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„Dr Nachtwächter!?!" „Dr Nachtwächter is's und kee Andrer!" Nun ergriff der arme Geschlagene das Wort: „Woas is denn Euch ollezomm eigefolln? Satt Ihr olle necksch gewurn?!" „Wir duchtn, Du wärscht a Gespenst! — Meine Froe hott doch ganz deutlich a weiß Ding gesahn. Worum bist'n Du ne stiehn gebliebn?" „Stiehngebliebn? — Ich stieh itze schunne ane ganze Stunde do a Siegemunds Zaune!" „Ja, — aber! —! Nu — su woas! „Na, iech be's'n nie schilg! Woas dr Teifl, wie doas zugieht. Amende is's doch a Gespenst gewasen. — War weeß! —" Sie hatten sich nach und nach alle gedrückt. Jeder fühlte sich schuldlos an der Nachtwächterprügelei. Es hatte sich auch keiner entschuldigt. Nun stand der Nachtwächter wieder allein. Er schüttelte den Kopf, befühlte seinen Körper. Außer einigen Beulen war's ganz gut abgelaufen. Na, und die Beulen gedachte er bei Gelegenheit in guten Kornschnaps umzusetzen. Er kannte die Hörnitzer Gärtner. Dem und Jenen würde er's schon vor halten, was man ihm getan. Ach, dann wird mau seiner ver letzten Ehre mit mehreren Bersöhnungstropfen auf die Beine helfen. Nun war's wieder stille im Oberdorf. In eifrigem Selbst- gespräch brummend ging der Wächter das Dorf hinab. Vetter Nierig war aber glücklich heimgekommen. Nur zwei Menschen hatte er noch als unfreiwilliges Gespenst er schreckt. Das war Vetter Wilhelm Härtig mit seiner Geliebten, der Marliese, welche Beide an einem Hollundergesträuch standen, als Nierig vorsichtig tastend durch den Garten schlich. Wil helm hielt der Marliese noch schnell den Mund zu, ehe diese bei Nierigs Anblick schreien konnte. Dank seines schlechten Gewissens ahnte Wilhelm sofort, wer da geschlichen kommt und was da passiert sei. Es tat ihm leid und auch der holden Marliese tat's leid, daß der arme Nierigvetter solch elendes Stündlein hatte verleben müssen, — war doch nur die Liebe schuld daran, daß Wilhelm nicht dabei war, als das Unglück mit Vetters Hose und Weste geschah. Petter Nierig war einige Tage krank. Der Meester ging herum, knurrig und grantig wie ein Bullenbeißer: aber Wil helm wetzte den Schaden aus, indem er nur ganz kurze Mahl zeiten machte und tagsüber an seiner Werste webte, während er in der Nacht an seines Vetters Webstuhl arbeitete. Wilhelm hatte damit auch seinen sauren Apfel, und er konnte obendrein seine holde Marliese nicht besuchen, solange'.Nierig krank war. Uber das Gespenst in der Gasse sollen aber noch Jahre lang die widerstreitendsten Meinungen geherrscht haben. Kam es nun einmal vor, daß man von dem „furchtbaren Gespenst im Sommer 1839" sprach und Vetter Nierig war zu gegen, da spitzte er wohl die Ohren, war aber mäuschenstill, höchstens, daß er sagte: „Do möcht ich o derbei gewasn sein —!" Hermann Lange. Die Hussiten vor Kamenz Man nennt das Jahr 1929 in der Lausitz das Hussiten jahr, und das mit Recht. Denn vor 509 Jahren war es, als die Hussiten unsere Lausitzer Heimat heimsuchten. Aus die sem Anlasse haben an verschiedenen Orten Gedenkfeiern stattgefunden. So hat Bautzen vor einigen Wochen des Hus sitensturmes auf die Stadt im Jahre 1429 besonders ge dacht. In diesem Zusammenhänge wurde auch der Name Kamenz genannt, weil die hussitischen Horden von Kamenz kamen, das sie wenige Tage vorher mit Blut und Feuer überzogen hatten. Es wäre indessen falsch, wollte man annehmen, daß nur das Jahr 1429 Hussitenkrieg für die Lausitz gebracht hätte. Zweifellos ist es das Jahr, in dem die Lausitz und auch Kamens am schwersten unter den Drangsalen der Tschechen zu leiden gehabt hat. Die Hussitenkriege beginnen auch für unsere lausitzer Heimat noch ehe ein Hussit die Lausitz be trat. Was für die Verhältnisse