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auch nicht gerade gnädig und läßt sich dazu gar artig hol pern. Schließlich von Steinigtwolmsdorf her den Kirch berg oder die „heilige Stiege", dessen Scheitel, die „Scheibe", erst kurz vor dem Dörfchen liegt, das man des halb von unten nicht sieht! Die einen nehmen ihn gerade, auf holprigeni Pfad, der sich im Laufe der Jahre ändert wie ein springender Wildbach, die andern ersteigen ihn sanfter und gesittet im Bogen. Er hat seine besondere Note, das merkwürdigste Gesicht: ein ernstes, ein feier liches und ein heiteres. An ihn knüpfen sich Kindererinne rungen von Jahrmarktsherrlichkeiten und Vogelschießen. Wer hätte diese Ereignisse in „Wunsdorf" einst auch ver passen können, ohne sich nachher wochenlang zu grämen! Dort hinunter bin ich als Knabe alljährlich stolz im Ernte festzug der Schulkinder mit der grün-weißen Fahne zum Pfarrhof und nach der Kirche mitgezogen, dort stapfte ich einst durch den Schnee zur Konfirmandenstunde, dort gingen Großvater und Großmutter ihren letzten Gang, und dort gehen zuletzt alle einmal, die ihr Leben in dem stillen Dorf da oben beschließen. II. Die Nachbarn Wenn ich die nächsten Nachbarn mit einem Erken nungsschild bedenken soll, so ist das ein bißchen schwer für mich. Ich bin so ost und so lange fort, daß ich sie gar nicht mehr recht kenne, war wohl auch früher schon viel zu ver träumt, um mir ihre gute Bekanntschaft zu sichern. Aber einen Eindruck habe ich doch von allen, und ich will sehen, ob ich nicht den oder jenen Stempel finde, selbst auf die Gefahr hin, daß cs nicht der richtige ist. Nehme ich also Wilthen und Kirschau und hänge ein großes Plakat über die Gegend: Scheuertuch. Uud Hünlichs Likörflasche! Da neben verblaßt die Raubritterromantik der Ruine Kir schau, obwohl sie zurzeit für einen Kreis interessierter Wallfahrer sich gerade neu belebt und ein wissenschaftlich ernstes Gepräge zeigt. — Ob ich Neukirch, Ringenhain und Wehrsdorf unter eine Haube bringen kann? Ich würde dann sagen: Leinen oder — wenn das fachmänni scher klingt —: Textil. Und Neukirch kriegt noch zwei alt ehrwürdige Attribute: Eisengießerei und Neukircher Korn. Das Zipfelnest Svhland bedenke ich nur mit seinem Wald theater und seinen modernen Schulgebäuden. Schirgis walde, das Städtchen im Talkessel, erhält sein besonderes Gepräge durch den starken katholischen Einschlag, und es lohnt sich, sich in seine Eigenart zu vertiefen. Ich will die Zauberformel zur Enträtselung geben. Sie lautet: Im bunten Spiel der Historie. Schließlich bin ich wieder bei Steinigtwolmsdorf, und da sage ich wohl nicht mit Unrecht: eine — wenn auch nach auswärts verheiratete — Tochter der Blumenstadt Seb nitz. Dazu noch ein Zug: Grenzort. Hier kommen wir am ehesten nach Böhmen hinüber. Ich nenne nur die Namen Hielgersüorf und Hainspach. Für uns aber bedeutet Stei nigtwolmsdorf mehr, für die Jugend wie für das Alter. Seine Kirche ist auch unsere Kirche, sein Friedhof der unsre. Und da hätte ich endlich noch einen Stempel. Er heißt: Kirchenmusik. Und ein Name hat besondere Bedeu tung für uns und weithin Geltung in der Lausitz: Liske. Wenn ich so den Umkreis überblicke und dabei die kleinen Orte ausgelassen habe, weil ihre benachbarten größeren wie Magneten saugend auf sie wirken und da durch einen Teil ihres Charakters bedingen, wenn ich also hauptsächlich größere Jnüustrieorte betrachte, so gehen mir alle möglichen Begriffe durch den Kopf, und die hei ßen: Wandel und Fortschritt, Zeitgeist und Verbesserung, aber auch Kampf, Politik, Gegensatz und Zwiespalt. Immer aber schillern sie in wechselnden Farben