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Är. Gbsrlausltzev Heimatzeitung 171 gemeinde geworden. Früher war es ein Walddörfchen. Noch vor 10—20 Jahren gewahrte man Wohnhäuser, für die Holzwände in wendischem Stil, Strohdächer und Lehmfach werk typisch waren. Die letzten Jahrzehnte nahmen immer ein altes Bauzeichen nach dem anderen weg. Und das lau fende Kalenderjahr beseitigte vollends den Rest der alten Wohnhäuser. Dafür haben sich Bauten neuerer Bauweise gefunden. Hierbei lassen sich im großen und ganzen zwei Bauarten bei den Wohnhäusern feststellen. Aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts stammen meist einstöckige Wohn häuser in Rohbau. Zahlreicher sind die im neueren Stil gebauten Häuser, unter denen einige recht schmucke Land häuser das Auge des Durchreisenden ergötzen. Nicht arm ist Rietschen an ansehnlichen Geschäftshäusern, die sich ge rade in den letzten Jahren häufiger eingefunden haben. So gewährt das Dorf in der Tat den „Anblick eines neuzeitlichen Jndustrieortes". Flankiert wird er durch die Schornsteine und Fabrikgebäude der Chamottefabrik, der oberen Glashütte, der Hohlglashütte und schließlich durch die Bahnhofsanlage und das Hechlersche Dampfsägewerk im Norden des Dorfes. Neben den bezeichneten Industrien be leben den Ort Verkehr, Handwerk und Gewerbe. Wenn sich neuerdings auch in den benachbarten Orten zahlreiche Hand werker und Geschäftsleute niedergelassen haben, so bleibt Rietschen der Sammelpunkt für den Geschäftsbetrieb der Umgegend. Freilich wächst mit der Ausdehnung des Ge schäftslebens in der Peripherie des Ortes die Aufgabe, nichts unversucht zu lassen, um der Situation Herr zu bleiben. Trotz der Stockung der Bevölkerungszahl in der Nach kriegszeit schritt die wirtschaftliche und soziale, sowie auch kulturelle Entwickluug des Ortes rüstig weiter. Rietschen erhielt 1922 eine Schwesternstativn, die bis heute vollauf beschäftigt ist, obgleich seit 1920 zwei Ärzte im Orte ansässig sind. Die bisherige Zweigapotheke des Herrn Manno-Mus- kau ist seit Oktober 1924 eine Bollapotheke geworden. Das 1908 in Betrieb genommene Gaswerk genügte nicht mehr den Bedürfnissen des Ortes an Licht und Krastabgabe. Im März 1924 begann eine aus hiesigen Bewohnern gebildete Genossenschaft den Bau einer elektrischen Licht- und Kraft anlage, die am 11. Juli 1924 in Betrieb genommen wurde und heute so gut arbeitet, daß fast kein Haus mehr ohne elektrisches Licht ist und die Zahl der elektrischen Kraft maschinen sich ganz bedeutend vermehrt hat. Auch Sie Straßen wurden elektrisch beleuchtet. Der Strom wird vom Elektrizitätswerk Görlitz bezogen. Die Staatsbahn begann die Anlage der elektrischen Beleuchtung der Station im Frühjahr 1928 im Anschluß an unser Ortsnetz. Das Jahr 1926 brachte einen großen Turn- und Sportplatz des Män nerturnvereins Rietschen, der an der Grenze des Ortes auf Rietschen—Prausker Terrain angelegt wurde. Ferner rich tete die Gemeinde an dem Zusammenfluß der Schöpsarme eine Badeanstalt mit Badezellen ein. Die wegen des Krie ges unterbliebene Kupferbeüachung des Kirchturmes wurde trotz großer Unkosten nachgeholt. Und nun arbeitet die Ge meinde mit angestrengten Kräften daran, den Rest des Be trages zusammenzubrtngen, der geblieben ist bei Beschaf fung der uns durch den Krieg genommenen zwei großen Glocken. Im Dezember 1927 konnten wir diese zwei Bronze glocken, die uns wieder die Firma Franz Schilling <L Söhne (Apolda) lieferte, auf den Turm ziehen. Das neue Geläut entspricht zu unserer Freude dem geopferten an Fülle und Wohlklang. Der Aufschwung des Ortes am Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist zurückzuftthren auf die Erbauuug der Berlin — Görlitzer Bahn. Am 18. Juni 1866 war die Strecke von Berlin bis Cottbus provisorisch im Betriebe. Am 81. Dezember 1867 fuhr der