Volltext Seite (XML)
So lebhaften Eindruck dies auch auf die Gemüter machte, so zeigte sich doch gleich am Anfang der Not ein durch bange Augenblicke erschütterter, aber durch Gottes Gnade bis ans Ende bewahrter Geist der Verbundenheit in der ganzen Gemeine. Am 12. Mai kam gegen 6 Uhr morgens ein Detachement von 50 russischen Kürassieren hier an. Sie nahmen vom herrschaftlichen Hofe sämtliche Heu-, Stroh- und Hafer- Vorräte weg. wie es den folgenden Tag auch im Gemein- Logis geschah. Da sich nun auch außerdem immermehr Ur sachen darzubieten schienen, gewalttätige Auftritte zu ver muten, so begaben sich die Brüder Krause und Forestier nach Bautzen, um wo möglich noch etwas zur Sicherheit des Ortes zu versuchen. Sie wurden dem Grafen Talstop und Fürsten Wolkansky vorgestellt, und von demselben mit den unzweideutigsten Beweisen des Wohlwollens, zugleich aber mit der Bemerkung entlassen, daß man unter den gegen wärtigen Umständen von ihrer Seite nicht mehr viel zu tun vermöge. Sie erteilten jedoch einen schriftlichen Sauve- garde-Brief (Sicherheits-Brief), in welchem es unter ande rem heißt: „Im Namen seiner Kaiserlichen Majestät wird allen zu den großen, in Wirkung stehenden Armeen ge hörigen Truppen-Kommandos und einzelnen Personen, der Befehl erteilt, die der Fräulein von Tschirsky gehörige Kolonie Klein-Welka vor Beleidigungen, Kränkungen und Bedrückungen zu sichern, wie auch benanntem Gute Schutz und Hülfe zu gewähren, unter Androhung der im ent gegengesetzten Falle strengsten Strafe nach den peinlichen Kriegsgesetzen und Todes-Strafe,' da besagtes Fräulein von Tschirsky mit ihren Besitzungen sich unter dem beson deren Schutze Seiner Kaiserlichen Majestät befindet." War der Zeitraum, in welcher dieser Schutzbrief seine Wirkung beweisen konnte, gleich nur sehr kurz, so traten doch einige Fälle ein, in welchem sich von demselben ein vorteilhafter Gebrauch machen ließ: im allgemeinen hatte er auch auf die Beruhigung einiger allzu ängstlicher Ge müter einen vorteilhaften Einfluß. Gegen Abend hatten wir starke Durchmärsche von russischen Truppen, unter wel- , chen sich auch ein bedeutendes Corps Kosaken befand, unter Anführung des Fürsten Platow, welcher im Brüderhaus einige Erfrischungen genoß und sich sehr freundschaftlich benahm. Die Merkmale des Vordringens der französischen Armee entwickelten sich inzwischen immer deutlicher. Das fast ununterbrochene Krachen der schweren Geschütze tönte näber und stärker, Brandfackeln von angezündeten Ort schaften röteten den Horizont, auch das zwei Meilen von hier entfernte Städtchen Bischofswerda wurde mit Aus nahme einiger weniger Häuser ganz in Asche gelegt. Die ses veranlaßte uns, auf den denkbaren Fall eines ähnlichen Nugl'icks zunächst auf die Sicherheit unserer in den beiden Anstalten befindlichen zahlreichen Jugend möglichsten Be dacht zu nehmen. Es schien uns am zweckmäßigsten, zu nächst von dem Anerbieten des Herrn Verwalter Polenz Gebrauch zu machen, und unsere Anstalten in dem ge räumigen gräflich Einsiedslschen Schlosse zu Milkel einen einstweiligen Zufluchtsort zu «erstatten. Ein ähnliches An erbieten erhielten wir von dem Inspektor Standfest wegen Ubyst und von Herrn Inspektor Günther wegen Greba (Creba O.-L., Kreis Rothenburg). Bruder Voullaire, der die Aufsicht zu führen hatte, wurde in dieser Hinsicht mit einigen speziellen schriftlichen Instruktionen versehen. So gingen dann am 13. Mai früh sämtliche Kinder der beiden Anstalten nebst einigen Vorgesetzten — 106 Per sonen im ganzen — von hier zu Fuß nach Milkel ab, wo sie gegen Mittag ohne allen Aufenthalt glücklich ankamen und eine liebreiche Aufnahme fanden. Schon am Abend ging die erfreuliche Anzeige bei uns ein, daß alles mögliche für die Bequemlichkeit und anständige Unterbringung der Kinder getan sei. Wir waren umso dankbarer, sie in Sicher ¬ heit zu wissen, da unsere hiesige