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schon über alles gern zeichnete, sondern, weil es ihm auch einige Pfennige eintrug, und in dem elterlichen Hause, in dem Not und Armut ständige Gäste waren, wurde jeder Groschen gebraucht. Schon als Knabe fühlte er die Not, und es ist ein schönes Zeichen seiner kindlichen Dankbar keit, daß er zum Unterhalte beitragen half, wo er nur konnte. Die Schützengilde zu Pulsnitz, die ein ehrbares Alter von 450 Jahren aufzuweisen vermag, verwahrt noch heute manches Stück aus Rietschels Hand als treues Ver mächtnis. Da stehen die kleinen Häuser in den traulichen Gassen, ans denen der ganze Zauber der Kleinstadt spricht. Keines wagt über das andere hinauszusehen, weil sie wissen, daß sich das fiir eine Kleinstadt nicht schickt. In ihnen sitzen Meister und Gesellen vor der Tonscheibe. Denn Pulsnitzer Tongeschirr ist bekannt, und vordem hatte es gar Welt ruf, gingen doch Pulsnitzer Braungeschirre im Mittelalter bis Istrien und bis zur Nordsee. Hier hat Handwerk noch goldenen Boden. Denn mag auch das Bandweben, das Christoph Garten 1762 mitbrachte, Fabrikarbeit geworden sein, die Fabrikschlvte rings um die Stadt sprechen eine beredte Sprache davon, daß dieses „sächsische Barmen" sei nen Namen nicht umsonst erhalten hat. Aber die Töpferei ist noch Handarbeit wie vor alten Zeiten. In einem dieser niedlichen Häuser wohnte der Zeichenlehrer Köhler. Der alte Mann verdiente sich sein Geld damit, daß er Land schaften auf schwarze Wachsleinewand malte. Der kleine Crnst war oft zu Gast bei ihm, durfte auch hier und da mit helfen, und weil er sich geschickt dabei anstellte, wurde ihm erlaubt, Tiere und Menschen in die Landschaften ein zuzeichnen. Dafür genoß er bei Köhler unentgeltlichen Zeichenunterricht. Wenn er besonders fleißig gewesen war, warf es wohl auch noch einen klingenden Lohn ab, den er dann freudig heim zir. den Eltern trug. Da sind die Lüdelche» in den Gassen. In dein dort stand Rietschel hinter der Teke. Die Zeit freilich, die er darin verbrachte, gehört zu deu am wenigsten befriedigenden sei nes Lebens. Rietschel wäre gern seinen künstlerischen Nei gungen gefolgt, aber bei dem kargen Verdienste seines Vaters war nicht daran zu denken, den Jungen auf die Akademie zu geben. Zu einem Handwerk verspürte er wenig Lust und so sollte er Kaufmann werden. Was wurde es ihm sauer, Tüten abzuwiegen und Pfeffer im Mörser klarzustoßen! Oft ertappte der Meister ihn dabei, wie er Schnörkel ans Packpapier malte. „Junge, du hast keinen Kaufmannsgeist. Ans dir wird in deinem Leben nichts. Du bist ein Strohkopf." Damit schickte er ihn wieder heim. Ganze acht Wochen hatte die „Lehrzeit" gedauert. Kanf- mauusgeist hatte er nun freilich nicht, dafür aber einen anderen Geist, und davon legen das Weberdenkmal in Dresden, Rauchs Büste in Berlin, die Lessingstatue in Braunschweig, die Goethe-Schillergruppe in Weimar, das Lntherdenkmal in Worms und alle die anderen Meister werke seiner Hand ein großes Zeugnis ab. Da schleicht die Gasse um die Ecke. Und da stehen wir ans einem der Plätze, an denen das Städtchen so reich ist. Der Brunnen plätschert darauf. In den Gassen dabei wur den zwei Männer geboren, die den Namen der kleinen Stadt in alle Welt getragen haben: Julius Kühn, der Bahnbrecher für die deutsche Landwirtschaft, und Bartho lomäus Ziegenbalg, der Gründer der Weltmission in Ost indien. Wir lesen die Tafeln über den Türen, die davon reden. Und nun stehen wir ans dem sauberen Marktplatze. Auch dessen Bild bestimmt Rietschel. Vor dem Rathause er hebt sich das von dem Dresdner Meister Kitz entworfene Rietschel-Denkmal, das die Stadt im Juli 189g aufstellte. Dicht dabei steht die alte Schule. Auch mit ihr ist Rietschels Name eng verknüpft. Hier erlernte er die Anfangsgründe seines Wissens, und eine Weihe empfand er, wenn der Leh rer aus den Psalmen vvrlas. Hier an der Schule hatte der Vater auch im Nebenamt die Hausverrichtungen zu be sorgen. Wie oft ist ihm der Sohn dabei zur Hand gegan gen, wenn es galt, im Winter die Öfen zu Heizen oder den Hof zu fegen. Da schaut auch das alte Schloß herüber. Alte Ädelsgeschlechter saßen darauf: der Wolf von Schönberg, der die Pulsnitzer bis aufs Blut gepeinigt hat, und die Herren von Schlieben, die Gnade vor Recht ergehen ließen und Bürgern und Bauern mit großer Milde begegneten. Dort auf dem Damme des Schloßteiches war sein Spiel platz, und im Schlosse ist noch ein Jugenöbildnis von ihm aufbewahrt. Auch soust sind in den Bürgerhäusern der Stadt hier und da noch Bilder von seiner Hand zu finden. Ernst Rietschels Hauptwerk, das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar. Nun aber hinüber zur Rietschelgasse, die ehedem Bader gasse hieß. Da, gleich hinter dein Kirchsteig, steht Rietschels Geburtshaus,. wie es nach dem großen Stadtbrande neu aufgebaut worden ist. Heute ist es Pfefferküchlerei. Was in Pulsnitz wäre auch nicht Pfefferküchlerei. Pfefferkuchen backen ist in Pulsnitz so alt, als man denken kann. Wohl lehrte erst Tobias Thomas, der im Jahre 1780 von Thorn hier einwanderte, die Pulsnitzer, wie man Delikatessen aus Teig bereiten könnte. Aber schon lange vor ihm standen Georg Ziegenbalg und Meister Teubel am Ofen und buken Kümmelknchen und Bauerhasen, derbe Kost zwar, aber doch Pulsnitzer Pfefferkuchen. Vordem jedoch wohnte der Beut lermeister Rietschel hier drinnen. Der saß Tag um Tag über ledernen Hosen, die er für das Bauernvvlk machte, derweil die Mutter in die Häuser dienen ging. Hier also ist das Kinderland Ernst Rietschels. Ach wie bescheiden das ist! lind doch gab es ihm auch Freuden. Da kam der Vater vom Dresdner Markte zurück. Er kam nicht mit leeren Händen. Da brachte er für Ernst ein Bild mit oder rote Karminfarbe, was für den Knaben der Inbegriff der Selig-