Volltext Seite (XML)
So lebten sie zufrieden. Tag für Tag, Jahr um Jahr. Mit ihrem Jungen. Sie hatten vier Kinder gehabt, aber alle waren gestor ben bis auf den einen. Der war zwar auch nun in dem Alter, wo andere Burschen Umschau halten nach einer Lebensgefährtin. Doch Michels Gustav eilte es nicht. Schon als Junge war er schüchtern. Nach seiner Schulzeit wurde er ein rechter Sonderling. Wenn die Jugend des Dorfes Tanzsäle besuchte oder Radpartien unternahm, strich er allein auf den Feldern herum, sammelte Pflanzen und Briefmarken. Er las viel in seinem Realienbuch, das er fast auswendig konnte. Niemand mochte ihn recht leiden. Täg lich lief er in die Weberei der nahen Stadt. Zum Militär war er nicht ausgehoben worden. „Zu schwach", hatte der Arzt bei der Musterung gesagt. Da brach der Krieg aus. Das Vaterland brauchte Ver teidiger. Es war gar nicht mehr so eigen in der Auswahl seiner Sohne. Auch Michels Gustav wurde eingezogen. Er kam ins Feld. Schon im Mai 1916 siel er in Flandern. Da kehrte großes Leid im alten Weberhause ein. Dem Schmerz folgte Verbitterung. Die beiden Alten gingen nicht mehr in die Kirche. Sie besuchten keine Kriegsbetstunde mehr. Der Pfarrer kämpfte vergebens gegen die Verzweiflung in ihren wunden Seelen. Eines Sonntags saß der Geist liche neben dem alten Ferdinand auf dem Kanapee. Er redete ihm vor von der großen Liebe Gottes, die durch Prüfungen die Seelen der Menschen reis machen müsse für die Ewigkeit. Da fertigte ihn der Alte kurzerhand ab: „'s ist nichts! Herr Pfarrer! 's ist nichts! Wir glauben nichts mehr!" Sie haßten Gott und die Menschen. Am meisten nahm das Leid die Mutter mit. Jeder Bis sen des schwarzen Kriegsbrvtes würgte ihr im Halse. Bald kränkelte sie. Und zum Ende des Krieges raffte sie die ver heerende Grippe hinweg. Gebückt schlich Ferdinand hinter ihrem Sarge her. Wie geistesabwesend starrte er während der kurzen Abdankung des Pfarrers in das sandige Loch. „Die hats besser!" dachte er. Die Worte des Pfarrers hörte er nicht. Zuhause schloß er sich wochenlang von allen Menschen ab. Bis einmal die alte Vollbrichen zu ihm kam und sagte: „So gehts nicht, Ferdinand! Ich will dir waschen!" Er wil ligte ein, und sie brachte ihm alle Sonnabende ein frisches Hemd. * Während des Krieges hatte er keine Arbeit hinter dem Webstuyl. Da arbeitete er bei dem und jenem Landwirt und hackte den Bauern das Reisig. Doch jetzt erhielt er ab und zu im Nachbardorfe wieder eine Werste. Nun saß er täglich auf der „Sitzebank" wie vor Jahren, als die Christe noch lebte. Bei jeder „Klinke", die er „ließ", lugte er über die Brille durchs niedrige Fenster. Da rasten die Autos vor bei. Selten kam noch ein Pferdegeschirr gepoltert. Die beengte Straße zwischen seinem Hause und dem Gasthofe wurde immer gefährlicher. Trotz Warnungstafeln und polizeilichen Vorschriften passierte gerade an dieser Stelle hin und wieder ein Unglück. Einmal fuhr ein Radfahrer im Ausweichen vor einem Motorrad ihm mit aller Wucht ans Fenster und blieb blu tend unter der Wand liegen. „Nun wirds zu arg! Die reißen mir nochs Haus ein!" hatte er gesagt. Bald darauf kam der Bürgermeister zu Ferdinand. „Mein lieber Herr Michel, es wird wohl eine Ände rung werden müssen mit Ihrem Haus!" „Mit meinem Haus?" fragte Ferdinand und rückte sich die Brille auf die Stirn. Seine Nase wurde noch spitzer. „Ist das jemand im Wege?" „Nun ja, der Fiskus drängt auf