ihn getrieben über Stock und Stein, wir haben ihm gebrochen Hals und Bein. Die Schüssel hat einen goldnen Rand, die junge Frau 'ne milde Hand, sie wird sich wohl bedenken und uns ein Gackei schenken. Schenkt sie uns das Gackei nicht, so bringen wir auch den Sommer nicht. Der Sommer und der Winter, das sind Geschwisterkinder, der März und der Mai, da sind wir all dabei." In der Kamenzer Gegend, unfern der preußischen Grenze, wurde eine Art Vogelscheuche mit den folgenden Worten verbrannt: „Der Leisk ist tot, der frißt mein Brot, Den schlan mer tot, zum Sapperlot!" Wie im benachbarten Schlesien am Sonntag Lä tare, dem „Sommersonntage", die Kinder von Haus zu Haus „Sommersingen" gingen und wohl noch gehen, so geschieht dies auch in der Oberlausitz an diesem Tage unter dem Absingen ähnlicher Lieder wie in jener Gegend. Sie erscheinen mit bunten Zweigen in den Händen und erhal ten als Gaben zumeist Eier. Ausgezeichnet sind solche Bitt- verse noch in neuerer Zeit in Kamenz, Großschönau und Markersdorf. Aus der Südostecke der Oberlausitz, aus Markersdorf bei Zittau, stammt der Vierzeiler, den wir noch an dieser Stelle mitteilen wollen: „Drei Rosen rot, drei Rosen rot, die stehn auf einem Stengel, — der Herr ist schön, der Herr ist schön, die Frau ist wie e' Engel, — Frau Wirtin geht im Haus herum, sie hat 'ne weiße Schürze um, — mit einem roten Bande,- sie ist die Schönste im Lande." Im Jahre 1923 vernehmen wir aus der Dresdner Gegend folgende Nachricht: Am Sonntag Lätare waren in der Gegend südlich von Radeburg auf den Gehöften wieder die sogenannten „Sommerbäume" zu beobachten. Auch ausgeblasene Eier hingen zwischen buntfarbigen Bän dern aus Seidenpapier. Man verspricht sich davon, daß die Hühner im Jahre recht fleißig legen werden. Von Strießen bei Großenhain wird uns aus diesem Jahre l1925> berichtet: Die uralte deutsche Sitte des Brezelsingens, die mit Ausbruch des Krieges aufgehört hatte, wird jetzt wieder eingeführt. Am Sonntag Lätare, dem sogenannten „Brezel- und Frühlingssonntag", zogen hier zum ersten Male wieder die Kinder von Haus zu Haus, um mit munterem Lied das Scheiden des Winters und Nahen des Lenzes zu verkünden. Sucht man sich im allgemeinen die Volksbräuche zu Lätare zu erklären, so stehen sie, wenigstens soweit das Feuer bei ihnen eine Rolle spielt, sicher in verwandtschaft licher Beziehung zu den übrigen Frühlingsfeuern, den Fasten-, Oster-, Walpurgis-, Pfingst- und Johanuisfeuern, die alle mehr oder minder die Bedeutung haben, die Luft von schädlichen Dämonen zu befreien, sie demnach zu rei nigen. Der Tod ist die bildliche Darstellung des Winters, den man als eine zerstörende Macht bei diesen Gebräuchen sinnbildlich vernichtet, worauf mau den Blüten und Früchte verheißenden „Sommer" einholt. In der H c i m a t l i t e r a t u r der Oberlausitz, darauf sei zuletzt noch hingewiesen, hat das „Todanstrei ben" am Sonntag Lätare schon mehrfach Aufnahme und dichterische Verwendung gefunden. So erstmalig in dem zehnbändigen sozialen Roman „Weiße Sklaven" von Ernst Willkomm, dem aus Herwigsdorf bei Zittau stam menden einst vielgelesenen deutschen Romanschriftsteller. Das umfangreiche Werk, das seinen Schauplatz zum größ ten Teile in der nördlichen, wendischen Oberlausitz hat,