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234 Gberlaufltzer Hsimatzsitung Är. 15 Der Fremdling Von Oskar Schwär 3s (Fortsetzung) Doktor Grundmann war schwer etngeschlafen, er hatte sich zurechtgelegt, wie er zu den Bauern reden wollte. Und lange vor dem ersten Hahnenschrei war er wieder wach. Er saß am Fenster der weißgetünchten Kammer, sah, wie der dicke Nebel wogte, zerriß und sich hob, wie das Kirchlein, die Nachbarhäuser, unten die Straße und die entfernteren Güter, eins nach dem anderen, auftanchten. Das Licht durch brach langsam den Dunst. Er ließ Dächer, Baumkronen und den von gelben Blättern übersäten Rasen matt erglänzen. Der Wind hatte sich gelegt. Ein schöner Herbsttag konnte es heute werden. Und das Erwachen eines Hellen, frohen Tages nach garstiger Nacht wurde dem Mann ein Gleich nis für das Geschick seines Heimatdorfes. Er stand auf, reckte sich. Es verlangte ihn, zu wirken. Er war froh, als er endlich Stimmen im Hause vernahm. Auch die Kühe im Stall unter ihm begannen mit den Ketten zu rasseln und zu brummen. Wie er sich zur Tür wandte, um hinunter zugehen, erschreckte ihn der schrille Pfiff einer Dampfpfeife. Er eilte ans Fenster und öffnete es. Der Nebel hatte sich in den wenigen Minuten so weit gehoben, daß das ganze Tal klar dalag. Grundmann beugte sich hinaus, damit er nach dem Ende des Dorfes blicken konnte. Wahrhaftig, da erhob sich an der Stelle des alten, vor vielen Jahren still gelegten Bergwerks ein hohes, turmartiges Gerüst. Da neben stand ein großer roter Ziegelbau, von dem er nur einen Teil sah, das andere verbarg sich ihm hinter einem Gutsgebäude. „Soweit schon!" sagte er und seine hoffnungs frohe Stimmung war im Nu verflogen. Kein Zweifel: von dorther kam der Pfiff, der rief die Arbeiter zum Werk, da mit ja schnell genug alle Baulichkeiten beendet würden und die grausame Vernichtung alten, gesunden Bauerntums be ginnen könne. „Also war es höchste Zeit! Gut, daß ich mich sofort ent schloß, herzukvmmen!" sagte Doktjor Grundmann». Sein Auge sprühte, seine Hand hatte sich zur Faust geballt. Er wollte anrennen gegen den abscheulichen schwarzen Popanz, der sich so frech auf die fruchtbare Pließdorfer Flur gewagt hatte. Er ging hinunter. Obgleich der Morgen sehr kühl war, verschmähte er das warme Wasser, das ihm die Mutter in der Küche reichte. Er nahm eine tönerne Waschschüssel, ließ den hölzernen Schwengel der Pumpe neben der Haustür quietschen und knarren und wusch sich gleich draußen Ge sicht und Nacken. Er wollte sich erfrischen und stählen. Dann ließ er sich vom Vater einen Bogen Papier geben und schrieb eine dringliche Einladung zu einer Versamm lung, die heut abend im Gasthofe stattfinden würde. Dann saß er mit Eltern, Bruder, Mägden und Knechten am Tisch und aß mit ihnen aus der großen Tonschüssel die Milch suppe. Dabei wurde, wie bei allen gemeinsamen Mahl zeiten, nichts gesprochen, so daß sogar das langsame Ticken der Kastenuhr neben dem Glasschrank hörbar war. Der Doktor hätte gern dem Knechte gleich Anweisungen gegeben, zu wem er die Einladungen zu bringen habe, aber er mochte nicht gegen den alten Brauch des Schweigens verstoßen. Er liebte diese Stille der Bauernstube, den säuerlichen Geruch der mit roten Seigetüchern zugeöeckten Milchtöpfe auf der Ofenbank, das heimliche Eindringen des Lichts, das die gold- und stlberranöigen Teller und Tassen des Schrankes leis aufblinken ließ und die niedrige Balkendecke erhellte. Er liebte die ernsthaften Gesichter, die staten Bewegungen, die alte Bauernart. So blieb er, nachdem er als erster den Löffel weggelegt, noch sitzen. Die anderen tauchten, streng der Reihe nach