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„Saht'rn? 's is dr Zachäus!" Stolz kams von seinen Lippen. Die Szene war wert, mit Dampf behandelt zu werden. Die Pfeife wurde angebrannt. Wenn sie dampfte, sagte er: „Drnou kimmt dr Heiland. Uf dan wart ar." Ja, Johann wußte sich zu helfen. Aber die Zuhörer waren zufrieden. Er wird schon noch kommen, der Heiland. Tröstlich kam cs: „Ar Hot no vill Zeit." Eine Lieblingsszene waren die Hirten auf dem Felde. Schäfchen weideten. Ein Engel aus Wachs schwebte hoch oben. Weder auf die Hirten noch auf den Engel zeigte die Pfeifenspitze. Hauptsache waren hier die Schäfchen. „Don stiehn se," begann er. Man merkte ordentlich, daß er ihnen gut war. „Lauter hübsche Schoufl," sagte er mehr für sich. Die Lämmer waren freilich alle schön. Wir hatten doch so manches davon in der Behandlung gehabt. Das Rohr hielt über einem Schäfchen: „Dou! 's is a junges." Es wurde gebührend bestaunt. „Dou," fuhr er fort, „ej ganz junges." „Dou, de Mvtter drvou." Ganz verklärt schauten seine Augen. Er mar ganz bei der Sache. „Und dou! Dos kratztch mit dr Pfute." Auf dies Schäf- lein war er besonders stolz. „Dos leiht (liegt)," gings weiter. Von jedem wußte er etwas zu sagen. Alle Jahre dasselbe. Und doch hörten wir jedesmal gern drauf. Johanns Krippe! hatte noch eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges: Die Löwengrubc. Die kam zuletzt. Wohl 2—8 Minuten stand die Pfeifenspitze über dieser Szene. In einer Vertiefung lagen und standen ein paar Löwen. Sie sahen aber recht friedlich aus. Hier mußte er korrigieren: „Die sein biese," sagte der Alte knurrig. Man mußte es glauben. „Wilde Viecher seins." Brummig stieß er es heraus. „Se frassen Menschen." Wir glaubten aufs Wort. „Dou sitzt dr Daniel." Wirklich, da saß ein Männlein. „Dam tun se nischt. Ihr braucht Euch ne fertn." Als letzte Gruppe sparte er sich den Stall zu Bethlehem auf. Jedes Jahr wurde an diesem etwas geändert. Seine Stimme wurde weich, wenn er vom Stall zu reden be gann. Zuerst zeigte er das „Jesuskind!" und seine „Mot- ter". Nach dem „Nährvotr Josef" kamen die Hirteu an die Reihe und zuletzt seine geliebten Tierlein. „Doas is dr Äsel." „Doas is dr Ochse. Ar frißt Fottr." „Dou sticht e Kalbl. Sahtrsch? E schie Kalbl." „Dou sticht e Schoufl. — Dos sticht! — Dos leiht (liegt)" uss. Alles wurde erklärt, kurz und bündig. „Etz hattrsch gesahn." Dieser Satz bedeutete den Schluß. „Etz gieht heem und macht keene Dommheeten." Stumm begab er sich in seine Ecke. Mochte nun kom men, wer wollte. Der Alte redete kein Wort mehr. Wir aber gingen heimwärts, beglückt von allen den Herrlichkeiten, die nur gesehen hatten. Noch lange klangen die Worte des Alten im Innern, und so fest haben sie ge halten, daß ich sie heute noch höre, obwohl fast 50 Jahre darüber hinweggegangen sind. Es liegt ein Reif... Nun sind sie doch gekommen, die Vorboten des Win ters. Ganz sacht und leise haben sie vom hohen Gebirge herab, wo sie die Herrschaft schon errungen haben, den ersten fühlenden Schritt in unser Lausitzer Bergland ge wagt. Weil der Winter nicht nur Tyrann, sondern zugleich auch Diplomat ist, ist das noch nicht böse gemeint. Aber wir fühlens alle, es ist eine Kampfansage in liebenswür digster Form, in der schon ein Stück Gewißheit des Sieges über die grüne Welt eingeschlossen liegt. Strahlende, aber fröstelnde Mondnacht ist vorüber. Der Himmel zeigt über dem lockigen Wölkchenschleier des Horizontes wieder sein sattes, tiefes Blau. Und