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kin Mora uns reine Züdne Von Hanns Trobisch Blutrache! Furchtbar bas Wort, «och furchtbarer die Sache! Und ist es noch garnicht so lange her, daß unsere Vorfahren von diesem Brauch gelassen haben. Begeht heute einer einen Mord, so hat mit der Bestrafung die Familie des Getöteten garnichts zu tun. Sie hat keinen Einfluß auf den Gang der Verhandlung und auf das Urteil. Nur der Staat ist berechtigt, den Mörder wegen Übertretung der Gesetze zu bestrafen. Anders in der Zeit vor dem 30 jährigen Kriege. Wohl versuchte der Staat, die Gerichtsbarkeit über den Mörder zu erlangen, aber das Volksempfinden wehrte sich dagegen mit aller Macht. Der Mörder hatte nicht in erster Linie die Gesetze verletzt, sondern der Familie Schaden zugefügt, die Sippe, die Verwandtschaft schwer beleidigt. Dem Namen nach hatte der Staat die Gerichtsbarkeit, praktisch aber mußte er froh sein, wenn die Familie des Ermordeten (es kommen nur die männlichen Mitglieder in Frage) für die blutige Tat nicht blutige Rache nahm. Es soll hier geschil dert werden, wie ein Totschlag 1567 (also zur Zeit Luthers) in Elstra gesühnt wurde. Es war Michaclismarkt 1568 in Elstra. Von weit und breit waren Gäste herbeigeströmt, um sich am berühmten Elstraer Bier gütlich zu tun. Bald waren denn auch die Köpfe von Wein, Bier und Branntwein, alles Elstraer Er zeugnisse, voll. Schweren Serzens machte man sich am späten Abend auf den Heimweg. So sehen wir auch den Bauer Andreas Burchhartt aus Möhrsdorf und Josefs Arnold aus Lenkersdorf im hitzigen Wortstreit über Behnsdorf nach Möhrsdorf wandeln. Unterwegs geraten sie wegen eines wahrscheinlich belanglosen Falles aneinander, die Messer fliegen aus der Hosentasche und Josefs Arnold ver letzt so seinen Gegner, daß er blutüberströmt auf der Straße niedersinkt. Andere Marktgäste finden ihn nnd schaffen ihn nach Möhrsdorf, woselbst der Ärmste nach drei Tagen seinen Wunden erliegt. Seine Brüder Peter, Hanß und Gregor Burchhartt mit ihren Verwandten Matz Kendt, Peter Venus, Mattern Heincze und Urban Kindt, die durch den Arzt schon auf den Tod vorbereitet waren, haben unterdessen schon die nötigen Schritte unternommen, um den Tod ihres Bru ders und Verwandten zu rächen Durch Kundschafter wis sen sie, daß der Täter jener Josefs Arnold aus Lenkers dorf ist. Kaum ist der Bruder verschieden, so wird sein Leichnam auf das Gericht zu Elstra als „Leichzeichen" ge schafft, wo er entblößt ans die „Gerichtsbank" gelegt wird. Sie bringen ihn als Beweis, daß sie berechtigt sind, Rache an dem Täter zu nehmen. Sie verlangen alle Hilfe von Gerichts wegen, den Täter in ihre Gewalt zu bekommen und ihn dann zu bestrafen. Jedoch der Gerichtsherr, vor allem der „ehrsame Gre gor Beier, Bürgermeister zu Elstra", versucht, auf güt lichem Wege die Sühne des Totschlages zu bewerkstelligen. Nicht Blut soll wieder fließen, sondern der Täter soll sich durch ein Lösegeld von den Folgen seiner Tat, von der Rache und den Anfeindungen der Brüder sreikaufen. Die Brüder erklären sich damit einverstanden. Nach langem Markten und Feilschen, während der Zeit jede feindliche Handlung ausgeschlossen ist, kann die gütliche Einigung vor den Gerichten stattftnden. Am Sonntag Lätare 1567 sind beide Parteien vor das Gericht zu Elstra geladen. Wahrscheinlich tagte es unter freiem Himmel, denn es heißt: „Bor dem Gerichten Zu Elstraw vn lund) sonsten vieler frommer leutt". Das Ge richt setzte sich zusammen aus dem Bürgermeister Beier, dem „richtter peter roöig und den raths freunden Greg moller, barttel Drawnitz, mertten bernbroch, greger schwarcze, mertten Hütten und Simon Hainmoller". Der Täter kam im Bußhemd, barhäuptig, barfuß und mit dem Strick um den Hals. Sein Beistand und Eideshelfer waren Paul