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Nr. 23 Gberlausitzsr Heimatzettung 3ö5 Kurz vor Mittag sprachen beim Gemeindeältesten, dem Vor stand, zwei preußische Soldaten vor. Es war ein Sergeant und ein Gefreiter, während draußen, wahrscheinlich als Bedeckung, zwei Husaren hielten. Sie waren mit Karabinern bewehrt und blieben auf ihren Gäulen sitzen. Der Herr Vorstand trat den Preußen höflich entgegen. Er hatte dennoch dabei seine grämlichsten Gesichtsfalten aufgesteckt. Die Frau Vorstand hatte rotgeweinte Augen; Ursache: Zwei saf tige Zittauer Zwiebeln, mit denen Frau Vorstand auf Fürchte gott Baums weisen Rat geliebäugelt hatte. Der Wächter hatte also die Rollen in diesem Theaterstück gleich gut verteilt und einstudiert. Was wollten nun die Preußen? Sie brachten von Ihrem Truppenteil (der vierten preußischen Infanterie-Brigade) die Meldung, daß am Abend in Hörnitz alles schlachtbare Vieh requiriert werden würde. Der Sergeant legte ein Pergament vor. Herr Vorstand sollte sämtliches Nutzgetier, Stückzahl und Art darinnen eintragen und dabei die Rücksichten auf Entbehr lichkeit bis auf ein Minimum herunterschrauben. Die Preußen hatten erwartet, der Vorstand würde nun ein Zetern und Jam mern beginnen, würde schimpfen. So war es bisher immer ge wesen, wenn sie mit ihren Aufträgen zu einem Gemeindeobcr- Haupt kamen. Der Hörnitzer Vorstand aber blieb ganz ruhig, sah nur recht vergrämt durchs Fenster und sprach alsdann mit ton loser Stimme: „O fee, Ihr Herren, do konn'ch Euch ne zu Willn sein !" „Waas? Sie jedenken sich zu widersetzn?" so brauste der Sergeant auf, gab dem Gefreiten einen Wink, worauf derlKlein- knöpfige auf des Großknöpfigen Befehl vors Haus hinausging. Gleich darauf trat er wieder mit den beiden bewaffneten Husaren ins Zimmer. Aus dem Nebenraume kam in diesem Augenblick die Frau Vorstand. In der einen Hand trug sie ein Brettchen, auf dem lieblich wippend zwei Kümmelschnapsglasl standen, in denen ein verführerisch-durchsichtig Naß lecker zitterte. Die Preu ßen schlugen den Schnaps nicht ab. Als Frau Vorstand wieder draußen war, nahm der Ser geant wieder das Wort: „Warum weint Ihre Frau?" Drauf der Vorstand mit zerknirschter Miene: „Weil Sie zu spät gekumm'n sein, und weil vorr enner holbn Stunde de Österreicher 's ganze Biechzcug aus Hurntz furtgeschleppt honn." Da kam Bewegung in die Preußen: „Was! Sie sinn wohl tolle jewordn?" „Nee!" sagte der Vorstand und blickte durchs Fenster. Es wurde ihm offenbar schwer, zum Wohle seiner Gemeinde ehrliche Preußenhäute vollügen zu müssen. Die Preußen traten in einen Winkel und sprachen leise mit einander. Dann wandte sich der Sergeant wieder an den Vor stand: „Kommen Sie, führen Sie uns den Weg, auf dem die Österreicher mit der Viehherde abjezogen sind!" Drauf der Vorstand: „Wärsch do ne bester, wenn dr Nacht- Wächter mitging? Dar is 'n Bihmschn schun a Stickl anooch- geschlichn." „Doch recht! Also dann los die Ieige!" Fürchtegott Baum war aber leider nicht zu finden. Da ließ der Vorstand Schneider- friedn holen. Der war sogleich zur Stelle. Und sie zogen los. Boran Schneiderfried, dann der Ser geant. Hinter diesem die zwei Reiter, in deren Mitte der Ge freite ging. Sie ließen den Ortsteil „Hinterecke" links liegen, kamen bald aufs freie Feld, wo sie den Jonsdorfer Feldweg ein schlugen. Der Sergeant blickte in maßlosem Staunen hin und wieder auf den Weg; unzählige Rinderspuren und zerstreut lie- gende Kuhfladen bewiesen den Abzug einer sehr starken Vieh- Herde. „Sagn