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„Gunacht Wilhelm!" sagte Nierig halb mürrisch und er zog sich die Hosen runter. Er hing seine Kleidungsstücke sorg los auf de» Ast eines Erlenstrauches. — Da war er nun im Adamsmantel und die laue Abendlust umkoste seinen geschmeidigen Körper. Er löffelte einige Hand voll Wasser auf, schritt vom Ufer ab und bespritzte sich auf schnaubend Stirn und Brust. Ach, das tat wohl, und wieder um mußte er daran denken, wie dumm doch Wilhelm sei, der sich um ein solches Vergnügen brachte. — Der Badende plätscherte, klatschte das Wasser, steckte den Kopf in das laue Naß. Er genoß mit großem Behagen das Schmiegen der Wellen, die trotz ihrer Wärme doch so angenehm kühlten. Der Mißerfolg bet der Angelei war längst verschmerzt. Vetter Nierig konnte leider nicht schwimmen, weswegen er sich nur bis zur Brusthöhe in's Wasser wagte. Wilhelms Warnung nahm er ernst. Der goldrote Abendschein war mittlerweile verschwunden. Nur ein schwacher, rosiger Schimmer zeigte sich noch hinter den Wipfeln der Kiefern und Fichten des Scheibeberges. Da er hob sich ein Lüftlein. Ringsum begann es zu rauschen und zu raunen wie von tausend Waldgeistern. Den Vetter Nierig fröstelte es ein wenig. Er empfand die Lust kühler als das Wasser. Drum ging er an eine seichte Stelle, wo ihm die Flut nur bis an die Oberschenkel reichte, und er setzte sich auf den rieselnden Sandgrund, sodaß er nur noch mit dem Struwel kopf aus dem Wasser sah. Als sich nun aus dem Lüftlein ein ziemlich starker Wind entwickelte, da machte ihm das gar nichts, — ihm war wonnig wohl. Nur war es schade, daß aus der Dunkelheit schon mäßige Finsternis wurde. Nun dachte auch Detter Nierig an's Heimgehn. Da plumpste plötzlich etwas in's Wasser. Der Badende erschrak heftig. Als er nach der Stelle hinsah, von welcher der Laut kam, da bemerkte er etwas dunkles, das aus dem Wasser ragte. Er tat einen bangenden Blick nach dem Erlenaste, wo seine Hosen, das Hemd und die Weste hängen sollten. Das weiße Barchenthemd leuchtete noch durch's Dunkel. Mit raschen Schritten eilte Nierig aus dem Wasser nach dem Platze, wo selbst er sich entkleidet hatte. Er begann vor Frost zu zittern. Die warme Abendlust empfand sein nasser Körper als eiskalt. Das Hemd hing wohl noch da? Aber die Hosen? Und die Weste? O jee! Die waren inzwischen langsam vom Ufer fortgetrieben und strebten der Stelle zu, die Wilhelm Härtig seinem Vetter als gefährlich bezeichnet hatte. Zum Fluchen war Nierig zu sanft veranlagt und so starrte er nur angstvoll und frierend auf die beiden Untreuen dort drüben im Wasser. Hose und Weste schienen miteinander zu tanzen. Sie drehten sich immer um sich selbst. Also dort war ein Wirbel. Das auch noch. Vetter Nierig war aber doch auch kein Pappmännlein, wenn er auch das Schwimmen nicht konnte. Er warf mit Steinen nach den Kleidern, warf Holzstücke hinüber. Die Letzteren aber tanzten sofort mit Hose und Weste, und die Steine sanken, getreu dem Naturgesetz, unter. Der arme Vetter gedachte einen Ast abzuschneiden. Ja, nichts war's damit! Das Messer schwamm in der Hose mit. Er dachte nun bei sich: Nee, do frier'ch ja zu Drecke! Heem giehn is's Beste! Aber wie? Zm Hemde? An den Füßen die niedrigen Nagelschuhe? Nun ja, — es ist eigentlich dunkel. Doch wie komme ich durch Häuser und Gärten, ohne daß mich wer sieht? — Da sank dem armen Hemdeklemper das Herz in die Hofen, die er eigent lich garnicht anhalte. O jee, o jee, o jemerschnee! — Es blieb bei allem Sinnen und Raten nichts anderes übrig, als: Heim — im Hemde! Er trat den dornenvollen Weg an. Mutig gelangte er bis in die Nähe des ersten Gartengrundstückes in der Gasse. Die Fensterladen waren geschlossen. Nur einzelne Lichtstrahlen drangen durch die Ritzen in die dunkle