erste Zug bis Görlitz. Rietschen ist Haltestatton. Nachdem neuerdings auch beschleunigte Personenzüge in der hiesigen Station halten, ist der Verkehr auf der Station und von der Station aus ein außerordentlich reger. Und da am Bahnhof die Berlin—Muskau—Görlitzer Chaussee mit ihrem sehr regen Kraftfahrzeugverkehr die Bahnstrecke überschreitet, so tritt fast täglich an der Bahnschranke Ver kehrsstockung ein. Ein Postamt 3. Klasse erfüllt bereits eine ganze Reihe von Jahrzehnten treulich seine Pflicht. Die beiden Glashüttenwerke des Ortes fertigen heute meist Hohlgläser: Medtzingläser, Flaschen, Konservengläser, Becher und Aquariengläser. Die in früheren Jahren in der obe ren Hütte stark betriebene Lampenzylinderfabrikation hat ganz aufgehört. Dagegen ist in dieser Hütte die Glas malerei neu eingeführt worden. Die Volkszählung 1910 ergab 1091 Personen,' im Jahre 1916 1152 Personen und im Jahre 1925 1134 Personen. ! W—l. Ein ungeladener Psingstgast Nach einer alten Erzählung wiedergegeben von Susanne Ehrentraut. Lang streckt sich das Oberlausitzer Grenzöorf hin. Zu beiden Seiten der Straße heben sich sanft ansteigende grüne Berglehnen, stellenweise gekrönt von Wald. An diese schmie gen sich noch einige der Fachwerkhäuschen, vor allem aber die Güter der Bauern. Einige liegen schon ziemlich hoch und sehen stolz in den Ort hinab. Stolz herabsehen konnte nun die niedliche Wirtschaft, die sich ebenfalls weit da oben niedergelassen hatte, nicht gerade, dazu war sie zu klein, jedoch gab sie in ihrer frischen Neuheit ein außerordentlich freundliches Bild. Und wohin die neugierige Pfingstsonne auch schaute, überall, innen und außen, fand sie es blitzblank. Sogar das zweijährige Fräu lein, mit den Fliegen und dem grauen Miezepeter ganz allein in der geräumigen Stube, machte keine Ausnahme. Allerdings war die kleine Langschläferin soeben erst von der Muhme zurechtgemacht worden, und den großen Feier tagsstaat hatte die auch noch nicht für angebracht gehalten. Das Moirusl (Maria Rosina) trug über seinem weißen derben Ärmelhemdchen nur ein Leibchenröckchen aus roter Wolle, aber ich glaube kaum, daß es in einem anderen Ge wände reizender hätte ausschauen können. Blondlockig, mit strahlenden Blauaugen im rosaweißen Gesichtchen, stramm, ohne dick zu sein, war es ein echtes Germanenkind. Ein funkelndes Blechschüsselchen stand noch ungefüllt vor ihm auf dem Tische, und es hatte gerade den runden Lössel her- ausgenommcn, um damit nach den goldenen Sonnenkrin geln, die sie umtanzten, zu schlagen. Es waren nämlich schreckliche Dinger, so lustig sie aussahen: wenn die Kleine dachte, sie hätte eins festgehalten, wupp, flog es wieder wo anders. So klopfte sie auf den Stuhl, auf das Kanapee, auf den Tisch und — nun ja, nun ja, wenn solch Schelmenstrahl plötzlich an die Decke huschte, da mußte sie bloß versuchen, ihn auch dort zu erwischen! Flink kroch sie auf den Tisch, balancierte auf den Zehenspitzen, der Löffel setzte der Länge auch noch eine halbe Elle zu — ja schade, nun kam die Muhme Christi schon wieder, schrie auf und hob sie eilig herunter. „Nee, 's gleebts kee Mensch, du Saumaidl du! Nö ömdrähn koanch ees be där! Wenn doas d' Motter säg! Do koanchs freich nö wogn, düch do hönn alleen zo lvssn. Weeßt, Pumpsl, ich war därsch Schösselchen zoraicht machen vnd do setzt d'ch draußen off d' Türschwell ond ößt schien. Do hoach d'ch be menner Oarbett wingstns ömmer vör Augn. Sonst kennt derr nv war wceß woas poassiern!" Nun, das war Moirusl gar nicht so unlieb,' das zum Wei nen verzogene Mündchen glättete sich wieder, und vergnügt zottelte sie an der Muhme Hand mit hinaus in den Haus flur. Bei der Muhme Christi war es schön,' sie machte einen Spaß, tanzte Ringelringelreihe, da konnten der Vater und die Mutter schon lange in die Kirche gehen, Moirusl weinte