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Malz konnte man von Nachbarn und Freunden die herr lichsten Kostbarkeiten in Briefmarken, Federn und Stiften eintauschen, ja mit einer Handvoll süßen Malzes lockte man oft den schlimmsten Feind aus seinem Groll hervor, und manch neue und einträgliche Freundschaft war dem Malz zu danken. Waren doch nicht alle Knaben des Städtchens in der glücklichen Lage, über Malz zu verfügen, der Vater mutzte zur „Braukommnne" gehören, auf vielen Häusern aber fehlte die „Braugerechtigkeit", sei es, weil einer der Vor fahren in Zeiten der Not dies Recht verkauft hatte, womit die Nachfahren für immer um die mancherlei Genüsse des Bierbrauens und -schänkeus gekommen waren. Doch zurück zum Tage des Quetschens! Mit dem Ab schluß des Quetschens war des Tages Herrlichkeit noch nicht zu Ende. Es wartete unser noch ein besonderer Ge nuß: das Pichen. Ganz außer Atem, mit Backen hochrot von der An strengung, aber frohen Herzens, so eilten wir über die ächzende HolztrepHe des Quetschbodens hinunter auf das Pflaster vor dem Brauhausei denn hier arbeitete der Bött cher mit seinen Gesellen und pichte. Eine für uns Kinder schier unübersehbare Menge von dicken, bauchigen Fässern füllte den Platz. Nachdem noch einmal die Reifen eines jeden derselben auf ihre Festigkeit hin untersucht worden wären, wobei Meister und Gesell mit lustigem „Bum! Bum!" um das Faß wanderten, wurden 'in einem eisernen Gefäß große Stücke goldhellen Weißpechs und eine ebenso große Menge glänzenden Schwarzpechs zum Sieden ge bracht, die flüssige, dunkle Masse ward hineingeschüttet in das offene Fatz und dann schnell der Deckel oben darauf gesetzt. Nu» fuhr der Böttcher mit einem Eisenstabe, an dessen Spitze eine Flamme von siedendem Pech loderte, in das,Spundloch des Fasses hinein, daß das hineingeschüttete Pech zn brennen anfing. Dann wurde das Faß mit grösster Schnelligkeit auf dem Pflaster hin- und hergcrollt, damit sich das Pech im Innern gleichmäßig verteilen und alle Ritzen nnd Spalten schließen sollte. Helle Flammen zün gelten aus dem Spundlochs und schwarzer Rauch quoll daraus hervor und wirbelte zum Himmel empor iu dicken Wolken, zwischen denen Meister und Geselle mit geschwärz ten Gesichtern wie zwei lustige Teufel herumsprangen. Wir Kinder aber jauchzten vor Vergnügen und ganz glücklich waren wir, wenn es uns gelang, einige Stückchen bern steinklaren Weißpechs zu erhaschen und den übrigen Schätzen-der zwar schon gefüllten, aber geradezu unglaub liche Mengen fassenden Hosentaschen zuzngesellen, daß sie abstauden wie die Schwalbennester. lind dann das Bierschänken selbst! Zwei Branbürgcr schänkten immer gleichzeitig. Ein an langer Stange bau melndes Zeichen aus Holz, das sogenannte „Bierzeichen", worauf entweder ein Glas mit schäumendem Bier oder das Haudwerkszeichen des betreffenden Wirtes, beim Flei scher ein Stierkvpf auf der einen, Messer und Stahl auf der auderen Seite, beim Stellmacher ein Rad usf. gemalt ivar, verkündete den Bewohnern des Städtchens, daß in diesem Hause „Einfach Bier" zu haben sei. Etwa drei bis vier Wochen hing das Zeichen in der Luft — je nach der Witterung und auch nach den gesellschaftlichen Talenten des jeweiligen Wirtes ging das Bier schneller oder langsamer zu Ende —, dann zog der Wirt die Stange mit dem Zeichen wieder herein znm Dachfenster, und die „Kannen" wan derten weiter. Die Kannen, das waren die der Brau kommun gehörigen, aus glänzendem Zinn gefertigten Nvr- malschankgefäße, ein Liter- und ein Halblitermaß. Die Tage vor dem Beginn des Bierschänkcns brachten Spannung und unruhiges Harren, vor allem für uns Kinder. War es ein befreundeter Wirt, der sein Bier vor uns verschänkte, so schickte wohl der Vater auf unser Bit ten einen von uns Jungen hin mit der Frage, wie es stünde, und oft