Volltext Seite (XML)
er jede Figur iu die Hand, besah sie von allen Seiten, be fühlte die Glieder ivie ein Doktor. Sobald er den geringsten Schaden merkte, legte er die Figur wortlos beiseite. Das war eine harte Geduldsprobe für uns. Wir saßen lauernd dabei und wollten mit Leimtopf und Farbenpinsel hantie ren. Wer sich vergaß und ihn drängelte, den schob er auf Nimmerwiedersehen zur Tür hinaus. Hatte Johann eine Anzahl „Kranker" beisammen, so spannten wir. Er fragte nicht: Wer will dies Manuel lei men? Dies Schäfchen bemalen? Das alles bestimmte er. Er sah jede Figur noch einmal an und sagte dann barsch zu einem von uns: „Don hoste. Babbs!" (leime). Oder er schob ein Schäf- lein hin und befahl: „Dou hoste. Mouls!" fmals). So ging es Stück für Stück. Bei der Rückgabe hielt er strenge Kritik. Wer nicht sauber arbeitete, erhielt den Ab schied. „'s is nischt!" sagte er. „Brauchst nemi kum!" Bei Aufbau des Geländers ließ er sich nicht helfen. „Ihr seid mir ack ei'n Waje," meinte er. Erst in späteren Jahren ist mir zum Bewußtsein ge kommen, weshalb er beim Aufbau niemand dabei haben mochte. Er änderte sein Krippel fast jedes Jahr. Dabei mußte er seine Gedanken zusammen nehmen. Er lehnte sich bei seinen Schöpfungen gern an biblische Erzählungen an. Alle Jahre fügte er einige neue Figuren ein. Das ganze Jahr hielt er Ausschau danach. Soviel mir erinnerlich, holte er sich die Figuren in Bttrgstein bei Haida. Johann war' ein „armer Teifel". So bezeichnete er sich selbst. Er hätte können gar wohl eine Sammelbüchse auf stellen, wie das anderwärts üblich war. Dazu war er zu stolz. „War wos gibt, gibt wos," antwortete er einmal meinem Vater, der ihn dazu aufmnntcrte. „Gebattelt mord ne." — Die wenigen Spenden sammelte er gewissenhaft und verwandte sie zum Ankauf neuer Figuren. Alles andere baute er selbst. Sein Krippel sollte etwas „extraes" sein. Der Tempel von Jerusalem glich aber den üblichen Bau ten. Wahrscheinlich konnte er sich keine andere Vorstellung davon machen, als wie er ihn geschaut hatte. Dagegen änderte er oft den Stall zu Bethlehem. Besonders stolz war er auf den Ölberg, den Jordan, den See Genezareth und den Libanon, „wo die Cedern wachsen". Biblische Sze nen gab cs mehrere, z. B. den Zachäus auf dem Baume, den reichen Prasser, auf den er gar nicht gut zu sprechen mar, den verlorenen Sohn usw. War das Krippel fertig, dann schloß er die Tür der niedrigen Stube. Es war eine Feierstunde, wenn wir vor das Krippel treten durften. Wir suchten wohl zuerst jene Figuren, die wir ansgebcsscrt hatten. Lautes Sprechen dul dete Johann nicht. So mag es wohl auch bei anderen Krippen gewesen sein. Was uns zu dieser Krippe immer wieder hinzog, war etwas, was es anderwärts nicht gab. Das war der Alte selbst. Gewöhnlich saß er in der Ecke hinter dem Ofen und rauchte seine lange Pfeife. Man mußte schon eingeweiht sein, wenn man ihn bemerken wollte. Die paar Lichtlein verbreiteten ein Halbdunkel in der Stube. Ging die Pfeife aus, so holte er sich mit einem Span Feuer ans dem Ofen. Eine Feierstunde gab es, wenn der Alte sich erhob und zu uns Kindern kam. Wir wußten: „Jetzt erzählt er." Und darauf spannten wir alle. Sobald Erwachsene da waren, tat er das niemals. Gewöhnlich begann er bei dem Tempel. Er nahm die Pfeife aus dem Munde und zeigte mit dem Pfeifenstiele lange Zeit auf den Tempel. Dann erst sagte er: „Dos is dr Tampel." Zwar war uns das nichts neues. Aber es gehörte wohl dazu, beim Tempel anzufangen. Nach einer Weile fuhr er mit dem Rohre langsam über das Gelände, bis er