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zustoßen. Tische und Stühle waren neu. Und der Schenk tisch! Eine Steingutfigur, wahrscheinlich Mignon darstel lend, thronte über den blinkenden Bierhähnen. Aus dem einen Ende stand ein Glaskasten, in dem Schokoladen, Bis- kuitts und andere schöne Dinge ausgestellt waren. An den Wänden prangten die bunten Blech- und Pappschilder, aus denen alkoholische und alkoholfreie Getränke angepriesen wurden, aber auch Bilder, Drucke in den süßesten Farben hingen da. „Ja, seit Sie nicht mehr da waren, Herr Doktor, hat sichs hier sehr verändert! — Kommen Sie mal!" Und der Wirt öffnet schmunzelnd die Tür zum Nebenzimmer. Das war kleiner, aber wirklich geschmackvoll ausge- stattet. Es hatte Holzverkleidung an den Wänden, weitz- gedeckte Tische, eichene Sessel mit lederüberzogenen Polster sitzen, einfache, vornehme Bemalung der Decke, neues Kla vier in der einen Ecke, auf den Tischen Weingläser, Speise karte in gepreßtem Pappumschlag, Behälter für Zahnstocher. Am Anrichteschrank, zwischen den zwei Türen, war soeben eine schon am Morgen apart gekleidete und frisierte Kell nerin damit beschäftigt, Mundtücher nach der Regel zu sammenzulegen. — In Pließdvrf! — Sie wandte sich um und grüßte, in gezierter Sprache und mit kecken Blicken. „Meier, das ist ja das reine Grandhotel de Pließdvrf!" rief Grundmann in unverhülltem Ärger aus. Aber der Wirt fühlte sich geschmeichelt. „Ach, so schlimm ist es schon nicht," sagte er schmunzelnd und sich die Hände reibend. „Sehn Sie, mein Herr Doktor, es werden jetzt auch ganz andere Ansprüche an einen gestellt!" Grundmann sah ihn an. „Nun ja, die Herren von der Gesellschaft, nicht wahr? Und auch die Pließdorfer. Sind doch wohlhabende Leute geworden und —" „Hm, ja, ja," fiel ihm Grundmann ins Wort und trat ins große Zimmer zurück. Er wollte es nicht hören, er wußte genug. „Ja, Herr Meier, weswegen ich kam: ich hätte heut abend gern die Bevölkerung mal bei Ihnen versammelt und einen Vortrag gehalten." „Ei natürlich! — Emmy, der Saal wird doch frei sein?" Die Kellnerin sah in einem Buche nach. „Gerade heute noch frei," gab sie Bescheid. „Sehn Sie! Das ist schön. — Wünschen Sie Tafeln? Oder wie dachten Sie, Herr Doktor. Ganz nach Ihrem Belieben!" Grundmann ärgerte dieser Ton. „Freilich, ja, Tafeln," sagte er, ohne sich zu überlegen, wie es gemeint war. „Also, Tafeln, Emmy! — Und um welche Zeit, Herr Doktor?" — „Um acht." „Haben Sie denn schon eingelaöen? Soll ich zu Mittag die Herren von der Gesellschaft und die Arbeiter gleich ein laden? Es würde die Herren gewiß interessieren. — — Worüber werden Sie denn sprechen?" „Können Sie machen. — Gott, sagen Sie: Über die Zu kunft unserer Heimat!" Es war ihm gleich, was der Wirt den „Herren von der Gesellschaft" ausrichtete. Er hatte sich das Thema auch noch nicht formuliert. Der Wirt aber war begeistert von Grundmanns Plan. „Die Zukunft unserer Heimat, jawohl, das ist was. Ha, man steht sie ja schon! Schwarze Diamanten hat mal einer die Kohlen genannt, und der Mann hat recht. Was für ein Wohlstand jetzt! Und was für ein Lebensgeist! Jetzt ist erst was los in Pließdorf!" „Also, das wäre erledigt. Halt, die Miete?" fragte Grundmann. „Nichts, nichts, machen wir gern, Herr Doktor! Freun uns sogar!" „Schönen Dank!" „Nicht zu danken! — Emmy, denken Sie mit dran! Herrn Direktor, Herrn Doktor Schmidt und all die andern Herrn!" Grundmann wandte sich zum Gehen, und der Wirt machte ihm noch ein paar artige Komplimente. Draußen