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Wissenschaft und begeisterten Lessingforscher. Er hat, ebenso wie sein einziger Sohn Gotthold, der Stadt Kamenz viel Gutes getan, weshalb sie beide Ehrenbürger wurden. Doch zurück zum Dichter. Er besuchte nach dem ersten Unterricht, den er von seinem Vater und dann durch einen älteren Vetter erhielt, die Kamenzer Stadtschule. In seine Jugendzeit fällt ein Ereignis, bekannt geworben durch sei nen Bruder Karl, der es uns in der Lebensbeschreibung Gottholö Ephraims wie folgt berichtet: „Als ein Maler ihn im fünften (?) Jahr mit einem Bauer, in welchem ein Vogel saß, malen wollte, hatte dieser Vorschlag seine ganze kindliche Mißbilligung. „Mit einem großen, großen Haufen Bücher," sagte er, „müssen Sie mich malen, oder ich mag lieber gar nicht gemalt sein." Und so stellt ihn denn auch ein Bild dar, das der Kamenzer Maler Segmann, der auch seinen Großvater festgehalten hat, ent worfen hat und das unser Lessingstift als wertvollstes Ge mälde birgt. Mit 11 Jahren (1741) kam Gotthold auf die Fürsten schule St. Afra in Meißen, wo er hauptsächlich Dank seiner großen Sprachbegabung den Grund zu seiner klassischen Bildung legte. „Er ist ein Pferd, das doppelt Futter haben muß, die Lektionen, die anderen zu schwer werden, sind ihm kinderleicht, wir können ihn fast nicht mehr gebrauchen", schrieb sein Rektor. Mit seiner Übersiedelung nach Meißen verließ Lessing Kamenz, wohin er später nur zu kurzen Aufenthalten zurückkehrte, um seine Eltern schnell einmal mit zu besuchen und später, um seine in großer Dürftig keit lebende Mutter zu unterstützen. 1746, also im 17. Jahre, begann Gvtthold sein Studium, anfangs wider seinen Willen, aber auf Wunsch seiner Eltern, Theologie, später ganz den schönen Künsten und der deutschen Literatur gewidmet. In Leipzig, Wittenberg und Berlin lag er ihnen ob. Dabei verdiente er sich durch eigene Schriftstellerei sein erstes Geld, trat in Beziehungen zum Theater, veröffentlichte seine Gedichte unter dem Titel „Kleinigkeiten" und schrieb seine ersten noch ganz den Geist der Zeit atmenden Lustspiele: Der junge Gelehrte, der Schatz, die Juden a. a. Bis in den 7 jährigen Krieg hinein führte Lessing, der inzwischen seine Studien durch Erwerb der Magisterwürde abgeschlossen hatte, ein wanderndes Literatenleben. Schon damals trat er als schonungsloser Kritiker schlechter Übersetzungen hervor (Vademecum für Herrn Pastor Lange) und verfertigte sein erstes Trauer spiel, das gegen alle damaligen Regeln der Dramatik in Bürgerkreisen sich bewegt: Miß Sara Sampson (1785). Ge rade als er die Aussicht hatte, als Begleiter eines jungen reichen Leipziger Kaufmanns Europa kennen zu lernen und er bereits in den Niederlanden weilte, brach der Sie benjährige Krieg aus und machte alle Hoffnungen zunichte. Aus tiefer Sorge befreite den jungen Dichter, der tm „Phi lotes" auch sein Scherflein zur Kriegsdichtung der Friederi- zianischen Zeit beigetragen hatte, das Angebot des preußi schen Generals von Tauentzien, als Sekretär bei ihm in Breslau tätig zu sein. Arbeit hatte Lessing nicht viel, so daß er völlig Muse hatte, zu lesen und zu arbeiten. Die Frucht dieser Zeit war bas kunstkritische Werk „Laokoon", eine Abhandlung über die Grenzen der bildenden und redenden Künste, insbesondere Plastik und Dichtung (176S erschienen) und seine „Minna von Barnhelm", die wahre „Ausgeburt des Siebenjährigen Krieges" (1787 erschienen und mit großem Erfolg aufgeführt). Lessings „Minna" ist das beste deutsche Lustspiel, das wir besitzen, ein Werk, das der Versöhnung zwischen Preußen und Sachsen dienen soll. Da die Hoffnungen, im Staate Friedrichs des Großen als Büchereiverwalter angestellt zu werden, zerrannen, da der alte Fritz einem Franzosen den Vorrang gab, nahm Les- stng das Anerbieten an, in Hamburg in dem neu gegründe ten Nationaltheater als