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Einstige Rechlsbräuche in der Oberlausitz Von Dr. Curt Müller-Löbau Die heutigen Rechtsverhältnisse bieten nur noch wenig Gelegenheit, alten Brauch zu beobachten, Gesetz und Recht sind einheitlich geregelt in ganz Deutschland, und für die alten Rechtsbräuche ist keinerlei Raum in dem streng ge regelten Nechtsverfahren. Das war bis in die ersten Jahr zehnte des 19. Jahrhunderts hinein anders, mit den land schaftlich so verschiedenen Gesetzen und Rechtszuständen hatte sich auch mancher Rechtsbrauch aus alter Zeit erhal ten, der mit den eigenartigen Volksanschauungen und dem irrtümlichen Volksempfinden eng zusammenhing, ja dar aus erwachsen war. Auch unsere oberlausitzer Heimat weist da mancherlei auf, was uns kulturgeschichtlich anziehende Einblicke in die Verhältnisse der Vergangenheit eröffnet. Ans einige alte Rechtsbräuche, wie sie mir besonders aus der Neukircher Gegend durch Georg Pilks wertvolle hand schriftliche Sammlungen sim Leipziger Archiv des Vereins für sächsische Volkskunde) bekannt geworden sind, möchte ich hier Hinweisen. So waren bei manchen Rechtshandlungen gewisse Spenden oder Abgaben üblich, ja fast rechtlich fest gelegt. Beim Abschluß eines Geschäfts, eines Handels oder größeren Kaufs erfolgte der sogenannte Leih kauf, ein Gelöbnis- und Bekräftigungstrunk gewissermaßen zur Be stätigung des Rechtsgeschäftes. (Von mhd. lit - starkes Ge tränk, Obst-, Gewürzwein.) Auch in der Lausitz hielt man diesen Trunk früher bei jedem größeren Verkauf ab, wo bei Käufer und Verkäufer je zur Hälfte zahlen mußten, auch, wenn alle zufällig im Wirtshause Anwesenden sich am Trünke beteiligten. Nur, wenn einer sich einen besonders großen Vorteil bei dem Kaufe oder Verkaufe versprach, zahlte er die ganze Zeche allein. In der Bernstädter Gegend läßt sich der Brauch des „Leihkanfs" bereits seit 1577 bei Besitzveränderungen nach weisen, es waren für den üblichen Trunk bei einem Vauerngute 5 Mark oder 3 Tlr 21 gr. 4 pf. festgesetzt, bei einem Garten oder Hause 2)4 Mark oder 1 Tlr. 22 gr. 8 pf. Wenn ein Kauf verabredet worden war, so ging der Richter mit den beiden Kontrahenten in den Kretscham. Nach dem üblichen Trünke machte der Richter bekannt, daß die Be sitzung, um die es sich handelte, verkauft sei und den und den Tag der Leihkauf gehalten und die Kaufpnnktation ge fertigt würde, welches Wisse bi er genannt wurde. In ganz alten Zeiten war der Richter verpflichtet, auch den Pfarrer davon in Kenntnis zu setzen, und von diesem wurde der Verkauf den nächsten Sonntag von der Kanzel bekannt gemacht, daher auch der Pfarrer von jedem Leih kauf zwei Kannen Bier oder anstatt dessen das Geld dafür bekam. Im Jahre 1843 kam der Brauch ab. (Peschel, Ge schichte von Kemnitz. S. 161.) Wenn bei einem großen Verkaufsobjekte die Betreffen den sich das Recht zubilligten, innerhalb 48 Stunden vom niedergeschriebenen, aber noch nicht gerichtlich festgelegten Kaufverträge zurücktreten zu können, so sprach man von einem Wandelkaufe. Begehrte der Käufer die Nichtig- machung, dann mußte er sein „Draufgeld" fahren lassen, wollte der Verkäufer dagegen alles rückgängig machen, mußte er das Draufgeld doppelt zurückzahlen. fPilk II.) Dann mußte beim Abschluß eines Verkaufs vor Richtern und Schöppen in einer Sammelbüchse, die der Richter zu stellen hatte, eine Gabe für die Kirche eingelegt werden, der G o t t e s p f e n n i g, nnd zwar vom Käufer wie vom Ver käufer. Auch wurde die Lade der Kirchväter wohl dazu be nutzt. (1826 Pilk I.) Beim Verkauf von Gütern bestand die Sitte, der Gattin des Verkäufers das „Herdgeld" extra auszubedingen, eine kleine Trostsnmme für die Abtretung des bisher inne gehabten Herdes. So wurden beim Verkauf des Rittergutes Polenz durch Georg Adolf von Herms dorf an Hans Georg Wehse auf Burkersdorf 1625 (6. 