Myßbach, Caspar Horn und Bartel Lyndner aus Lenkersdorff. Zwischen diesen Parteien wurde „ein bestendiger, vn- widderrufflicher Vertrag alß aufsgericht vn die fache in sünlichem handelt beygelegt volgender gestaltt: Der Täter verpflichtet sich, zunächst alle entstandenen Gerichtskosten zu bezahlen, nympt aufs sich Gerechte vnd alle gerichts kost, hoch und niedrick, wie die Nahmen haben mag, denselbigen abtrag zuthun." Weiter gibt er (- 10 Raummeter Brenn holz oder 3 Schsfl. Roggen oder 6 Schafe) dem Rath zu Elstra als Entschädigung für die Mühewaltung, um den Vergleich zustande zu bringen. Den Brüdern aber zahlt er für den Ermordeten „vor den todtten mahn", 18 M. „ganz- yafftiger müntze" (- 4—5 fette Ochsen oder 100 Raummeter Brennholz oder 70 Schafe oder 45 Schsfl. Roggen). Da er das Geld nicht auf einmal erlegen kann, darf er es raten weise zu Ostern und Michael zahlen, „doch aufs solche tages- zeitt alß Nemlich aufs ncgst Michaelis 3 Margk, vnd aufs nachfolgende Ostern des 1568 iarß abermalß 3 Mark vn alßo forttan sich die tageszeitt haltten, biß die 18 marg genczlich gefallen". Es fehlt auch in der Verhandlung nicht der ausdrückliche Hinweis, daß die Brüder sich hinfort jeder feindlichen Handlung enthalten wollen, ein Beweis, daß nur die Verwandtschaft allein das Recht für sich in An spruch nahm, über den Täter zu urteilen. Es heißt: „Es ist auch in solchen handelt, aller groll und haß, vndt wider will zwischen des todten sreundtschaft vnd Josefs arnolt alß Lettern hindan gesetzt vnd alle Mißhandlung vmb Göt tis willen vergeben vn Nachgelassen. Wie sie den aufs beid Teilen einander die Hende mith freuntlichen Zuschlag dar über gegeben, Ewigenö fride ditzfalß mittenander zu- haltte." Für den Fall, daß Arnold die Schuld nicht bezah len kann oder will, verpflichten sich die Bürgen, das Geld zu bezahlen. „Und für solchen Vortrag haben selbschuldig gelobtt solche Gelds zuerlegen Bartel lyndner vn Casper arnolt, in die Gerichte bey Elstrau oder die jreuntschasft zuzustellen." Wäre kein Vergleich zu stände gekommen und hätte die „freuntschafft" auf einer blutigen Sühne bestanden, so würde sich mit der Hinrichtung (Blutrache im ursprüng lichen Sinne gabs nicht mehr) nicht der Scharfrichter be faßt haben. In diesem Falle hätte der älteste Bruder des Burchhart selbst den Täter mit dem Schwert hinrichten müssen, oder den Scharfrichter damit beauftragen und auch bezahlen dürfen. Besaß er kein Richtschwert, konnte er sich vom Scharfrichter alle nötigen Geräte gegen ein erheb liches Leihgeld borgen. War dagegen einmal der Weg des Vergleichs beschritten, dann hatte in jener Zeit die Obrig keit doch bereits schon soviel Macht, daß sie auf einen Ver gleich bestand. Lehnte die „Freundschaft" den Vergleich ab, weil der Täter zu wenig bezahlen wollte (oft waren die Forderungen auch unverschämt), dann wurde eine gemischte Kommission eingesetzt, zu der Vertreter des Gerichts, der Verwandten und des Täters gehörten. Diese arbeiteten einen Vergleich aus, zu dem die beiden Parteien oft schon vorher ihre Zustimmung gegeben hatten, den aber jeden falls beide Parteien annehmen mußten. Lehnte der Täter ab, dann konnte ihm der Prozeß gemacht werden. Lehnte die Freundschaft ab, so griff man zum Mittel der Aus weisung. Beide Teile wurden auf 5 und mehr Jahre aus dem Gerichtsgebiet verbannt. Leider ist im vorliegenden Fall die Versöhnungsfeier nicht geschildert. Oft mußte der Täter am Sarge oder am Grabe knieend Abbitte leisten und bestimmte Bußformeln sagen. Zur Erhöhung des Effekts wurden solche Feiern auf die Nachtzeit verlegt. Jeder Teilnehmer bekam auf Kosten des Täters ein Wachslicht. In feierlicher Prozession ging es zum Grabe. 100—200 Verwandte waren keine Selten heit. Der Täter war im Bußktttel und trug das blanke