schüttelte Grundmann den Kopf. „Unbegreif lich!" sprach er wieder und wieder zu sich. „War das noch der Wirt von der Deutschen Eiche, der Gastwirt und Land wirt und Botenfuhrmann war und am Abend in Hemd ärmeln bei seinen Pließdorfern saß und mit ihnen Doppel kopf spielte? Und auch die Pließdorfer. Sind doch wohl habende Leute geworden. Hm, wenn sie sich so verwandelt haben wie der gute Meier! Traurig! Unbegreiflich!" Er eilte auf den väterlichen Hof. „So, aber nun hinaus! — Vater, welchen Wagen nehm ich?" Er sprach kein Wort von dem, was er im Gasthof er lebt, schirrte an, setzte sich auf den Kastenwagen — „Hüh, Füchse!" — und fuhr den Feldweg hinaus in den Busch. * Es war ein frischer, klarer Herbsttag gewesen, aber der Abend brach doch zeitig herein. Und als der alte Grund mann mit seinen zwei Söhnen zur Deutschen Eiche ging, lag völliges Dunkel über der Welt. Nur in der Richtung des oberen Dorfendes stand ein Heller Schein, der rührte von den Bogenlampen des Bergwerkes her. In vielen Häu sern war kein Licht mehr, die Bewohner hatten sich schon in den Gasthof begeben. Hier herrschte, wie die drei Ankommenden bereits von draußen merkten, tüchtiges Leben. In der Gaststube emp fing sie lautes Stimmendurcheinander, Tabakrauch, ein Ge misch starker Gerüche von Speisen und Getränken. Fast alle Tische waren besetzt von Pließdorfer Bauern mit ihren Familien. Sie zeigten alle heitere Gesichter, sprachen und lachten laut. Hier wurde Braten, dort Gebackenes gegessen, dort stieß man mit Likör- oder Kognakgläsern an, hier füllte man die Weingläser aus langhalsigen Flaschen. Frauen trugen seidene Blusen, Mädchen neue Kleider, Halsketten und Armspangen blinkten. Auch die jüngeren Männer trugen und bewegten sich wie Leute, die zu leben verstehen. Nein, das waren keine Pließdorfer Bauern mehr, die da saßen! Mit bitteren Empfindungen nahm das Doktor Grund mann wahr, als er zu bekannten Gesichtern hinübergrüßte. „Holla! Da ist er ja!" Und ein schlanker Mann mit scharf gescheiteltem Haar, englisch gestutztem Schnurrbart und in sehr wohlsitzendem Anzug, der von keinem Dors schneider herrührte, kam auf den Doktor zu. „Famos! 'n Abend, Paul! Wie gehts? War nicht schlecht erstaunt über deine Einladung! Komm, setz dich bissel mit zu uns! — Emmy, noch eine Flasche!" rief er nach dem Schenktische, wo die Kellnerin gerade stand. Es war Seume, einer der ersten, die verkauft hatten. Grundmann wollte ihm, feinem Schulkameraden einen Korb geben, aber er wurde schon am Arme an einen Ecktisch geführt, von Frau und Töchtern be grüßt, von den Seiten angesprochcn. Um Vater und Bruder konnte er sich gar nicht kümmern, die waren an einem ande ren Tische festgehalten worden. Die Kellnerin brachte aus einem vernickelten Teller fünf feine vernickelte Becher. „Ans dein Spezielles!" rief Seume. Auch Frau und Töchter, die Kakao und Pfannkuchen vor sich stehen hatten, ergriffen je einen Becher und Grundmann mußte mittun. Fragen nach dem Befinden der Frau Doktor und der Kinder. „Und Euch?" fragte Grundmann überflüssigerweise zurück. „O danke!" sagte Seume. „Uns geht es besser als je!" — „Und dein Vater? Ist er mit hier?" — „Nein, er kommt nicht. Weißt du, es ist nicht viel mehr mit ihm los. Mißlaunig, mit der Welt unzufrieden. Wie alte Leute sind. Können Veränderungen nicht ertragen. — Trinken wir noch eins, Paul! — Ach was, so oft sitzen wir nicht zusammen!" Aber Grundmann stand aus, er wollte den und jenen noch suchen und sprechen. (Schluß folgt.)