10. zu Hohnstein fortgesetzt) „106 rl der Frau zum Herögeld unbeschadet der Kaufsumme (22 MO fl) bewilligt. (Pilk II nach dem Sächsisch-Erbländischen Lebensarchtv im Amts gericht IV, Dresden, Lehnsakten von Polenz.) Unter den Abgaben, welche die Bauern unserer Dörfer zu leisten hatten, waren die volkstümlichste, wenn auch nicht immer beliebte, Ser „Zehnte" oder der „Dezem" für Pfarrherr und Kirche. Die ursprüngliche Sitte, wirk lich den zehnten Teil des Bodenertrages in Form einer bestimmten Menge von Feldfrüchten abzuliefern, ist in der Oberlausitz lange erhalten geblieben. So mußte in Neu- kirch am Mittwoch nach Michaelis der Pfarrdezem „ge schüttet" werden, wie die Neukircher Kirchen- und Schul ordnung vom 6. 11. 1625 (8 40) bestimmt: „Von den jehrigen Decimis. Dießer soll dem Pfarrherr von den eingepfarrtem jeder und allerzeit an gutten Maß und der Allmechtige be scheret, und von einen jedem selbsten Süchtigem Getreidich Korne undt Haber, so gutt es Gott außgeehrtt allerzeit die Mittwoche nach Michaelis zu Dank erschüttet und in seine Pfarrbehausung überliefert werden." In Neukirch wie in anderen Dörfern wählten die Bauern aber gern gerade das minderwertigste Getreide als Dezem aus, weshalb an ver schiedenen Orten der Pfarrer ähnlich wie einst der Katechet Adler in Neukirch gepredigt haben soll: Trespe, Rad (- Kornrade) und Vogelwicken soll man mir nicht als Dezem schicken! Ich lehre euch Gottes Wort lauter und rein, und so soll auch der Dezem sein. (Pilk II.) Auch in Ruppersdorf bei Herrnhut soll sich vor hun dert Jahren der Pfarrer beklagt haben. In Ruppersdorf sind gute Bauern, in Ruppersdorf sind böse Bauern, die geben nicht den Dezem von Roggen und von Weezen. Übrigens ist auch in der Obcrlausitz wie in Wcstsachscn die Redensart noch gebräuchlich: „Ar Hot sen Dazn" (er hat sein Teil), und diese Wendung hat sich wohl auch ursprüng lich auf den Pfarrdezem bezogen. Zum Pfarreruuterhalt sollten aber nicht nur die Bauern mit ihrem gesetzlich verordneten „Dezem" bei tragen, auch die kleineren Leute, Gärtner, Häusler und Hausgenossen (u. a. Mietsleute) mutzten den sogenannten „H äus e lg r o s ch e n" zu Michaelis für diesen Zweck ab liefern. (Neukircher Kirchen- und Schulordnung vom 6. 11. 1625, S. 42) Pilk II.) Bei der Prüfung der K i r ch e n r ech n u n g, einer Art Inventur des gesamten Kirchenvermögens, die von den Kirchvätern vorgenommen wurde, mußten die adligen Kollatoren anwesend sein) dabei sollte den Beteiligten freie Zehrung gewährt werden, freilich keine übermäßige, wie die Neukircher Kirchen- und Schulordnung von 1625 (8 45) bestimmt. Offenbar wurde aber die Kirchenrechnung recht genau genommen, wie die Redensart bezeugt: „Das stimmt wie die Kirchenrechnung." Auch sollten bei der Kirchenrechnung, die im Gerichte oder im Pfarrhause ab gelegt wurde, die besonders zum Lernen „qualifizierten" Kinder der Herrschaft vorgestellt werden, wahrscheinlich um für ihre weitere Ausbildung zu sorgen, also „freie Bahn den Tüchtigen" schon in alter Zeit. Die soziale Fürsorge war in alter Zeit weniger Sache des Staates oder der Gemeinde als vielmehr die der Privatwohltätigkeit und der Kirche. Es herrschte aber gerade infolge des starken kirchlichen Einflusses ein reges soziales Gefühl für die Armen und Bedürftigen, auch die Kleinheit der Gemeinden, wo jeder alle anderen noch kannte, mag dazu beigetragen haben. So vergaß man be sonders bei Festlichkeiten der Armen nicht, wie die Neu kircher Polizeiordnung vom 6. 11. 1625 (8 75) besagt: „Weil auch billig, daß bei allen christlichen Freuden, Mahlzeiten