und in sicherem Takte, wie beim Dreschen mit dem Flegel, die Löffel in die Suppe, bis sie geleert war. Als die Magd Minna die Löffel zusammennahm, die andere die Schüssel hinaustrug, fragte der erste Knecht: „Fahr ich ins Holz, Bauer?" „Du sollst meinem Sohne etwas besorgen," sagte der Alte und wandte sich an den Doktor. „Du willst ihn doch gleich früh herumschicken, Paul? Später würde er manchen nicht mehr antreffen." „Wo willst du es machen?" fragte die Mutter. „Im Gasthofe. Dahin gehe ich dann gleich selbst." Und er gab dem Knechte auf, in alle Höfe zu gehen und von Doktor Grundmann zu grüßen und auszurichten, es handle sich um eine Sache, die für jeden einzelnen von großer Wichtigkeit sei. Karl konnte wieder ein spöttisches Lächeln nicht unter drücken. Paul bemerkte es, tat aber nicht dergleichen. „Na, na, Paul, daß du nur nicht böses Blut machst!" meinte die Mutter. „Laß ihn nur! Es ist ganz gut, was er will!" sagte der Vater. Als halte er eine neue Aussprache für zwecklose Zeit verschwendung, stand Karl auf und sagte spitz: „Ich fahre also allein in den Busch? Beide Gespanne kann ich da nicht nehmen!" Der Bauer erhob sich. „Ich komme mit." Paul hielt ihn an der Schulter zurück. „Nein, das darfst du nicht, Vater! Sobald ich vom Gasthofe zurück bin, fahr ich mit dem anderen Gespanne nach. Ja, ich freue mich darauf!" Dies wollte die Mutter wieder nicht leiden. Paul einigte sich mit ihr: er wollte bis zum Mittag mit fuhrwerken, nachmittags „drin" bleiben, von der ange setzten Versammlung könne und wolle er aber nicht ablassen. Und nun ging er nach dem Gasthofe, der unten an der Straße, nur wenige Häuser weiter aufwärts lag. Da harrte seiner eine neue Überraschung. Sobald er des Gasthofs an sichtig wurde, stellte er fest, daß das Gebäude vergrößert und stark verändert worden war. Man hatte ein Stockwerk mit Mansarden, Balkon und einem Türmchen aufgesetzt. Statt der früheren kleinen Fenster mit hölzernen Läden waren hohe Fenster da, an deren Scheiben in schräger Schrift „Echte Biere! — Beste Weine! — Vorzügliche Küche!" angepriesen wurden. „Nanu! Fehlt ja nur noch: On parle francais!" dachte Grundmann. Neben der Tür hatten sonst Krippen gestanden, die waren verschwunden, aber an der Hausecke neben dem neuen eisernen Hoftore stand groß und protzig: „Ausspannung." Natürlich durfte an diesem vornehmen, modernen Hause nicht mehr das alte Holzschilü hängen, das einen einfach gemalten grünen Eich baum zeigte. Jetzt zog sich in riesigen Lettern der Name „Zur deutschen Eiche" über die ganze Front. Im ersten Augenblick tat es Grunömann leid, daß er das Schild nicht mehr fand,' als er aber die neue Haustür mit den Schnör kelrahmen und den rosaen, gelbgrünen und himmelblauen Scheiben sah, da tröstete er sich: über solcher Herrlichkeit hätte sich der einfache Eichbaum ja doch schämen müssen. Die Tür öffnete sich, und der Wirt Arno Meier, rasiert und im Stehkragen, stand da und begrüßte den Gast. „Ah, der Herr Doktor! Auch in Pließdorf? Freut mich, daß Sie mir die Ehre geben, Herr Doktor!" Seine Miene sagte: „Da staunen Sie, was?" „Beinah nicht mehr in Pließöorf! Und auch nicht mehr in der alten Deutschen Eiche! Ihr habt Euch ja gründlich verwandelt, Meier!" „Bißchen renoviert! — Ja, das bringts so mit sich! Ganz recht: nicht mehr Pließdorf, wenigstens bald nicht mehr!" Grundmann sah sich im Hausflur um. Mehrere Türen, alle mit Aufschriften: „Gastzimmer", „Vereinszimmer", „Küche", ,>Nach dem Saale", „Nach den Toiletten". Ge musterte Platten und elektrische Lampen. Der Wirt öffnete die Tür zum Gastzimmer. Grund mann tat ihm den Gefallen, ein Ah! der Bewunderung aus-