doch liegt in dessen Tönung schon ein zarter Hauch jener kommenden, strahlenden, eisigen Winterkälte. Selbst der Sonne erster Schein stimmt nicht mehr in lichter Glut mit ein. Sie „rückt und weicht" Schritt um Schritt «ach Süden, denn der Sommer ist überlebt. Und Mutter Erde? Sie rüstet sich zum Kampfe, sie rüstet sich zu harter langer Gefangenschaft, sie rüstet sich zu neuem Siege. Da liegt der erste Reif, weich und weiß und zart. Er deckt duftig und leicht die blumenmüde Wiese mit den Manlwurfhügeln, er liegt über dem gestürzten, braunen Acker in sanfter Wölbung. Doppelt deutlich treten die langen Zeilen der Furchen hervor. Letzte Blumen und letztes Kraut überzuckert er, aber für sie ist es Arsenzucker, der Gift und Tod bedeutet. Vergessene Löwenmäuler und Winterastern und letzte Rosen horchen auf, bunt betütete Kresse und Bohnengerank ist erschreckt, und zartstrahlige und farbenwvlliistigc Dahlien hängen schon entseelt .üöpfe und Kraut. Sie sind des Winters erstes Opfer. Lange in den Vormittag hinein halten die Schieferdächer auf der Schattenseite den weißen Reif, während die hauchdünnen Seidcngespinnste der Spinntiere schon in den ersten füh lenden Strahlen der Sonne ihre Zauberschleier mutlos zer fließen lassen. Noch funkeln zerlegte Sonuenfarbcn in den zitternden Tröpfchen, und ehe man sich versieht, sind sie mit all ihren Schwestern von Wiese, Feld und Baum und Blu men himmelwärts in Dunst und Duft zergangen. Ja, der erste Reif ist etwas Vergängliches, Zerfließen des, ein schnell entschwundener Traum. Aber seine Wirkung ist von Dauer. Nach einem Reifmvrgen löst sich sacht Blatt um Blatt vom schwanken Zweige und schwebt schaukelnd und schimmernd und tändelnd zur Erde. Morgen noch ein lustiges Spiel der Winde, übermorgen schon entfärbt, ent- fvrmt und auf dem Wege alles Vergänglichen, ein neues Wachstumsatvm der schweren, fruchtbaren braunen Scholle zu werden. Der Baum aber ist froh, seines bunten Flitters nun ledig zu sein, weil er nur so der drückenden Winter schwere trotzen und ein neues grünendes, blühendes Ban ner eines neuen Frühlings werden kann. Des weißen Reifes zarte Schleier ninivebeu Blumen, Wies' und Feld und sind die letzte Abschiedsfeier vvrm Wintertvd der bunten Welt. Wenn auch die Sonn' sie bald mag lüften, ihr grausam Wirken bleibt bestehn. Doch eine Hoffnung steigt aus Grüften: Dem frohen Tod folgt ewges Auferstehn. Oswald Gebauer. Die Christrose Von Kurt Schöne, Obercunewalde Wie es unter den Menschen und Tieren Sonderlinge gibt, deren Lebensgewvhnheiten stark von denen des Durchschnitts abweichen, so treten auch im Reiche der Pflanzen Vertreter auf, die eine eigenartige Sonderstel lung einuehmen. Zu Beginn der kalten Jahreszeit, wenn alles Blütenleben draußen in der Natur abstirbt und unsere Blicke vergeblich nach Farbenpracht suchen, beginnt die Wachstumsperiode einer Freilandblume, die in den Monaten November bis März ihr Blattwerk und seltsame Blüten entfaltet. Diese absonderliche Pflanze, die schwarze Nieswurz (Hellcbvrus Niger), ist bekannter unter dem Namen Christrose, Schneerose, Weihnachtsrose oder Christwurz. Alle diese volkstümlichen Beinamen sind sehr treffend für den Charakter dieses Winterblühers ge wählt. Mitten im Winter, unter Eis und Schnee, ent wickelt die Christrose ihre graugrünen Blätter. Wie ein Wunder erscheint es uns, daß oft gerade um die Zeit des Weihnachtsfestes das krautige Blattbiischel die dünne Schneedecke durchbricht und den härtesten Frvstiiächten