Dramaturg, d. h. Theaterdichter und -Kritiker, tätig zu sein. Hier in dieser für ihn wie geschaffenen Stellung beginnt unser großer Kamenzer sei nen letzten und rücksichtslosesten Kampf gegen die damals vom Leipziger Professor Gottsched empfohlenen und darum die gesamte deutsche Bühne beherrschenden französischen Klassiker. In der „Hamburgischen Dramaturgie", einer Art Theaterzeitung, die die aufgeführten Stücke inhaltlich wie nach der Art der Vorführung besprach, räumte Lessing mit dem Vorurteil auf, daß der deutsche Dichter sich den Fran zosen als Vorbild nehmen müsse, und wies auf die uns viel stamm- und artverwandten Engländer, insbesondere Shakespeare, hin. Seine Beweisführung war so logisch und scharf, daß sich ihr auf die Dauer niemand zu entziehen vermochte. Leider ging das Hamburger Nationaltheater ein, und Lessing geriet wieder in schwere Sorgen, sodaß er seine mühsam gekauften Bücher versteigern lasten mußte. Da war es der braunschweigische Erbprinz, der dem unerbitt lichen Kritiker für den Rest seines Lebens eine zwar nicht allzu glänzende, immerhin aber doch auskömmliche Stelle anbot: Anfang 1771 wurde Lessing Verwalter der herzog lichen Bücherei in Wolsenbüttel. Hier konnte er sich dann auch eines kurzen Eheglückes mit Eva König, der Witwe eines ihm befreundet gewesenen Hamburger Kaufmanns, erfreuen. Doch die Geburt eines Sohnes warf die Mutter bald aufs Krankenlager und der Tod nahm Lessing wieder die beiden Lieben. „Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen, aber es ist mir schlecht bekommen", schreibt der tief Niedergebeugte. Die Wvlsenbüttler Zett ist für unfern Stadtsohn ein Abschnitt fleißigsten Schaffens gewesen. 1772 erschien sein Trauerspiel: Emilia Galotti, das uns trotz seines italieni schen Gewandes die Zustände schildert, wie sie im 18. Jahr hundert an den deutschen Fürstenhöfen waren. In einen heftigen Streit wurde Lessing verwickelt, als er, der sich längst vom starren Dogmenglauben des Luthertums frei gemacht hatte und jenem freien Glauben huldigte, dem auch Friedrich der Große angehörte (Deismus), das Werk eines solchen Freidenkers herausgab: Die Wvlsenbüttler Frag mente. Sein ehemaliger Hamburger Freund, der Hauptpastor Goeze, zog gegen ihn mit den schärfsten Waffen zu Felde, Lessing antwortete nicht minder gereizt. Bald war der schärfste Streit im Gang. Da mischten sich in Abwesenheit des Erbprinzen seine braunschweigischen Gegner hinein und entzogen Lessing kurzerhand das Wort. Da beschloß der Unerschrockene, seinen Feinden ein Bild seines Glaubens zu zeichnen. Er tat das auf seinem Lieblingsgebiet, dem Theater. 1779 erschien sein Nathan der Weise, des Dichters bestes und reifstes Werk, der Jubelsang auf die echte Menschenliebe nnd das gegenseitige Verstehen. Am 15. Februar 1781 schloß unser großer Stadtsohn in Braunschweig seine Augen für immer. Auf dem St. Magntfrieöhof bereitete ihm sein Herzog eine ehrenvolle Ruhestätte. Groß ist Lessings Bedeutung für unsere deutsche Dicht kunst. Hervorragend sind seine Dramen, die zu dem Besten gehören, was deutscher Geist geschaffen, vor allem sein Nathan. Doch wichtiger ist Gotthold Ephraim als Kritiker. Er gehört seiner ganzen Auffassung nach ins Zeitalter des Großen Friedrichs, der Aufklärung (Rationalismus). Und Aufklärer ist unser Kamenzer Pfarrerssohn gewesen. Rück blickend prüft er das bisher Geschriebene und sichtet es auf seinen Wert und Unwert. So steht er als Letzter am Ende einer dahinsinkenden Zeit, aber so, daß er dem nachfolgen den Geschlecht unserer größten Dichter, einem Goethe und Schiller, den Weg bahnen half, auf dem sie dann sicheren Fußes wandeln konnten. Zeit seines Lebens ist Gotthold Ephraim Lessing ein Kämpfer gewesen, ein Streiter für Wahres und Echtes. Darum ist es nur billig, daß wir Dentschen seinen 200. Geburtstag festlich begehe». Uns Kamenzern aber mußte eb