Verbreiterung der Straße, und das kann nur durch Ankauf und Niederlegung Ihres Hauses geschehen." „Mein Haus? Das war doch eher da wie der Gasthof!" „Ja, das wird wohl nicht anders gehen. Sie kriegens gut bezahlt!" „Na, da kommt Ihr mir gerade! Da wird nichts draus! Mein Haus bleibt!" Der Bürgermeister ging unverrichteter Sache fort. Im Gehen noch sagte er: „Es wird Ihnen nichts nützen!" Der Alte horte schon nicht mehr die Worte. Er jagte empört den Schützen durch die Fäden. In seinem Innern setzte er den Kampf fort, den er eben um sein Vaterhaus be gonnen hatte. Er führte Kampf mit dieser Gesellschaft, mit einer neuen Zeit, die er nicht verstand. So heftig stritt er, daß er dabei die Lippen bewegte und für sich murmelte: „Nicht für möglich hält mans! Nicht für möglich! Er zog die leere Spule aus dem Schützen und warf sie zornig in den Korb. Aber ihn sollten sie nicht so leicht mürbe kriegen. Er wollte weben und trotzen. Der Bürgermeister überlegte auf dem Heimwege, was da zu machen sei. Mit Gewalt wollte er den Alten nicht aus dem Hause bringen. „Rechtschaffene Leute waren es! Und der Alte hat genug Elend erlebt!" sagte er sich. Aber das Straßenamt drängte. Eines Tages würde der Beschluß vor liegen: das Haus ist zwangsweise zu enteignen. Wenn ein Unglück geschehen ist, dann.... dann. * Vor Ferdinands Haustür stand am andern Morgen der junge Lehrer des Dorfes. Er zog am Hanfbändel, das draußen die Stelle der Türklinke ersetzte. Da hob sich drin nen der Riegel, und die Tür sprang auf. Mit krummem Rücken ging er durch den niedrigen Türstock. Im Haus wars finster, und er stieß an den Bornständer, warf die Holzpantoffeln durcheinander, ehe er die Stubentür fand. Ferdinand hielt die Lade an, als er den Lehrer erblickte. Mißtrauisch sah er über die Brille. Der Lehrer kam gleich hinter zum Webstuhl, gab ihm die Hand und frug freundlich nach dem Befinden des Alten. Er interessierte sich sehr für die Handweberei und lobte die saubere Ware. „'s ist nichts mehr los, Herr Kanter! Mir gehts nicht mehr von den Händen." „Doch! Doch, Herr Michel! Bei ihrem Alter! Fünfund siebzig heißt schon was! Da machen wir vielleicht nicht mehr mit!" Über das Gesicht des alten Mannes huschte ein freund licher Zug. „Das ist eine große Seltenheit jetzt. Schon lange wollte ich mir die Sache einmal ansehen. Nun möchte ich Sie doch bitten, daß ich mit meiner Klasse zu Ihnen kommen darf, und Sie weben den Kindern einmal etwas Richtiges vor." Wieder lächelte der Alte. „Wegen mir! Wenn sie alle reinkönnen?" Der Lehrer ging. Nach einer Stunde kam er wieder mit seiner lauten, schwatzenden Schar. An zwanzig Buben und Mädel dräng ten durch Michels Haustür. Lärmend rissen sie im Haus flur den Besen um und stießen an den Scharbekasten. „Nun hübsch anständig!" mahnte der Lehrer. Dicht gedrängt standen die Kinder in der Stube. Michel schnellte seinen „Schützen" durch die Kette, daß der Christe das Herz im Leibe gelacht hätte, wenn sie's mit sehen könnte. „Dort unten tritt er mit den Füßen," erklärte der Lehrer, „und von hier oben kommts Garn herunter." „Oh! Nu eben!" machten die Kinder, die sich drängten und schippten. Michel „legte Spulen ein" und „ließ die Klinke". Er zeigte den Kindern die und jene Arbeit. „So Haven sich Eure Großeltern das Brot verdient. Da standen in jedem Hause drei, manchmal vier Webstühle," sagte der Lehrer. Er erzählte noch den Kindern vom Heim-