Lage immer bedenklicher wurde. Die in kleinen Abteilungen oder einzeln von den verbündeten Armeen zurückkehrenden, zum Teil verwunde ten Flüchtlinge zeigten sich immer häufiger, in ihren Forde rungen wurden sie immer zudringlicher und wilder und heftiger, welches besonders bei den Bäckern, im Gemein- Logis und im Brüderhaus der Fall. Man machte daher, aufgemuntert durch das Beispiel einiger anderer Ort schaften, am 14. Mai noch einen Versuch, einige Mann Russen als Sauvegarde (Sicherheits-Mannschaft) zu erhal ten. Die Freude, denselben gelingen zu sehen, war inzwi schen von kurzer Dauer, indem die uns bewilligten 2 Mann nach wenig Stunden schon wieder Befehl erhielten, zu ihrem Regiment zurückzukehren. Für einzelne Fälle war aber doch auch jene kurze menschliche Hülfe von günstigem Erfolg. So wurde vor dem Gemein-Logis ein ungestümer Russe, der, als seine übertriebenen Forderungen nicht befriedigt werden konnten, die Anwesenden durch Säbelhiebe in Ge fahr setzte, von dem Sauvegardisten und einiger von ihm dazu aufgeforüerten Brüder entwaffnet, vom Pferde ge rissen und unschädlich gemacht. Er sollte mit Stricken an sein Regiment abgeltefert werden: auf Bitte der Brüder kam er aber wieder los, wofür er sich sehr dankbar bezeugte und dann davon eilte. Es wurde inzwischen immer unruhiger in unserem Orte, so daß man für notwendig fand, auf die Nacht eine sehr starke Platzwache von Brüdern anzuordnen. Die mei sten Geschwister gingen nicht zu Bette und blieben ange kleidet, um auf alle Fälle in Bereitschaft zu sein. — So er warteten wir den 15. Mai als einen sehr angstvollen Tag, an welchem sich der gänzliche Rückzug der verbündeten Armeen uns durch den Augenschein bestätigte, indem Sol daten aller Art nebst Artillerie und Munitionswagen fast ununterbrochen hindurch gingen. An Erpressungen und Un ordnungen mancher Art fehlte es nicht, in mehreren Häu sern wurde geplündert. Einigen Brüdern wurden Uhren und andere Sachen, die sie bei sich hatten, aus offener Straße geraubt. Die verschlossene Tür des Brüderhauses wurde mit Gewalt aufgesprengt, und es war ein besonderes Glück, daß durch die schleunigste Befriedigung der Forderungen sich die durch den Widerstand erbitterten Plünderer besänf tigten und von weiteren Gewalttätigkeiten abhalten ließen. Man hoffte etwas mehr Sicherheit für Fälle dieser Art, da ein kleines Corps Preußen sich in der Gegend des Dorfes Lubach (heut Lubachau) nicht weit vom Orte lagerte und eine regelmäßige Forderung von Brod, Semmeln, Wein und anderen Lebensmitteln machte und empfing. Allein die Räuber ließen sich dadurch in ihrem Unwesen nicht stören und uns erwuchs eine neue Gefahr. Nach einem heftigen und siegreichen Angriff bei den Dörfern Gaußig und Göda — etwa 3 Stunden von hier — war nämlich unter dröhnen der Kannonade die Avant-Garde der französischen Armee nachmittags bis Salzförstchen (Salzenforst), Stunde von unserem Orte, vorgerückt und hatte einen Hügel, der von dem daraufstehenden Kruzifix gewöhnlich das Kreuz ge nannt wird, mit einer Batterie besetzt. (Auf dieser Höhe steht jetzt ein Kreuz zur Erinnerung an Napoleon, der da selbst geweilt hat.) Wahrscheinlich von dieser Höhe herab fingen sie an, vorerwähntes preußische Corps zu beschießen, dies zog sich jedoch glücklicherweise bald zurück. Etwa eine Viertelstunde dauerte es, daß wir Kugeln über unseren Ort wegsausen hörten und auf einigen nahe liegenden Feldern Haubitzen niederfallen sahen. Doch blieben wir be wahrt während dieser schauerlichen Augenblicke vor allem Unglück der Personen und Habseligkeiten. Ein großer Teil der ledigen Schwestern und auch verschiedene verheiratete Geschwister glaubten nun den gänzlichen Untergang des Dorfes nahe, und die Notwendigkeit, sich durch die Flucht zu retten, unvermeidlich. Sie begaben sich daher mit einigen ! Lebensmitteln und Kleidungsstücken, die sie mitzunehmen