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Jahre würbe ihm bas Thomas-Kantorat übertragen, sowie das Amt des Musikdirektors an den drei Haupt kirchen Leipzigs. Während dieser Zeit hat er die meisten seiner Kompositionen geschaffen. Er starb am 9. April 1879 in Leipzig. Ernst Fr. Richter ist als namhafter Kirchenkomponist sehr geschätzt. Seine kompositorische Veranlagung hat sich also vor allem auf geistlichem Gebiet ausgcwirkt. Am Kon servatorium galt er als gewiegter Theoretiker und vor trefflicher Lehrer. Seine drei Lehrbücher der Harmonie, des Kontrapunkts und der Fuge erreichten eine hohe Auflage ziffer und waren nicht nur in Deutschland, sondern auch in verschiedenen fremdsprachlichen Übersetzungen im Aus land verbreitet. Sein „Lehrbuch der Harmonie" z. B. er schien 1883 und wurde bis 1920 bereits 30 mal aufgelegt. Wie bereits erwähnt, verdankt Richter dem Rate Wein ligs sehr viel. Obgleich er im Grunde genommen nicht ohne weiteres als Schüler Wetnligs bezeichnet werden kann, hatte sich doch bald zwischen beiden ein freundschaftliches Verhältnis herausgebildet. Da Weinlig öfters etwas kränk lich war, vertrat ihn Richter in solchen Fällen, wobei ihm von feiten des älteren Freundes gern die Gelegenheit ge boten wurde, sciue eigene» Kompositionen zur Aufführung zu bringen. Richter schrieb zunächst eine Anzahl grosserer Psalmen mit Orchester. Als Psalmenkvmponist steht er in den wesentlichen stilistischen Punkten auf der Seite Men delssohns, dessen kirchliche Kompositionen damals bekannt wurden und selbstverständlich auch Richter in seinem Schaf fen beeinflußten. Überhaupt galt er in seinen frühen Wer ken als getreuer Gefolgsmann Mendelssohns. Ferner schrieb Richter ein Oratorium „Christus, der Erlöser", das am Sonntag Palmarum 1880 zum ersten Male aufgeführt wurde. Über Richters kleine Motetten schreibt Herrn. Kretzschmar in seinem „Führer durch den Konzertsaal", daß von diesen „Bleibe Herr, o sieh uns flehen", und von den größeren „Als Israel aus Ägypten zog" ein Schmuck für jedes a capella-Konzert sei. „Mit dem, was der Text seelisch verlangt, sei es schlichte, innige Emp findung, sei es große Fantasie, verbinden sie in jedem Fall eine treffliche, auch der äußeren Wirkung ungewöhnlich sichere Satzkunst." Richters sechsstimmige Stabat mater-Komposition (Op. 47j für Solo- und Chorstimmen im a eapella-Stil ist zivar nicht übermäßig bekannt geworden, aber doch an einzelnen Orten mit gutem Erfolg zu Gehör gebracht worden. Auch seine Vokalmessen sind beachtlich, sowie die für Männer stimmen geschriebene Musik zur Schillerschen „Dithyrambe" und sollten keinesfalls in Vergessenheit geraten. Wenn auch seine übrigen Werke weniger ursprünglichen und empsin- dungstiefen Inhalt zeigen, so stehen sie doch in Form und Ausführung auf einer hohen, künstlerischen Stufe. Ein besonderes Verdienst Richters war es, daß er den Vortrag der Motetten dadurch, daß er sie persönlich ein übte und dabei auf Güte des Vortrags und Wvhlklanq außerordentlichen Wert legte, zu Spitzenleistungen steigerte und überdies auch den Vortragsplan durch Heranziehung alter italienischer Musik ungemein erweiterte. Daß dabei natürlich die Werke bedeutender Komponisten seiner Zeit nicht etwa vernachlässigt wurden, brauche ich nicht zu be tonen. Richter gab auch mit seinen Thomanern zum ersten Male selbständige Konzerte im Gewandhause, ging mit sei nem Chor auf Konzertreisen und sang unter anderem im Dome zu Merseburg und zu Meißen. Im Jahre 1878 unter nahm Richter mit seinen Thomanern eine Fahrt nach Zit tau, um dort in seiner engeren Heimat ein Konzert zu veranstalten. Es sollte die letzte Freude seines Lebens sein, denn im darauffolgenden Jahre starb er. Als Dank für seine Wahl zum Thomaskantor fühlte