erhielten wir zur Antwort: „Das letzte Viertel s200-Liter-Faß) ist gekippt." Dann tat Eile not, denn dieses „gekippt" bedeutete, daß das letzte, fast leere Faß durch Unterschieben eines großen Mauerziegels unter den Hinteren Rand nach vorn geneigt worden war, damit der Rest schneller ablaufen konnte. Nun ging zu Haus eine fieberhafte Tätigkeit los. Vom Oberboden und aus der Rumpelkammer wurden die Bierbänke herabgeholt und von Staub und Spinnweben gründlich gereinigt. Einige Möbelstücke mußten hinaus wandern aus der Familienstube, und an ihre Stelle traten die gereinigten Bänke und Tafeln. Vorher waren schon die Holzöielen gescheuert und mit blütenweißem Sand überstreut worden, daß es ganz festlich aussah. Blanke zinnerne Leuchter mit frischen Kerzen wurden auf die Tafeln gestellt znr abendlichen Belenchtnng mit den dazu gehörigen Lichtputzscheren, desgleichen uralte, zinnerne Teller, zwischen denen Karten lagen für die Spiellustigen. Vom Onkel Töpfer gedrehte Behälter für die Fidibusse zum Anzünden der Pfeifen vervollständigten die Aus rüstung der Tafel. Wir Kleinen standen während dieser Vorbereitungen mit gespannter Aufmerksamkeit vor der Haustür und schau ten auf den Marktplatz hinaus, dann stürzten wir plötzlich hinein mit dem Rufe: „Mutter, die Kannen, die Kannen kommen!" Nnd richtig, über den Marktplatz schritt, tief gebückt unter der schweren Last eines weiß überdeckten Korbes, eine Frau gerade auf unsere Haustür zu. Der Korb ward heruntergenommen, das weiße Tuch abgedeckt und nun giugs los! Sic stellte zunächst mit Stolz die blitz blank gescheuerten Kannen auf den niedrigen Schrank in unserer Hausflur, dann holte sie eins nach dem andern aus ihrem Korbe die schweren Halblitergläser hervor, die Eigentum der Braukvmmnn wcircu und deshalb von einem Wirt zum andern wanderten. Bedächtig nahm unsere Mut ter ein jedes Glas auf die flache Hand, um mit einem Messer verschiedene Stellen desselben prüfend anznschlagcn, ob es etwa schadhaft sei (für zerbrochene bez. gesprungene Gläser mußte nämlich jeder Braubttrger selbst aufkommenj, damit ihr nicht ein untaugliches aufgeschwindclt wurde. Wir Kinder standen mit langen Hälsen nnd scharfen Augen dabei, und oft wurde das Helle Klingklaug unter brochen von Rufen: „Mutter, das klingt nicht! Das hat einen Sprung! Dort im Boden! Da neben dem Henkel!" Waren die Gläser alle geprüft, so entspann sich zwischen den beiden Frauen noch eine friedliche Auseinander setzung über einige ausgemusterte Gläser. Schließlich wan derten zwei oder drei wieder zurück in den leeren Korb, um durch neue ersetzt zu werden. Noch immer nicht konnte das Bierschänken beginnen. Wir mussten erst ansteckcn. Dazu nahm der Vater mich, den Ältesten, mit hinunter in den Keller. Ich durfte dabei leuchten. Und wenn dann der Vater das schäumende ins Glas schießende, goldklare Ge tränk prüfend gegen meinen Leuchter gehalten und hoch befriedigt einen herzhaften Trunk getan hatte, durfte ich auch ein Schlückchen kosten. Und nun flogen wir Kinder förmlich, gefolgt vom Vater, hinauf auf deu Oberboden und wühlten die unter dem Heu tief vergrabene Stange heraus, an der noch vom letzten Schänken her der Strick mit dem Bierzeichen festhing. Der Vater erfasste die schwere Stange, nnd vorsichtig, daß kein Schiefer auf dem Dach in die Brüche ginge, glitt das Zeichen durch das Dachfenster über das Schieferdach hinunter in die freie Luft, während wir bereits wieder unten, von der Gasse her durch laute Zurufe: „Noch eiu Stückchen! Jetzt genug! Jetzt baumelts!" dem Vater behilflich waren, bis das Zeichen endlich frei nnd fröhlich genau iu der Mitte der Straße schwebte, dem ganzen Städtchen frisches Bier verkündend. War dann das Wetter schön und „durstig", so dauerte cs sicher nicht lange, bis über die Straße ein Kind mit dem Bierkruge in der