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äö4 Gberlausitzer Helmatzsitung Nr. Menschen ihres Obdaches und, da das Feuer mit der größten Schnelligkeit in den größtentheils sehr alten und fast durchaus nur mit Schindeln gedeckten Gebäuden um sich gegriffen hat, auch beynahe aller Habseligkeiten beraubt worden sind. Nachdem ich nun bereits an die Wohllöblichen Obrigkeiten des mir allergnädigst anvertrauten Bezirks behufige Auffor derungen zur Einsammlung milder Beyträge für die zu Bern stadt Verunglückten habe ergehen lassen, so mache ich nicht nur zu desto mehrerer Teilnahme das Publicum darauf aufmerk sam, sonder bemerke auch, daß ich mit Vergnügen die etwa unmittelbar an mich eingehenden Unterstützungen von einzelnen Menschenfreunden, welche sich für jene Unglücklichen durch thätige Beyhiilfe interessiren, annehmen und zur zweckmäßigsten Bertheilung an die betreffenden zu Bernstadt befördern werde. Chemnitz, den 25. 3uny 1828. Amtshauptmann des Isten Erzgebirgischen Bezirkes, E. v. Po lenz. Zum 75. Todestag der Sängerin Henriette Sontag am 17. Juni 1929 Am Ausgange unseres schönen Neißetales liegt das Kloster St. Marienthal. Wir alle kennen es als eine Stätte stillen Friedens. Hier ruht in einer Gruft der Michaelis- Kapelle Henriette Sontag, die weltberühmte Sängerin an der Seite ihres Gatten, des Grafen Rossi. Zu Füßen des prächtigen Sarges können wir folgendes lesen: „Hier ruhet in Gott Henriette Sontag, vermählte Gräfin Rossi, ge boren in Koblenz am 3, Januar 1806, gestorben in Mexiko, 17. Juni 1854." Wechselvoll war ihr Leben,' und es lohnt sich schon, sich desselben am Tage der 75. Wiederkehr ihres Todestages zu erinnern. Henriette genoß eine gute Er ziehung. Als fünfjähriges Kind betrat sie zum erstenmale die Bühne. Sie verlor frühzeitig ihren Vater und die Mutter entschloß sich, nach Prag überzusiedeln. Hier be suchte Henriette das Konservatorium. Die Bühnenausbil dung erhielt sie von ihrer Mutter. Mit 16 Jahren hatte sie durch größten Fleiß und eigene Befähigung es erreicht, daß sie die Bühne als Künstlerin betreten konnte. Bald war sie die beste und gefeiertste Sängerin Prags. Hierauf sang sie in Wien, Leipzig und von 1824 ab auch am Ber liner Hoftheater, wo sie Triumphe feierte. Ein wahrer „Sontagstaumel" brach aus und bewirkte, daß das Theater tagelang vorher ausverkauft war. Kurze Zeit darauf nahm sie den Auftrag Rossinis an, in Paris ein Gastspiel zu geben. Ganz unerwartet kam die Nachricht, daß sie sich mit dem Grafen Carlo Rossi, sardinischen Geschäftsträgers im Haag, vermählt habe. Man konnte nun die wunderbare Stimme der Gräfin nur noch hin und wieder im Konzert saal hören. Jedoch gelang es den Bemühungen des Ber liner Hofes, Henriette zu einem Gastspiel zu verpflichten. Unbeschreiblichen Erfolg ersang sie sich hierbei als Des- demona und Semiramis. Es folgten 20 Jahre glücklichen Familienlebens, während desselben sie als Gesandtens- gattin in Frankfurt a. M., Petersburg und Berlin lebte. Es folgte das Jahr 1848 mit seinen Revolutionswirren. Die Familie erlitt große Kapitalsverluste. 1849 entschloß sich Henriette, um ihren vier Kindern ein gutes Los zu sichern, wieder die Bühne zu betreten. Mit gewohnter Meisterschaft riß Henriette alle Welt zur Bewunderung hin. Presse und Publikum waren des Lobes voll. 1851 kehrte Henriette über Paris nach Deutschland zurück. An den Stätten ihres früheren Wirkens gab sie Gastspiele. Ihre Schwester Nina, ebenfalls musikalisch wunderbar begabt, lebte seit 1846 als geistliche Jungfrau Juliana im Kloster St. Marienthal. Henriette besuchte sie, wenn es ihre Zeit erlaubte. Dann sangen beide Duette oder es vermischte sich der Sang der Henriette mit dem meisterhaften Orgel spiel der Nina. 1852 bestieg Henriette, begleitet von ihrem Gatten und Impresario, in Liverpool das Schiff, um nach Amerika zu fahren und dort eine Konzertreise zu ver anstalten. Sie trat in den größten Städten auf und wurde hoch geehrt. Der tiefe Eindruck auf die Zuhörer war groß artig. 