er sich veranlaßt, eine große Jnstrumentaünesse, die leider bis heutzutage noch Manuskript geblieben ist, zu kompo nieren. Jedoch wurde sie bei seinem Amtsantritt im Ok tober 1868 in der Thvmaskirche vollständig aufgeführt. Mit ganz besonderer Liebe widmete er sich auch der Aufführung Bachscher Kantaten, von denen er so manche, die in Ver gessenheit geraten war, wieder zu Gehör brachte. Ernst Fr. Richter war als Mensch nicht weniger ge achtet wie als Künstler. Einen Beweis dafür, wie man ihn allgemein verehrte, lieferte die Feier bei seiner Beerdi gung. Am Trauerhause sangen die Thomaner zum Ab schiede sein Lied: „Herr hilf tragen, laß öir's klagen". Leh rer der Thomasschule, des Konservatoriums, Abordnungen der städtischen Behörden, Freunde, Schüler und Mitglieder des akademischen Gesangvereins „Arion" folgten dem Sarge und geleiteten den Toten zu seiner letzten Ruhestätte. Mit dem Choral „Wenn ich einmal soll scheiden" von Joh. Seb. Bach schloß die erhebende Feier. Benützte Quellen: Hugo Riemann, Musiklexi kon, 1922) O. Paul, Handlexikon d. Tonkunst, 1873) Küm merte, Encyklopäöie d. evgl. Kirchenmusik, 1888—95) Her mann Kretzschmar, Führer durch den Konzertsaal, 1887—90) Oberlausitzer Presse, Großschönau, 37. Jahrg., Nr. 86. Der tzeideort Rietschen in der Oberlausitz, seine Vergangenheit und Gegenwart Die Aufzeichnungen über die Geschichte unseres Ortes sind nicht alt, wenigstens liegen ältere Aufzeichnungen nicht vor. Der Hauptbestandteil des Ortes ist früher das hiesige Rittergut geweseu. Es soll eure Chronik von Riet schen bestanden haben, doch ist sie nicht auffindbar. Vermut lich sind bei der Übernahme des Dominiums durch den Magistrat Görlitz wichtige Papiere und Akten nach Görlitz gekommen und sind nur schwer oder gar nicht zu erlangen. Ein Beweis, wie alles, was geschichtlich oder volkskulturell wichtig war, nach Görlitz gekommen ist, ist die sogenannte „Hofeglocke", die in den Besitz der Ruhmeshalle gelangt ist und dort gesehen werden kann. Laufende Aufzeichnungen über die Geschichte unseres Ortes erfolgten erst durch ver schiedene Lehrpersonen in einer Schulchronik. Da die hiesige Schule erst seit 1885 besteht, können sie in der Hauptsache uur die jüngste Zeit berühren. Nach diesen Aufzeichnungen hieß Rietschen wendisch: Rierziza, auch Rjeczka, was Flüß chen oder Bach bedeutet. Der Ort liegt im Tale des Weißen Schöps, am Süd rande der niederschlesischen Heide auf Schwemmland, wie die meisten Orte des nördlichen Teiles unseres Kreises. Der allgemeine Sandboden hat im Süden des Ortes größere Tonlager, die den Bewohnern in Töpfereien, Ziegeleien und neuerlich in einer großen Chamottefabrik Arbeit und Erwerb geben. Die Chamottefabrik beschäftigt heute über 500 Angestellte, Werkmeister und Arbeiter. Ihre Erzeugnisse gehen weit ins Ausland und werden besonders beim Bau von Hochöfen verwendet. Die Fabrikation von Mauerzie geln dagegen ist beträchtlich zurückgegangen. Der nahe Wald liefert Holz für Sagemühlen und Holzgewerbe. Gering ist der landwirtschaftliche Betrieb wegen des sandigen Bodens. Tiefer gelegene Strecken, soweit sie nicht Wiesenanlagen sind, sind zu Fischzuchtteichen nmgewandelt worden. Diese Flächen sollen früher die besten Ackerlände reien gewesen sein, und im Nachbarorte Daubitz erzählt man heute noch viel von den prächtigen Weizenfeldern im „Neuteich". Die Güter Rietschen und Daubitz treiben heute so gut wie gar keinen Ackerbau mehr. In Rietschen treibt die Oberförsterei Fischzucht, in Daubitz, wo das Ferienheim der Stadt Görlitz ist, unterhält die Försterei Fischteiche. Größere Landwirte besitzt Rietschen keine. Selbst der, der die größte anbaufähige Fläche besitzt, treibt Landwirtschaft nur nebenbei. Rietschen ist demnach eine reine Industrie-