und entbehren der Festigkeit, und allerhand Fragezeichen tauchen da zwischen auf. Komme ich endlich zu guter Letzt zurück zu uns da oben auf der Höhe, so muß ich mir ein Weilchen wohl überlegen, was ich jetzt sage. Weifa, auch an dir ging die Zeit nicht spurlos vorüber, auch hier war nicht immer alles friedlich. Die Wogen verebbten nicht immer ganz an deinem Fuß. Manchmal traf dich doch ein Spritzer. Manch mal doch! Aber — er hatte nie die volle Kraft, und seine Spur verlor sich wieder —, oder — wenn nicht restlos — sie verwischte sich wenigstens wieder bis zur Unkenntlich keit. Ob die Menschen hier oben von Natur aus weniger beweglich, weniger rührig und auch weniger hitzig sind, dafür desto gelassener, ruhiger, überlegend und friedsamer? Das wohl nicht. Aber alle Bedingungen wirtschaftlicher oder sozialer Natur, die Verkehrslage — abseits von den Zentren, von aller Industrie —, seine landschaftliche Ab geschlossenheit überhaupt drängen niemals auf starke dauernde Gegensätze, sondern üben naturnotwendig als ihrem Wesen eigen immer einen beruhigenden Einfluß aus, und so kommt es, daß man hier einen gemessenen Schritt geht, selbst in dem rasenden Tempo unserer Tage. Und soll ich nun einen passenden Ausdruck finden, mit dem ich es kennzeichne, das stille Dörfchen, so schreibe ich ganz besinnlich in seinem ruhigen Lebensrhythmus nieder, Buchstaben für Buchstaben: Idyll. III. Und rings ein Kranz... Felder ringsum, Wiesen und Wald: ein dunkler Kranz mit hellfarbenen Tupfen. Abgeschlossen. Nach Norden hin, auf sanft ansteigenden Rasenwegen zu erreichen: die be waldete Höhe, deren Steilseite ins Tal von Wilthen — Tautewalüe — Neukirch schaut —; Pilzreichtum und Bee ren im Sommer und Herbst. Nach Osten zu hinter den Feldern im ruhigen Kessel ein romantischer Wiesengrund, eingebettet zwischen hohen Fichtenwald: das Folgental — voll stiller, warmer Melodie, selbst wenn auf der Höhe der Wind noch so frisch um die Ohren pfeift — und der pfeift oft. Ein Teich, weiter im Wald ein zweiter und dritter, ein Bach mit klarstem Wasser. Er eilt der Spree zu, nach Sohland. Kleine Büsche, Hecken, Mauerwerk zwischen Triften, satten Wiesen und Feldern, auf engem Raum im wechselvollen Durcheinander — nach Süden hin, wo die „Scheibe" den Kamm bildet. Ich kenne manchen versteck ten Ort, wo seltene Pflanzen gedeihen. Jedes Jahr be suche ich meine heimlichen Freunde und freue mich, wie merkwürdig unberührt das schönste Stück Wald mit sei nem Bächlein ist. Nach Südwesten zu hinter dem Wind mühlhügel zieht sich abermals ein wechselreicher Wiesen grund,- der Mühlsteig führt hindurch. Dort, wo er nach Ringenhain umbiegt, stößt du auf die einsame Knochen mühle. Eine Stelle ist mir besonders lieb, ein Fleckchen, wo die Wiesenblumen buntere Farben haben, wo da und dort — auf engem Raum verstreut — schwarze Stein blöcke hervorgucken, von Gras und Heidekraut umblüht, und wo Erlengebüsch rundum sich regellos angesiedelt hat. Und dann die blauen Berge! Ja, ja, das ist es, mein liebes Dorf! Ringsum ein Kranz mit tausend verborgenen Schönheiten. IV. Es ändert sich das Gesicht Manchmal traf dich doch ein Spritzer und änderte dein Gesicht. Manchmal doch! Es traf dich wohl von allem einer. Aber niemals riß dich diese Flut ein Stück im Sturme fort, nur Spuren ließ sie an dir. Aber auch diese Spuren änderten das Gesicht. Der Webstuhl! Wo klappert heute noch einer im Haus? Wie bald wird er gänzlich zur Museumsangelegenheit ge worden sein! Es ist nicht länger her als W Jahre, da mir meine Großmutter ein Treibrad zum Geburtstag schenkte. Damals war unser Haus noch einstöckig und mit Stroh