Nacht. Vetter Nierig fror jammervoll, drückte sich zähneklappernd an den Sträucher zaun und dachte: O wär ich doch schon im Oberdorfe! Was half's aber? Er konnte sich durch langes Zagen die ärgste Krankheit an den Hals holen. Er biß die Zähne zusammen, duckte sich, lauschte noch einmal — und nun rannte er „was haste was kannste" in die Gaffe. Schon bei den ersten Sprüngen ließ er die Schuhe fahren. Ihr Klappen hätte ihn verraten. Am ersten Hause rechts kam er glücklich vorüber, und überkam ihn darob im Weitersausen ein Fünklein Trost; doch da tönte ihm von der Tür des nächsten Hauses ein gellender Entsetzensschrei ent gegen. Nierig erschrak bis ins Mark. Er hörte die Tür krachend ins Schloß fallen. Wilde Angst packle ihn. Er sprang vom Wege ab, nach rechts in einen Obstgarten. Da gingen in allen Häusern vor ihm die Haustüren auf. Er hört Rufe: „Was is lus?! War hott'n do gebrüllt?!" Männer kamen die Gaffe herunter. Da bog er rechts ab und machte einen großen Bogen um das nächste Gartengrund stück. Er trat in was weiches, sodaß ihm beim Weiterrennen klebrige Batzen bis auf den Rücken flogen. Dann irrte er über Beete, auf denen Gurken wuchsen, darnach fühlte er wie- der Rasen unter den Füßen und mit einem mal stand er bis um den Bauch in einer Mistpfütze —! Als er die plötzliche Kälte am Körper spürte und er den garstigen Geruch empfand, da entfuhr ihm ein Schrei, und er arbeitete sich mit fliegender Hast aus dem landwirtschaftlichen Elemente heraus. Beim Nachbar öffnete sich eine Türe: „A Gespenst!! — Huuuhü Hilfääü Nach diesem Geplärr ward die ganze Nachbarschaft lebendig. In allen Gärten, Winkeln und Türen schrie es: „A Gespenst! O Gottogottogotl! A Gespenst! —" Männerstimmen riesen beherzter: „Schleud'n dut! Su a Schindoos!" Vetter Nierig rannte verzweifelt quer über den Weg. Man war ihm mit Heugabeln und Dreschflegeln auf den Fersen. Da sah er auf einmal Rothes Strohscheune vor sich. Das Tor stand offen. Als sei es der Himmel, so rannte der Gehetzte da hinein, sprang über die Tennenwandung in einen Häcksel- Kasten und blieb dort zitternd liegen. Draußen vor der Scheune herrschte derweilen aufgeregtes Durcheinander. Man überlegte, was weiter zu tun sei. Wer oder was nur das Gescheeche sein mochte? Der Gastwirt aus der Nachbarschaft gab den Rat: „'s Beste is, mir machn's Tur zu und lussn zorrurscht wenn Hund nei." Das hörte Vetter Nierig. Hu, wie ihn die Angst packte. Er schnellte auf und fuhr wie der leibhaftige Teufel aus der Scheune, brüllte wie verrückt. Da stoben die Männer aus einander. Einige waren so ernstlich erschrocken, daß sie sich unbewußt niedersetzten. Nierig aber durchirrte verzweifelt in Richtung auf's Oberdorf alle Gärten, sprang über Zäune und Gräben. Das Hemd hing ihm in langen faseligen Fetzen vom Leibe. Die Schar der Männer war bald wieder hinter ihm drein. Ihre Zahl wurde immer größer. Da fühlte der Flüch tende wieder Weg unter seinen Füßen. Er rannte an der rechten Seite des Weges immer an Zäunen entlang. Mit toller Freude sah er schon von seines Meisters Hause her das Licht blinken. Pardauz! — Da hat er einen Mann, der am Zaune ein- genickt war, umgestoßen. Der Nachtwächter war es, der sich nun mühsam vom Wege erhob, just in dem Augenblick, als Vetter Nierigs Verfolger wutschnaubend, wetternd und schimp fend an der Stelle ankamen. Der erste der Männer glaubte das Gespenst beim Wickel zu haben, und er begann den Nacht wächter durchzubläuen. Der Arme kam nun vor Schlägen und Püffen und vor Geschrei seiner Peiniger gar nicht mehr zu Worte. Da sank er zusammen. Man brachte eine Laterne, leuchtete dem Verprügelten ins Gesicht, man sah den krummen Säbel, man erschrak, machte lange Gesichter, sah sich gegenseitig an, — und aus dem lang sam schwindenden Staunen wurde das Wort: