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gedeckt wie so viele andere, nachdem es sich kurz zuvor be reits verbessert hatte und nicht mehr an die ärmliche und baufällige Hütte von einst erinnerte. Durch die große Holzstube zog sich noch keine Scheidewand, und zwei Stühle klapperten den ganzen Winter hindurch, an der Giebel wand ein breiter und an der Hinterwand ein schmaler. Bis vor fünf Jahren hielt sich der kleine, der heute noch als einer der wenigen stände, könnte meine Mutter noch schaffen wie sie möchte. Die Heimfabrikanten saßen am Orte selbst. Sogar jetzt sind noch nicht alle gänzlich aus geschaltet. Traditionell hat sich das Gewerbe in diesen Fa milien erhalten, entwickelt, hat geblüht, bis es nun wieder fast restlos erloschen ist. Die Kinder von heute kennen viel leicht gerade noch den „Pfuckenstuhl". Ein Jacquardstuhl etwa mag ihnen wohl als etwas Sagenhaftes erscheinen. Der Ortsstempel aber wird — wenn sie einst graue Haare haben und Großeltern geworden sind — noch immer den fliegenden Engel mit der Garnweife zeigen und an längst Vergangenes erinnern. Wie habe ich als Junge mit Ehrfurcht von den Ar beitern erzählen hören, die nach Ringenhain zur Fabrik gingen, von den Maschinen, die alles schneller machten als viele fleißige Hände es konnten! Das klang alles so wun derbar. Und wie wuchsen die Fabriken, wie oft war mein Vater wieder einmal auf einem Vergrößerungsbau be schäftigt! — Und heute? Der eine große Teil der Einwoh nerschaft wandert alltäglich in die benachbarten Industrie orte, den Berg hinab in das sich mächtig entwickelnde Wilthen oder nach Ringenhain und weiterhin. Und damit ändert sich auch der Charakter der Menschen. Sie kommen mehr mit der Umwelt in Berührung, sie sind nicht mehr so daheim wie früher. Ein wenig friedloser, ein wenig un zufriedener, ein wenig wurzelloser. Das ist der Schatten der Zeit. — Frauen und Kinder sitzen am Blumentisch, heute genau so wie ich als Junge saß, wenn ich nicht das schnurrende Spulrad drehte oder in den Büchern lag, nur mit dem einen Unterschied: damals hatten die Blumen bei uns noch etwas den Reiz des Neuen. So hat sich die Geschlossenheit der Bewohner doch etwas gelockert. Will man noch einen Hauch vom Alten spüren, muß man schon zu den Leuten gehen, die als Klein bauern oder Handwerker auf der Scholle sitzen. Da trifft man da und dort noch einen originellen Kauz oder ein plauöerseliges Großmtttterchen. Aber rar sind sie gewor den. Da kann man bei manchen noch die unverfälschte Mundart hören und spürt nichts von dem sich einschlei chenden Sprachgemisch. Freilich kommt es auch vor, daß sich die jüngeren Leute gerade dort den Sommergästen aus der Stadt gegenüber ihrer heimischen Art und Sitte schämen, während der Proletarier sich meist gibt, wie er ist. Jene empfinden zu stark die größere Gewandtheit des Fremden und fühlen sich klein, wo sie doch stolz und selbst bewußt sein sollten. Manches hat sich geändert. Da steht anstelle des alten Erbgerichts ein ansehnlicher Neubau. An die alte Walke erinnert heute nur noch der Name eines Teiches. Jetzt er hebt sich an der Ecke ein „elektrischer Turm". Das letzte Strohdach verschwindet fast ungesehen im Gesamtbild des Dorfes; der halbverfallenen Windmühle sieht man kaum mehr an, daß sie einmal Flügel hatte; das Kellerhäuschcn samt dem Keller auf der Wiese neben uns ist längst ver schwunden. Durch den Birkenbusch auf der Höhe ziehen sich jetzt saubere Sandwege; Bänke hat man allenthalben aufgestellt, und seit jüngster Zeit stehen dort zwei Ge bäude nebeneinander: die bescheidene Schutzhütte der stil len Heimatfreunde und das modern eingerichtete Berg hotel mit Aussichtsturm, das Werk eines Über-Unter- nehmungslustigen. Man badet seit Jahren im Naturbad, nicht mehr wie früher im „Gehege", und die Sommerfrisch ler gehören nicht mehr alle mit zur großen Familie wie einstmals. Sie sind zu verschieden, die es da angeschwemmt bringt. Und gehst du dann ums Dorf herum, findest du manche Banmgruppe, manche Hecke, manches Wäldchen, manche verborgene Wiese nicht mehr. Überall spürst du: da ist einer gegangen, der kannte zweierlei: Nutzen und Schema. Es ändert sich das Gesicht. V. Ein Zauber bleibt... Aber in allem Wechsel: ein Zauber bleibt. Nicht, daß mich das Wort Heimat in eine rührselige Stimmung ver setzte! Dazu wurzle ich zu stark in mir selbst. Nicht auch, daß mich fesselte, was noch an alten Volksbräuchen bei uns lebendig ist: das Grüudonnerstagschreien, das Osterstngen und -schießen, Walpern und Fastnachtsnarren. Das war merkwürdigerweise bei mir nie sonderlich der Fall. Ich mag wohl zu nüchtern dazu sein, und es gibt sicher auch Orte in der Oberlausitz, wo diese Sitten noch fester wur zeln als bei uns. Aber! — Im Winter fahren die Kinder Schlitten aus denselben Stellen wie ich in meinen Kindertagen, wenn auch nicht mehr auf den alten Hitschen. Und an den Wegen im Freien werden noch immer die jungen Fichten als Schneezeichen gesteckt. Schmuck und blank sind die Häuschen und Straßen heute wie damals, und die große Wiese in mitten des Dorfes hat sich nicht verändert. Und wenn du auf der Höhe bist, blickst du wie einst auf alle Dächer herab, die heute in ihrem Schieferblau genau so traulich aus dem Grün leuchten wie zu der Zeit, da sich noch die vielen er grauten Strohdächer unter sie mischten. Nur, daß damals grünes Moos auf vielen wuchs, wo heute die Sonne sich spiegelt. Und der Wald und die Felder und die Wiesen sind dir nicht fremd geworden, nur sind ihnen Tod und Leben in gleichem Maße zur Seite gegangen wie den Menschen. Und endlich — meine Berge sind dieselben: der einzig artige Rundblick ins Oberland. Links im Vordergründe, breit und behäbig hingelagert, die Kälbersteine, dann der Bieleboh mit seinem weißleuchtenden Turm, rechts die hockenden böhmischen Wächter: Botzen und Pirsken. Da hinten links der alles beherrschende stattliche Kottmar mit dem Kirchlein an seinem Fuß, rechts die Lausche mit ihrem Gefolge, in der Mitte der Jeschken, schon bedeutend blasser, und ganz im Zartblau der Ferne die Züge des Jser- und Riesengebirges. Weiterhin der Buckel des Rosenberges, nach Süden zu der nüchtern ausschauende Tanzplan, endlich eine Sand steingruppe der Sächsischen Schweiz, dann aber ganz nahe der würdige Fürst der Landschaft, unser schöner Valtenberg. Und kommst du an eine andere Stelle, eröffnet sich dir der Blick ins Cunewalder Tal mit dem Czornebohzug, und von der Voröerhöhe aus schweift dein Auge über die Kamenzer Berge hin. Nur der „Mönchswalder" versteckt sich noch wie einst hinter dem Wilthener Wald. So sind sie und so werden sie sein —: ein gleiches Bild für viele Geschlechter. Mein kleines Dorf, mein lieber Wald, meine blauen Berge, wenn ich bei euch daheim bin, bin ich wieder der kleine Junge von früher und laufe barfuß durch Gras und Blumen, unbekümmert um alles, was die Welt von mir denkt. Eine lange Spanne Zeit scheint mir dann un gelebt und ich ewig derselbe. Ein Zauber bleibt. Overllaufitzer G» QrrSöSerrSe v»st»Nt W «»st vte «»»«SSV»»»» <rrr«nrn «rar«, ««»v»»««»»»»««»