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nicht! Und so nahm die treue Hausverweserin eins jener bunten, aus Stoffstreifchen gewirkten Tücher, wie sie in jener Zeit zum Schutz in die frisch gewaschenen Stuben ge legt wurden, polsterte damit den Türstein und setzte die Kleine darauf. In das Schüfselchen schnitt sie Weißbrot, goß Milch darüber und gab ihr das Frühstück auf den Schoß. „Nu loß barsch raicht gutt schmeck«!" Eine Minute sah sie zu, dann strich sie mahnend über den Krauskopf: „Titschl, iß oack o Broackei, nö oack Schloappei," worauf das Mädel der Mahnung nachzukommen versuchte und die Christi sich in den Hinteren Teil des Flurs begab, um das Futter für die Tiere zurechtzumachen. Während dem Rüben schneiden und dem Kartoffelstampfen sah sie immer wieder nach ihrer Schutzbefohlenen hin, aber die schien jetzt voll auf beschäftigt. Nach kurzer Weile fing Moirusl sogar eine Unterhaltung mit sich selber an, und die Muhme hörte zu ihrem nicht geringen Ergötzen, wie sie auf einmal die Worte, die sie vorhin zu ihr gesprochen hatte, wiederholte. Und nicht nur einmal, nein, immer wieder klang es, drin gend und dringender: „Titschel, iß oack o Broackei, nö oack Schloappei!" „Do mußch doo hü ond se no a brinkl scharn (necken)," dachte die Muhme. Aber ehe sie noch bei der Klei nen war, fiel ein Schatten in die Tür, eine blitzschnelle Be wegung folgte, und als nun die erschreckte Christi mit einem Satze vorn war, sah sie — in das schneeweiße Gesicht ihres eigenen Vaters, des Großvaters der Moirusl. Keines Wor tes mächtig, hob er nur die Hand, in der der stattliche Leib einer schillernden Kreuzotter vorzuckte. Sofort begriff sie und riß das unversehrte Kind schluchzend in ihre Arme, während das milch- aber nicht brockenleere Schüfselchen klirrend auf das Pflaster rollte. Aber das Moirusl wehrte sich gegen die Umarmung, machte sich frei und streckte die runden Händchen bittend nach dem toten Reptil: „Titschel, tutt (gut), wiederkomm! Aber o Broackei assn, nö oack Schloappei!" Der Fremdling Von Oskar Schwär (Fortsetzung) Paul erhob sich langsam und mit einem Ächzer. Die vorige Bemerkung der Mutter schien ihn irgend wie verstimmt zu haben. Er nahm die Sachen und begab sich durch eine schmale Fenstertür ins Stübchen. Der Alte setzte sich in seinen Stuhl mit der runden Stablehne und trommelte mit den derben Fingern auf der Tischplatte. Er war von hoher Gestalt, hatte eckige Schul tern und steifen Rücken. Kantig war auch der Kopf, aus dem Stirn, Nase, Backenknochen und Kinn kräftig hervor traten. Die langen, schon stark gelichteten Haare lagen in Strähnen glatt nach der Seite. Darum und auch weil der Bart fehlte, hoben die starken Brauen über den hellblauen Augen sich besonders hervor. Im Scheine der überm Tisch hängenden Petroleumlampe glänzte der weiße obere Strei fen der Stirn, den die Kopfbedeckung gegen Sonne und Wetter geschützt hatte. Das übrige Gesicht zeigte braune Farbe und zahlreiche Falten, die Wangen waren, weil offen bar Zähne fehlten, etwas eingefallen. Es lag in diesem echten Bauerngesicht ein interessanter, ja edler Zug. Der fiel desto mehr auf, wenn man seinen Ältesten, den Doktor, neben ihm gesehen hatte, dessen Antlitz denselben Zug und dessen Gestalt dieselbe Größe und Kraft, doch ohne die Ein wirkungen des Alters und der lebenslangen derben Arbeit aufwies. Er sah vor sich hin und nickte langsam. Karl schritt in der großen Stube auf und ab. Auch er schien ernste Ge danken zu haben. Sie schwiegen aber beide. Die Mutter trug einen runden Sechspfünder, Butter, Sülze und Wurst auf und brachte aus der Röhre des brei ten Kachelofens die bauchige tönerne Kaffeekanne. „So, Paul, nun iß!" sagte sie zum Doktor, als der in Vaters Sachen, die ihm durchaus paßten, wieder eintrat. „Ich danke dir, Mutter! Appetit hab ich!" antwortete er, und er bemühte sich, die vorige Verstimmung zu unter drücken. Er begann zu essen. Die Mutter nahm auf der Bank am Tische Platz und sah ihm mit strahlender Freude zu. Ob denn die Kinder nicht hätten mitkommen wollen, warum er sich's nicht zur Kirmes eingerichtet hüte, wollte sie wissen. Paul gab ihr Auskunft und wandte sich mit Fragen über die diesjährige Ernte und den Viehbestand an den Vater und den Bruder. Aber seine Fragen waren kurz, kaum sah er die Angeredeten an, zu den Antworten nickte er nur kauend. Sie merkten alle seine Spannung und wußten auch, was ihn hergetrieben. Aber sie ließen es nicht erkennen, er würde schon selbst damit herausrücken. Doch da gab der Alte gegen seinen Willen den Anlaß. Er erzählte, daß er die junge, kräftige Falbe habe an den Schlächter verkaufen müssen, sie sei unglücklich gestürzt und nicht mehr gesund geworden. „So ein schönes Tier! Ist es nicht jammerschade!" sagte die Bäuerin. „Ja, das ists allerdings! Wenn war es denn?" fragte Paul. Der Alte überlegte. „Malchus legten wir die Kartoffeln auf der Scheibe — zwei Tage " „Jawohl, zwei Tage nach Malchus!" bestätigte Karl. „Vor Ostern schon, gerade in der Feldbestellung! Nun, habt Ihr denn einen guten Ersatz geschaffen?" wollte Paul wissen. Da sahen die Bäuerin und Karl den Alten an. Der ant wortete ein einfaches „Nein". Paul war höchst erstaunt und hielt im Essen inne. „Nun, fehlte Euch das Pferd denn nicht? Nicht mindestens zur Getreideernte und im Herbste? Es war doch schon vorher keine Kraft übrig!" Der Alte wiegte den Kopf und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Er fühlte die Augen der drei auf sich gerichtet, sah aber trotzdem auf das Spiel seiner Finger nieder. „Ja, ja — — wir haben uns eben beholfen. Und es ist auch gegangen," sagte er langsam. Paul schob den Teller von sich fort, reckte sich auf und kehrte sich ganz dem Vater zu. Seine Züge waren plötzlich wieder voll Spannung, sein Blick streng. „Wollt Ihr auch verkaufen?" fragte er gerade heraus, und seine vor Erregung bebende Stimme tat deutlich seine Stellung kund zu der großen Veränderung, die sich in Pließ- dorf vollziehen sollte. Der Alte verzog das Gesicht, ballte die eine Hand, daß die Gelenke wie große Kugeln heraustraten, und ließ sie hart auf die Platte fallen. Langsam und verlegen sagte er: „Hm hm —, das ist eine verdammte Geschichte!" „Allerdings! Eine ganz verdammte Geschichte! Ein Verbrechen! Ein ganz schamloses Verbrechen ists!" rief Paul in strafendem Zorn, wie er noch nie zu Eltern und Bruder gesprochen. Er sah Karl und! die Mutter an. Sie senkten die Ge sichter. Sie warteten, daß der Alte redete.