1854 kam sie nach Mexiko und hier war ihrer Lauf bahn der Schlußpunkt gesetzt. Sie fühlte sich im fremden Lande glücklich, nur wenn sie an ihre Kinder gedachte, füll ten sich ihre Augen mit Tränen. Die tückische Cholera raffte sie am 17. Juni 1854 dahin. Ein Jahr später wurden die sterblichen Überreste im Beisein der Familie, der Mut ter und Schwester in der Gruft in St. Marienthal beigesetzt. Ein kostbarer goldner Lorbeerkranz des Großherzogs von Mecklenburg wurde ihr auf den Sarg gelegt. Er trägt die Inschrift: „Der besten Gattin und Mutter,' der treuesten Freundin,' der schönsten und liebenswürdigsten Frau,' der größten Sängerin, geweiht von Georg, Großherzog von Mecklenburg-Strelitz." * Der Zittauer Geschichts- und Museums verein benutzte die 75 jährige Wiederkehr des Todes tages der Sängerin Henriette Sontag dazu, seinem am Tage zuvor veranstalteten ersten diesjährigen Studienaus- flng das alte Kloster als Wanderziel zu setzen. In sehr stattlicher Kopfstärke benutzte der Verein den ersten fahr planmäßigen Nachmittagszug bis zur Haltestelle Rosen thal. Von hier aus wurde bei günstigster Witterung eine genußreiche Wanderung durch das herrliche Neißetal an getreten, die in ziemlich flottem Tempo vor sich ging. Unter- Führung des Herrn Schulleiters Hohlfeld aus Altstadt betrat man zunächst die St. Michaeliskapelle, wo außerdem ein geistlicher Herr des Klosters in entgegenkommender Weise mit Auskunft diente. Daselbst sprach in längerer Rede Herr Dr. Taute aus Dresden über Henriette Son tag und ihr wechselvolles Erdenwallen. Er gab einen um fassenden Überblick über ihren Werdegang, ihre Künstler laufbahn und ihre menschlichen Schicksale, der sich liebevoll in die Einzelheiten vertiefte und namentlich auch zahlreiche zeitgenössische Aussprüche über die berühmte Sängerin hcrbeizvg. Die Ausführungen des Redners hatten das be sondere Verdienst, daß sie wieder einmal schlagend den Nachweis erbrachten, in welch lächerlicher Weise unsere modernen Librettobichter, die Ärmsten im Geist, Geschichts klitterung betreiben und in welch unerhörter Form sie großen Persönlichkeiten aus vergangenen Zeiten zu nahe treten. Im Anschluß an die fesselnde Ansprache stiegen die Besucher in kleinen Einzelgruppen in die stille Gruft hin ab, wo Herr Hohlfeld dankenswerte Erläuterungen gab. Die Gruft enthält eine einzige Nische, die die beiden Särge von Henriette Sontag und ihrem Gatten, dem Gra fen Rossi, nebeneinander birgt. Zu ihren Füßen steht der Grabstein der Schwester Nina Sontag, deren sterbliche Hülle auf dem Klosterfriedhof ruht. Wer nicht in Gesell schaft, sondern allein an dieser Stätte weilt, dem wird sich in stiller Besinnlichkeit das „Sic transit gloria munüi!" tief und eindringlich einprägen. Unterdessen machte der Vorsitzende Herr Dr. Reinhard Müller die übrigen Mitglieder auf den bemerkens werten künstlerischen Schmuck der Kapelle aufmerksam. Die schweren Schäden, die das letzte große Neißehochwasser im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts hier, in der Gruft und an anderen Teilen des Klosters angerichtet hatte, sind natürlich längst behoben, aber zum Teil noch erkennbar. Nach dem Besuche der Michaeliskapelle wiedersuhr dem Verein die Vergünstigung, auch die eigentliche Kloster kirche und die Sakristei besichtigen zu dürfen. Beim Be treten des herrlichen Gotteshauses, das ganz auffallend an die Zisterzienserabtei Ossegg, zum Teil aber auch an das