Se mal," wandte sich der Sergeant an Schneider- friedn, „waren bei den Österreichern, die das Hörnitzer Vieh holten, Bewaffnete?" „Ja, zwee Monn." „Haben die Österreicher auch einen Requisitions-Schein ausgestellt?" „'s weeß'ch ne." „Oder ist der Wert des Viehes in bar verlegt worden?" „Weeß's ne." — Schweigen. Sie gingen bedächtig weiter, kamen an Sträuchern vorüber. Dann gelangte der Trupp an ein Wegekreuz, wo sich der Weg teilte. Links führte er in einen Berzdorfer Bauernhof und durch diesen in die Ortschaft, rechts führte er nach Jonsdorf. Ein kleines Birkengebüsch nahm hier seinen Anfang. „Sie, hörn'se mal," — der Sergeant meinte Schneider- friedn — „das ist doch eigentlich eine Schweinerei, daß der Hör- nitzer Vorstand so janz in alla Iemütsvagnügtheit der Räuber bande das Viehzeug überläßt. Hm?" „Oder hat er uns irgendwie beschwindelt?" Innerlich sagte der Schneiderfried „Ja", und laut sagte er: „Wenn Sie itze no nischt gesahn honn, do kinn'n mir ja glei wieder imkehrn. — Die Bihmschn sein ja doch schunne über olle Barge." — Jetzt erklang, scheinbar von weither, das Blöken einer Kuh, darauf ließ sich mit tieferer Stimme ein Ochse hören, dann hör ten die rüstig Borwärtsschreitenden auch die dünnere, klägliche Stimme eines Kalbes. Die Preußen horchten auf und hielten in ihrem Marsche inne. Sie schickten sich zu einer Beratung an. Da kracht mit unheimlichem Getön ein Schuß. Ringsum in Wald und Tal hallt es wider, quirlend und raffelnd. Der Schneiderfried ist mit einem Wehruf zusammengesunken, liegt plötzlich da wie ein gefällter Baum. Die Preußen aber sind schon auf dem schnellsten Wege nach Hörnitz. Bald sind sie aus dem gefährlichen Bereiche hinterlistiger österreichischer Kugeln. Schneiderfried steht auf. Ein breites Lächeln auf dem guten Gesicht gibt Zeugnis von seinem Wohlsein. Einige sechzig Meter weiter nach vorn krabbelt Fürchtegott Baum aus dem Gesträuch. Er begrüßt seinen Freund, und dann reinigen sie sich gegen seitig vom Schmutz. „Also Fried, die Preißn, die wistn itze nischt beflersch zu melden ols wie, doß de Östreicher a Hurntz 's ganze Viech furt- geschlappt honn. Also Fried, do is a Hurntz nischt mie zu machn. Bu Heenewahle wurd kee Teifl mie kumm'n. 's is doch kloar, doß die vierte Brigoade glei ba dr zweetn Brigoade Meldung macht." — „Meisiebn, Farrtegutt, Du bist a urcher Karle — die Kühe honn urndlich su deutlich gebrüllt, doß ees glei Oppetit krign kunnte uff a Schalchn heeße Milch." „Nu ja, Fried, 's is olls zu woas'n gutt — und wenn's die Honswurschterei mit dan Biehstimm-nochmachn is." „'s is goarne zun Aussoshn, woas do de Hurntzer fer a Geschäft machn." „Hier ock uff, ha, ha, mir macht's innbändch Freede, ha, ha, Die Preißn, die immer su geschoit sein wulln. — Du, Fried, dan vu dr zweetn Brigoade miss» mer o no woas under de Noase reibn." — Sie gingen lachend und scherzend weiter und kamen auf Umwegen heim nach Hörnitz. * * * Abends 7 Uhr. In der Hainewalder Schloßschenke geht's hoch her. Kein Platz ist mehr frei. Dicke Luft. Erhitzte Gesichter. Auch preußische Uniformknöpfe blitzen. Die Unterhaltung geht wie eine sturmbewegte See. Da tritt ein Mann ins Schenk zimmer. Einen Augenblick herrscht Stille, da alles den An kömmling betrachtet. Dieser setzt sich sodann gemach neben die preußischen Soldaten. „Woher des Weges, Mann?" fragt ein Soldat. „Bu Hurntz kumm'ch!" „Hurntz? — Was ist das?" Spricht der Wirt, welcher zugehört hatte: „Schreibt sich „Hörnitz" und ist das nächste Dorf gegen Zittau hin."