z. B. beim Flusse hielt und sprach: „Dos is dr Flnuß Jordan." Wieder Pause. Dann: „Ei dam Hot dr Johannes 'n Harrn Jesus getooft." Abermals Pause zur Sammlung. Hierauf: „Dou sticht de!" Er wies mit dem Rohre auf eine Fi gur, die Johannes den Täufer darstellte. Nachdem er eine Weile an der längst erkalteten Pfeife gezogen hatte: „Don! Doas is dr Ölberg. Saht'rn?" „Sein Ölbeemel" „Dou Hot ar gebatt (gebetet)!" Langsam fuhr das Pfeifenrohr über die Landschaft und hielt über einem Glanzpapier, unter dem ein alter Spiegel lag. „Dos is dr See Genesareth." Unsere Kinderaugen weiteten die ärmliche Pfütze zum See. „Don is'r drüber gefohren!" Wir verstanden. So ging es Stück für Stück. Nachdem die Landschaft in dieser Weise erklärt war, kam der Höhepunkt: die Figuren. Zunächst wurde die Pfeife in Brand gesetzt. Dann suchte er mit dem Rohre ein Haus, dessen Fenster erleuchtet waren. Es stand mitten in einer Wiese. „Doue!" begann der Alte. Die Pfeifenspitze schwebte über dem Hause. „Dr reiche Mvan! Ar is örinne!" Unsre Phantasie half uns. Wir sahen den Prasser an der Tafel sitzen. Der Alte ließ Zeit zum Nachdenken. Dann: „A Lumpen is ar! Ej niederträchtger!" Wir glaubten aufs Wort. Voller Wut kam es heraus. „Dou!" Die Pfeife hielt über einer Figur, die am Hause lehnte. Zwei bellende Hunde daneben. „Se han'n gelackt," sagte er zufrieden. Nach einer Weile: „Gutt sein se, de Viecher. Daß dr kenn schoat!" Drohend kams heraus, mit funkelnden Augen sah er uns an. Wie schlau er war, der Alte. Die Hunde sahen gar nicht darnach aus, als ob sie das getan hätten, was von ihnen berichtet wurde. Ans der Bibel wußten wir freilich, wem die Hunde „gelackt" (geleckt) haben sollten. Deshalb erzählte er die Begebenheit in der Vergangenheit. Wir Hüt ten freilich lieber gesehen, wie die Leckerei vor sich ging. Johann hat lange gesucht, eine Hirtenfigur zu finden, die den Bettler vor dem Hause des Prassers vorftellen konnte. Es war ihm endlich gelungen. Mit Stolz zeigte er auf den Lazarus: „Dou is ar." Einige Farbentupfen auf die nack ten Beine sollten die Geschwüre vortäuschen. Mit dem ängst lich herausgestoßenen Satze: „Ar gibtn nischt Geschoits, dar Lumpen," war diese Szene beendet. Er murmelte noch ver schiedenes unverständliches Zeug, während das Pfeifenrohr über das Gelände dahinfuhr, bis es über einem geschickt ge bauten Bauernhöfe hielt. Eine ganze Weile schwieg er, zeigte aber mit der Pfeifenspitze hartnäckig über das Ge bäude. Erst nach geraumer Pause tippte die Spitze auf einen Hirten, der die Hände erhob. „Saht'rn?" fragte der Alte wie triumphierend. „Dos isse, dar Karle." Jetzt wurde die Pfeife in Brand gesetzt. Dann: „Dr verlurne Snhn." Nach einer Weile: „Ar Hot alls verhurrt!" Wir wußten damals nicht, was das Wort bedeutete. Aber die Erregung, mit der Johann den Satz herausstieß, ließ ahnen, daß es etwas furchtbares sein muhte. Nach einer Pause: „Und dou ballt dr Hund." Wahrhaftig, da stand ein bellendes Hündchen. Warum es bellte, was ging uns das an. „Dr Voater is drinne," ging es weiter. Wir sahen ihn nicht, zweifelten aber nicht an der Wahrheit. „Ar hüllt 'n Karlen no rei." Das hätten wir gern ge sehen. Aber dies Kapitel war damit erledigt. Bis zu einem Baume, auf dem ein Männlein hockte, reiste das Pfeifen rohr. Hier blieb es stehen. War die Stimme vorhin grim mig und drohend gewesen, so klang sie jetzt recht gütig, väterlich. „Saht'rn?" Wie verschieden konnte doch der Alte diese Worte sagen! Ja, wir sahen das Männlein alle. Was es da oben machte? Eine Erklärung war freilich nötig.