der Lausitz im allgemeinen gilt, gilt mutatis mutandis für Kamenz im besonderen, darum nämlich, weil die Stadt Kamenz dem lausitzer Sechs städtebunde angehörte, der während der ganzen langen Hus sitenkriege eine bedeutende Rolle gespielt hat. Die Lausitz als böhmisches Land stand nach König Wen zels Tode zu Siegismund. Deshalb leistete sie ihm bei den meisten seiner Kriege Heeresfolge. Er hatte Waffenhilfe nötig, und immer wieder schickte er Boten und Briefe nach der Lausitz mit Bitten um Unterstützung. Unzählige Male sind lausitzer Söldner nach Böhmen gegangen. Unter ihnen waren zumeist auch Kamenzer. Denn der Verband der lau sitzer Sechsstädte brachte es mit sich, daß derartig wichtige Fragen kollekiv behandelt und gelöst wurden. Die Zahl der zu entsendenden Truppen und „Stücke" hing ab von der Größe der Städte, und da Kamenz eine der kleinsten unter den sechsen war, hatte sie auch immer mit die geringste Zahl Mannen und „Gezeuge" zu schicken. Lange bevor die Lau sitzer die Hussiten auf ihrem Boden sahen, haben sich ihre Truppen in Böhmen mit ihnen geschlagen. Aus diesem Grunde also muß man sagen, daß für Kamenz nicht nur das Jahr 1429 ein Hussitenjahr war. Wir hören zum Beispiel, daß im Jahre 1420 die lau sitzer Sechsstäbte einen Heereszug nach Böhmen ausgerich tet Haben. Daß man auch damals schon nicht immer ver stand, die allgemeine Sache über kleinliche Eigeninteressen zu setzen, beweist der Umstand, daß bei dem Auszug beS Sechsstädteheeres man sich darum stritt, welche von den Städten denn im Zuge vorangehen sollte. In der Spitze befand sich neben Görlitz und Bautzen auch Kamenz. Die Kosten waren für die Städte ganz enorm. Die Ausrüstung und Verpflegung der Mannschaft und der Pferde, die Her stellung von Waffen, Wagen u. öergl. verschlang hohe Sum men, umsomehr, als die Truppen oft wochen- und monate- lang im fernen Lande waren. Ganz zu schweigen davon, daß nicht alle nach der Heimat zurückkchrten, viele fanden den Tod auf dem Schlachtfelds. Auch eine stattliche Zahl Kamenzer mußte das Leben im Kampfe lassen. Andere wur den gefangen. Die Gefangenen wurden entweder auf grau same Weise getötet oder aber sie mußten durch hohes Löse geld freigekauft werden. Als im Jahre 1426 Leipa von den Hussiten bedroht wurde, schickten die lausitzer Sechsstädte ebenfalls ein Heer dorthin. Es vermochte aber nichts aus- zurichten: Leipa wurde von den Ketzern genommen und ein großer Teil der Kämpfer wurde gefangen. Unter den Ge fangenen waren auch Kamenzer, die auf dem Habstein fest gesetzt wurden, bis sie von Kamenz losgekauft wurden. Natürlich verloren die Truppen auch ihre Waffen und Wagen. Das mußten die Städte alles wieder neu anfer tigen. Was Kamenz bei solchen Heereszügen zu leisten hatte, erfahren wir aus alten Chroniken. Im Jahre 1423 mußte es „an Gewappneten, Glessen und Schützen" 50 Mann stellen. 1426 stellte es 60 Mann, 1427 sandte es gar 200 Mann nach Zittau. Aus der Schlacht bei Aussig, an der sich ebenfalls Kamenzer Truppen beteiligten, kehrten nur wenige zurück, „sie wurden fast sämtlich erschlagen und ver loren alles Gepäck, Wagen und Zelte". Kurz, die Opfer waren groß. Und man muß sagen, daß Siegismund den Städten bei weitem nicht den Dank zollte, den sie dafür verdient hatten. Andererseits natürlich muß hervorgehoben werden, daß die Sechsstädte die Waffenhilfe Siegismund nicht lediglich um dessen schöner Augen willen leisteten. Vielmehr hatten sie selbst größten Nutzen davon. Denn es mußte ihnen daran liegen, den Feind von der Heimat fern zuhalten, und das konnte am besten geschehen, wenn man ihn in seinem eigenen Lande bekämpfte. Allerdings ist das nicht ganz gelungen. Später sind die Hussiten doch in die